Empathie statt Hass: Courtney Marie Andrews singt Balladen vom Unterwegssein
Courtney Marie Andrews blickt den Verlierern des amerikanischen Traums in die Seele - und weiß aus eigener Erfahrung, wovon sie auf ihrem neuen Album „May Your Kindness Remain“ singt.
Dass Courtney Marie Andrews als Teenager mal auf Punk stand, würde man wohl zuallerletzt vermuten, wenn man ihr neues Album, „May Your Kindness Remain“, hört. Darauf singt die 27-Jährige traditionsbeflissene Country-Songs. Mit ihren Cowgirlstiefeln steht sie fest in den Siebzigern. Und es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis sie von Emmylou Harris adoptiert wird und Dolly Parton sie mit einem „Good gal“ adelt.
Erstaunlicherweise scheint es mit ihrer Country-Sozialisierung aber nicht weit her zu sein – Harris kannte den Sound zunächst nur von ihrer liebsten Bob-Dylan-Platte („Desire“). Ihre wahren Helden sind Joni Mitchell, Aretha Franklin und Marvin Gaye. Sie mag auch Randy Newman sehr – und zitiert gleich dessen „The World Isn’t Fair“: „Where the rich just get richer/ And the poor you don’t ever have to see.“Songs aus der Perspektive einfacher Leute
Eine Sentenz, die die aus Phoenix/Arizona stammende Songschreiberin nach ihrer letzten Tournee durchs Heartland der USA bestätigt sah. „Ich weiß, wovon ich spreche“, erklärt sie. „Ich habe selbst in einigen Kleinstädten gelebt.“ Was sie von Newman gelernt hat: „wie man Songs aus der Perspektive einfacher Leute erzählt“. Das Wegbrechen der Mittelschicht – Arbeitslosigkeit, Armut, Rassismus, Migrantenschicksale –: Andrews skizziert den Niedergang des amerikanischen Traums nicht etwa als Dystopie, sondern mit viel Empathie. Sie sieht Industriebrachen vorbeiziehen, wohnt in maroden Motels, isst in einem alten Diner – Orte, die in der Rockgeschichte schon oft mit Mythen aufgeladen wurden.
Doch sie überhöht sie nicht zum Outlaw-Klischee, beschwört keine Verlierer, die sich in einem heroischen Kraftakt in die Gesellschaft zurückkämpfen. Sie beobachtet einfach nur. Entsprechend elegisch wirkt „May Your Kindness Remain“, zumal im Vergleich zum poppigen Sound ihres letzten Albums, „Honest Life“. Die Stücke sind klavierlastiger, versprühen eine feierliche Gospel-Atmosphäre. Dylans religiöse Phase in den Achtzigern habe sie dazu inspiriert, einen Chor einzusetzen.
Aufgenommen hat Andrews das neue Album in Los Angeles mit Produzent Mark Howard. Howard mietete ein Haus, das seinen Klangvorstellungen entsprach, kam mit einem Truck voller Technik, stellte Amps und Mikrofone auf und ließ Andrews’ Band das meiste live einspielen. Zudem brachte er die nötige Autorität mit, um den Musikern kurze, prägnante Instruktionen zu geben. „Ich wollte nicht selbst produzieren, wie ich das bei ‚Honest Life‘ getan hatte“, gesteht Andrews. „Das war ein Nine-to-five-Job. Außerdem brauche ich zu viel Zeit dafür.“
Courtney Marie Andrews hat sich als Musikerin nach oben gekämpft
Wenn man ihre junge Karriere Revue passieren lässt, hat man allerdings kaum das Gefühl, dass sie dazu neigt, sich zu viel Zeit zu lassen. Vielmehr hat sie alle Stationen mitgenommen, die sich ihr angeboten haben, um eine professionelle Musikerin zu werden. Mit 16 verließ sie Phoenix, ergatterte via Myspace ein paar kleine Konzerte an der Westküste, fuhr mit einem befreundeten Songschreiber durchs Land. Bis dahin hatte sie noch nicht mal die Highschool abgeschlossen. „Time of our lives!“, sagt sie heute mit einem Lächeln. „Wir spielten vor so gut wie niemandem.“
Drei Jahre später stieg sie dann in einen Bus nach New York – wieder eine Reise ohne Erfolg. Erst als Jim Adkins sie bei einem Konzert in Arizona hörte und sie als Background-Sängerin seiner Band Jimmy Eat World verpflichtete, schien es bergauf zu gehen. Danach tourte sie eine Weile mit Damien Jurado und Milow. Der cremige Pop des Belgiers machte ihr klar, „dass ich nicht mehr meinem Herzen folgte“. Sie beschloss, noch mal von vorn anzufangen, jobbte als Barkeeperin und feilte weiter an ihrem Songwriting. „Mir wurde klar, dass ich kein Businessmensch bin – ich kann mich nicht selbst promoten.“
Nach zwei erfolglosen Alben verschaffte ihr schließlich „Honest Life“ größere Beachtung, als es in einigen Kritiker-Charts auftauchte. Doch erst „May Your Kindness Remain“ komme dem Stil, der ihr vorschwebe, wirklich nahe. Ihre Balladen vom Unterwegssein erinnern an Jackson Browne, auch weil selbst noch in den zerbrochenen Träumen eine Hoffnung glimmt. Was das On-the-Road-Leben und die damit verbundene Romantik betrifft, befinde sie sich fortwährend in einem Zwiespalt: „Wenn ich unterwegs bin, möchte ich nach Hause. Wenn ich mal vorübergehend ein Zuhause habe, zieht es mich wieder fort.“ Ihre Empathie wird sie sicher nicht sesshaft werden lassen. „Ich finde es großartig, über das zu singen, was ich erlebt habe und bezeugen kann. Leute, die bei meinen Songs kein Mitgefühl empfinden, tun mir einfach nur leid.“
Courtney Marie Andrews live
13. APRIL – BERLIN, PRIVATCLUB
15. APRIL – KÖLN, STUDIO 672