Culture clash

Am Anfang war die Definitionsfrage: Kann man Musik aus allen Winkeln dieser Welt ein gemeinsames Etikett verpassen? Darf man das überhaupt? Die Amerikaner konnten und durften als erste: Der Einfachheit halber räumten sie Mitte der 80er Jahre in ihren CD-Supermärkten ein Eckchen frei und verstauten dort – frei nach dem „Ist nicht von hier“-Motto – munter alles, was sonst nirgendwo Platz hatte: King Sunny Ade, Ofra Haza, Mory Kante und zur Not auch Julio Iglesias und die Zillertaler.

Egal, ob nun World Beat oder Ethno-Pop oder World Music oder wie auch immer: Der eklektischste Musik-Trend der 80er Jahre war ja in erster Linie eine Zeitgeist-Erscheinung. Und eine des Marketings. Nicht umsonst wurde allüberall von „One World, One Voice“ geschwafelt, als gerade Teriyaki-Saucen, afrikanische Gewürzmischungen und Sashimi populär wurden. Solch findige musikalische Entwicklungshelfer (oder Kulturimperialisten, je nach Auslegung) wie David Byrne („Rei Momo“) und Paul Simon („Graceland“, „Rhythm Of The Saints“) erwischten flugs den Zeitgeist am Rockzipfel; Peter Gabriel zerrte Youssou N’Dour ins Studio, gründete zuerst einen transglobalen Wanderzirkus namens WOMAD und dann passenderweise gleich noch ein Label namens Real World dazu.

Natürlich hatte es das, was nun plötzlich unter „File under: World Beat“ firmierte, lange vor den Achtzigern gegeben: Nusrat Fateh Ali Khans Qawwali-Stil (der Gesang gläubiger Sufis) hat Tradition bis zur Völkerwanderung, und in den Straßen von Salvador trommeln so welche wie Olodum ja auch schon länger. Richie Valens mit „La Bamba“, die Tokens mit „The Lion Sleeps Tonight“, Miriam Makeba mit „Pata Pata“ – World Beat?

Auch das Kulturen überschreitende Crossover war nichts neues: Die Beatles mit Ravi Shankar, Brian Jones mit den Percussionisten von Joujouka – lang ist’s her. Bloß war damals niemand klammheimlich mit dem DAT-Rekorder herumgeschlichen: Der Vorwurf des kulturellen Diebstahls hat die World Music ja von Anfang an begleitet (trotzdem erdreisteten Deep Forest, eine Ambient-Techno/New Age-Gruppe aus Frankreich, sich noch Mitte der 90er Jahre, Gesangspassagen aus Asien ohne jedwede Erlaubnis zu verwenden – und hatten prompt ein Plagiats-Verfahren am Hals).

Und damals gab es auch kein ideologisches Gezetere darüber, ob dies oder das nun wirklich hundertprozentig authentisch sei (das meiste ist eh so authentisch wie der Navajo-Schmuck, der in Idar-Oberstein gefertigt wird). Und auch nicht darüber, ob es nicht nur westliche Hybris sei, zu den Jahrhunderte alten Oberton-Gesängen mongolischer Hirten Prosecco zu trinken oder Guacamole zu löffeln.

Auch Jahre nach dem Höhepunkt des Trends: Befangenheit. Nicht einem einzelnen Album, wohl aber dem Genre gegenüber (und vor allem den vielen, neuen Labels in Aufbruchstimmung, die so dubiose Dinger wie „Best Of Worldbeat“-Sampler herausbringen). Befangenheit, weil sich der Westen weiterhin als Zentrum und Maß aller Dinge versteht (selbst wenn es nur um die Frage geht, auf welchem Kontinent produziert werden soll) und alles andere viel zu oft nur ein großes, exotisches „Da draußen“ ist, das fieberhaft auf einen nächsten Christoph Kolumbus in Form eines A & R-Managers wartet.

Ein bißchen Trost aber bleibt doch: Das meiste, was bei uns als abgefahrene, kultische oder avantgardistische Spezialität verkauft wird, führt in der Heimat die Hitparaden an. Und umgekehrt ist es übrigens genauso: Die Japaner und Russen haben in den 80er Jahren auch wie wild Modern Talking gekauft. Und in Jamaica waren anno 1978 die „Rivers Of Babylon“ in der Boney M./Frank Farian-Version auf Platz 1 der Hitparaden.

Fragt sich nur, ob die Weltmusik-Wahrer für solch kulturelle Reimporte das nötige Verständnis besitzen. Aber wer fragt schon die, die hemmungslos das musikalische Erbe anderer Kulturen verhökern?

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