Cyborg mit Herz – Die Produktionsprofis von GARBAGE verzichten zugunsten der Spontaneität auf zuviel Cleverness
Hätte man doch bloß eine Kamera dabei. Shirley Manson, Butch Vig und Steve Marker wirken auf dem schnieken weißen Designersofa in der schnieken weißen Suite, die sie für das Hamburger Werbegespräch bezogen haben, als wären sie dort mit viel Autwand und geübtem Designerblick kunstvoll platziert worden. Der Kontrast aus hellem Leder und der obligaten schwarzen Kleidung der anwesenden Garbage-Delegation betont die edle Düsternis, die Garbage schon seit ihren ersten Tagen umgibt – und unterstreicht gleichzeitig die Individualität der Musiker Shirley, Butch und Steve wirken selbst im vertrauten Miteinander nicht wie irgendeine Buddy-Band, die gerade mal ein paar Songs im gemeinsamen Probekeller aufgenommen hat, sondern strahlen die Souveränität der Jugend entkommener Menschen aus, die genau wissen, wer sie sind. „Wir werden nach wie vor verdächtigt, Garbage bloß als Projekt und nicht als richtige Band zu betreiben“, erzählt Butch, „und tatsächlich war da ja mal was Wahres dran. Am Anfang ging es darum, ein Album zu machen, vielleicht ein Video zu drehen und dann zu sehen, was passiert – es hat aber nicht lange gedauert, bis wir eine besondere Chemie zwischen uns entdeckt haben, und solange die stimmt, werden wir weitermachen.“ Das zuletzt unter Aufbietung aller Kräfte. Um ihrem zweiten Album „Version 2.0“ das rechte Gehör zu verschaffen, gingen Garbage 20 Monate lang auf Konzertfahrt, und daran seien alle bald irre geworden, sagt Shirley: „Am Ende waren wir allesamt traumatisierte Freaks, die als Teil einer sehr effizienten Kriegsmaschine funktionieren – total unmündig.“
Maschinen haben es Garbage angetan. Neben dem nun nicht eben offenkundigen Vergleich des Tourneelebens mit einem bewaffneten Konflikt, verweist Shirley in Bezug auf die eigene Kunst gern auf Shinya Tsukamotos Filmwunder „Tetsuo“, in dem ein Mensch am Morgen nach dem Beischlaf mit einem Fetischisten zu mutieren beginnt und metallene Gliedmaßen entwickelt – ein schönes Bild für den musikalischen Cyborg, den Garbage mit ihrem ersten Album als Prototyp entwickelten -jene halb biologische, halb technische Kreatur, die sich als Modell für die Popmusik des nahenden drittenjahrtausends aufspielte und der auditive Beitrag zu allerlei zeitgeistigem Empfinden war.
Indes, die Theorie ist die Theorie der anderen. Garbage wollen von all dem nichts geahnt haben und mögen ihre Musik nicht als popkulturelles Statement verstanden wissen. „Wir sind in keinem Fall angetreten, der Popmusik eine neue Richtung zu geben. Das wäre ja ein lächerlicher Vorsatz“, sagt Steve, der sonst eher gar nichts sagt, sondern sich hinter seinen verschränkten Armen und einer eigentlich unnötigen Sonnenbrille verschanzt.
Glücklicherweise ist ja Shirley da: Die Schottin aus Edinburgh verliert im direkten Kontakt alles Luderhafte, unnahbar Erotische, lacht auch schon mal über einen Spaß des Journalisten und versucht mit viel Freundlichkeit, das Gespräch im Fluss zu halten. Liebstes Stilmittel: trockener britischer Sarkasmus. „Die Leute denken immer, wir wären ein total reflektierter Verein, und dass die Männer von Garbage Genies seien, die mit viel System diese Band als ein Gesamtkunstwerk entwerfen“, meint sie, und Steve und Butch grinsen ob des nahenden Unheils. „Tatsache ist doch aber vielmehr, dass wir ein Haufen geistig minderbemittelter Freaks sind, unterbelichtete Wichte, die in einem anderen Zeitsystem leben. Guck dir die beiden Typen hier doch an – total unorganisierte Chaoten, die ein Jahr brauchen, bis die Platten endlich fertig sind.“
Für das neue Album haben sich Garbage abermals in die Smart Studios von Butch Vig in Madison/Wisconsin zurückgezogen, jene Räumlichkeiten, in denen „Nerermind“ entstand und die Pumpkins ihren „Siamese Dream“ entwarfen und der für Garbage von Anfang an das produktive Zuhause war. Diesmal sollte jedoch alles anders werden. „Wir sind mittlerweile zu einer festen Einheit geworden“, erklärt Steve, „was mal als Experiment begonnen hatte, entsteht jetzt in der direkten Kommunikation miteinander.“
Ein Großteil der Songs auf „Beautiful Garbage “ wurde bei Sessions auf der Bühne und im Studio entworfen, und das Quartett vertraute auf die Inspiration des Spontanen.,,Klar war das ungewohnt“, bekennt Butch, „schließlich haben wir sonst gern alles unter tonnenweise Overdubs und Gimmicks begraben. Diesmal haben wir vieles bewusst unterproduziert und auch nicht hundertprozentige Takes stehengelassen, wenn sie sich gut anfühlten.“ Die Erklärung ist nun doch die eines Perfektionisten. „Unterproduziert“ ist auf „Beautiful Garbage“ gewiss nichts. Die 13 neuen Songs tragen noch immer die Handschrift dreier unermüdlich nach neuen Sounds und Überraschungen suchenden Produktionsprofis und sind zu keinem Zeitpunkt im rudimentären Zustand belassen.
Trotzdem: Auf ihrem dritten Album verzichten Garbage auf alle Fassaden und allzu clever entworfenes Design, geben dem Cyborg ein Herz und klingen endlich so, wie sie sich nach eigenem Bekunden schon lange fühlen: wie eine Band.