Dancing Queens 2013
WIE DIE ANFÜHrerin einer Mädchen-Straßengang steht Elliphant kaugummikauend auf einem nächtlich verlassenen, frostig verschneiten Basketballplatz. Die Hände erst noch lässig in der übergroßen Bomberjacke vergraben, fängt sie plötzlich an, wild zu tanzen. „We live like we never die“, singt sie im Refrain von „Live Till I Die“. Im dazugehörigen Musikvideo kokettiert Elliphant mit Versatzstücken der 90er-Jahre-MTV-Kultur: mit der körnigen, flackernden VHS-Kassetten-Ästhetik und mit dazwischengeschnittenen frechen Girl-Power-Posen in wechselnden Kostümen aus dem Partyzubehörladen. Die Ansage ist klar: Das hier ist Girlie-Pop 2.0! Ein ganzes Stück rauer und dreckiger klingt er als in den 90er-Jahren, auch elektronischer und düsterer. Und er kommt aus Schweden, einem Land, das nach Icona Pops globalem Ohrwurm-Hit „I Love It“ durch gleich mehrere neue Popacts auf sich aufmerksam macht.
Zum einen wäre da also Elliphant, die der dreisten Rotzigkeit der beiden Icona-Pop-Girls Aino Jawo und Caroline Hjelt in nichts nachsteht. Elliphant ist der Künstlername der 27-jährigen schwedischen Produzentin, Sängerin und Rapperin Ellinor Olovsdotter. Nach einem langen Sommer in London begann das ehemalige Model in seiner Heimatstadt Stockholm, an eigenen Sounds herumzutüfteln. Auf mehrere Singles, die 2012 erschienen, wie das Dancehall-Synthie-Stück „Tekkno Scene“, folgte Ende Januar die Debüt-EP.
Ebenso wie der hedonistische Remmidemmi-Pop von Icona Pop, Schwedens zurzeit erfolgreichsten Musikexport, ist auch Elliphants Musik vor allem laut und provoziert durch eine Mischung aus Punk-Attitüde und spaßfixierter Selbstermächtigungs-Girl-Power. Inspiriert sind die „I don’t give a shit“-Gesten in beiden Fällen zum Teil von den Riot-Grrrls der Neunziger, seine Energie aber zieht der neue Schweden-Pop zuallererst aus den pumpenden Bassläufen elektronischer Tanzmusik und dem bedingungslosen Exzess, der mit der Clubkultur assoziiert wird: „Party all night, every night“ ohne Wenn und Aber -und ohne den Tag danach.
Wo Icona Pop gut konsumierbares, stylishes Rebellentum im Viervierteltakt bleibt, ist Elliphants Musik um einiges sperriger, vielschichtiger; ihre Texte sind noch ordinärer. „I’m like a finger up your ass – wanna give it to me?“ rappt sie etwa mit perkussiv-vernuscheltem Ragga-Dialekt in „Can’t Hear It“. Ihre Lieder klingen nach einer Art postmoderner, großstädtischer Weltmusik, die das Rhythmusgefühl von Dancehall und Reggae mit experimentellen, digitalen Effekten vermischt. Heraus kommt ein globales Patchwork, das an vielen Stellen an den dreckigen, holprigen Sound von M.I.A.s Debütalbum „Arular“ erinnert, an Major Lazer und andere Dancehall-Acts von DJ Diplos Mad-Decent-Label. Elliphants Songs sind ebenso spielerisch und raffiniert verwoben: federnder Afro-Beat, stotternde, dem Dubstep entliehene Snare Drums und sirenenhaftes Synthiegequietsche -alles findet bei Elliphant gleichzeitig statt.
Neben Olovsdotter macht seit einigen Monaten ein weiterer neuer Pop-Happen aus Schweden von sich reden: die vierköpfige Band Kate Boy, die ihre erste Single „Nothern Lights“ im Alleingang produzierte und veröffentlichte, bevor sie beim Indie-Label Iamsound unterkam (beim selben Label ist auch die britische Synthpop-Krawallgöre Charli XCX unter Vertrag, aus deren Feder Icona Pops „I Love It“ stammt). Kate Boy besteht aus der in Australien geborenen Sängerin Kate Akhurst und den schwedischen Musikern Hampus Nordgren Hemlin, Oskar Sikow Engström und Markus Dextegen. Akhurst, die 2011 für einen Kurztrip von London nach Stockholm gekommen war, brachte Pop in die kantige Elektro-Frickel-Musik des vormaligen Trios. Und so klingt der Refrain von „Northern Lights“ wie das Selbstverpflichtungsmantra zum Chartserfolg: „Everything we touch turns to gold.“
Im Gegensatz zum rotzigen, ausgefransten Sound Elliphants berufen sich Kate Boy mit ihrer Musik wieder mehr auf die typisch schwedische Pop-Präzision: Ihre Songs klingen puristischer, glattpolierter an der Oberfläche, die Synthesizer peitschen schärfer, die Melodien eingängiger, die Songstruktur minutiös auf ein breites Publikum geeicht. Mit dem stampfenden Ballermann-Beat von Icona Pop hat das nicht viel zu tun. Songs wie „In Your Eyes“ und „The Way We Are“ schaffen es, das Gleichgewicht zu halten zwischen mühelosem Mitsing-Charts-Pop und Art-Pop-Anspruch, der sich an 80er-Jahre-Vorbildern wie Kate Bush abarbeitet. Vor allem stehen Kate Boy -ebenso wie Icona Pop und Elliphant -für eine neue Lust am Dance-Pop. Einem wunderbar zickigen.