„Country ist eben keine Popkultur“
Anlässlich ihres ersten gemeinsamen Albums sprechen Emmylou Harris und Rodney Crowell über Rebellion, Ironie und Transistorradios
Indirekt sind die beiden schon lange ein kreatives Paar: Bereits auf ihrem zweiten Album sang Emmylou Harris einen Song von Rodney Crowell, der fortan sporadisch Teil ihrer Begleitband war. Während Harris Ende der Siebziger zur unangefochtenen Country-Queen aufstieg, begann Crowell seine eigene durchaus erfolgreiche Solokarriere. Doch erst mit „Old Yellow Moon“ folgt nun eine gemeinsame Platte der beiden Freunde.
Sie beide spielen seit 1974 immer wieder zusammen. Wieso kommt die Platte erst jetzt?
Harris: Wir waren einfach zu beschäftigt! Ich bin froh, dass wir gewartet haben. Diese Platte hat eine gewisse Lieblichkeit, die sicher aus unserer Entspanntheit herrührt: Wir haben wirklich nur Songs gesungen, die uns immer schon gefielen, von Rodney, von Kris Kristofferson, Roger Miller …
Es gibt da diesen Song: „Back When We Were Beautiful“ …
Harris: Das soll aber nicht heißen, dass wir alt und grantig sind. In dem Song singe ich quasi aus dem Blickwinkel meiner Mutter, die ist 91 – so weit bin ich noch nicht!
Viele Countrymusiker kommen aus Familien mit langer Countrytradition, sie heiraten andere Countrymusiker – wieso ist das so?
Crowell: Meine Familie bestand aus ungebildeten Bauern. Es hingen ein paar Gitarren herum, wer konnte, spielte darauf, dann schoben wir die Möbel zur Seite und tanzten – wir hatten gar kein Geld für andere Unterhaltung. Countrymusik kommt aus dieser ländlichen Tradition.
Aber eigentlich rebellieren Teenager doch gegen elterliche Musikkultur – womit schocken Teenager aus Countryfamilien?
Crowell: Mit Jerry Lee Lewis, Little Richard und Elvis. Das war noch wirklich schockierend! Meist gehen ja Rebellion und erwachende Sexualität Hand in Hand. Musik hören, eng tanzen …
Harris: Bei mir war es etwas anders. Ich komme nicht aus so einer typischen Countryfamilie und habe erst rebelliert, als ich es nicht mehr aushielt: Mit 19 nahm ich meine Gitarre und haute um 3 Uhr nachts von zu Hause ab, weil ich einen Gig hatte. Meine Eltern hatten mir verboten, aufzutreten, denn ich war sehr krank. Ich hinterließ einen Zettel, latschte zu Fuß den Highway US 1 entlang bis zum Bus, der mich nach Norfolk, Virginia brachte, und spielte den Gig. Meine Eltern steckten mich am nächsten Tag ins Krankenhaus! Vorher hatte ich mich nie gegen sie gestellt, aber zu dem Zeitpunkt war Musik extrem wichtig für mich geworden.
Haben Ihre Eltern Sie später verstanden?
Harris: Ich glaube, ja. Ein bisschen Rebell steckt wohl auch in jedem: Meine Mutter lebte mit 21 zu Hause, war verlobt, und plötzlich brannte sie mit einem Jungen durch, den sie kaum kannte, meinem Vater! Sie wusste, dass das die Liebe ihres Lebens war. Und auf eine komische Art und Weise wusste ich damals, dass Musik die Liebe meines Lebens war.
Es gibt mehr Songschreiberinnen und Musikerinnen, vor allem Sängerinnen, in der Countrymusik als in anderen Genres …wieso?
Harris: Ich glaube, bevor die Gitarristin und Sängerin Kitty Wells aufsprang Ω und das ging nur, weil sie mit dem bereits bekannten Countrymusiker Johnnie Wright verheiratet war -, gab es gar nicht so viele Frauen … Undenkbar, dass Frauen damals mit männlichen Bands in der Gegend herumfuhren! Und Loretta Lynn hat auch viel geändert.
Was ist elementar für einen Countrysong?
Crowell: Ironie! Ein guter Countrysong muss einem sagen, was wehtut, aber mit Ironie.
Harris: Ja, er muss ein Gefühl beschreiben, das wir alle kennen. Das wir entweder erlebt haben oder bald erleben. Diesen Schmerz … Allerdings: Obwohl ich immer Countrymusikerin sein wollte, habe ich mich nie begrenzt, ich habe immer auch untypische Instrumente benutzt.
Habe Regeln gebrochen, aber nur, weil ich sie gar nicht genau kannte. Ich war nie rebellisch, sondern eher ignorant.
Oder freigeistig. In einer Fernsehshow aus den Siebzigern singen Sie allerdings „Mr. Sandman“ und tragen ein besticktes Blumenkleid, die Haare frisch onduliert …
Harris: Oh, das wollte ich eigentlich vergessen! Ich hatte den Song für die „Trio“-Platte gemeinsam mit Dolly Parton und Linda Ronstadt aufgenommen. Das Projekt wurde aber fallengelassen, aus rechtlichen Gründen. Und dann musste ich alle drei Gesangsparts neu einsingen. Die Sache hat mir gezeigt, dass ich keine Songs singen kann, die ich nicht absolut liebe. Dann kam er auch noch als Single heraus, also erwarteten die Leute, dass ich ihn bei Konzerten singe. Und das Schlimmste: Bei sämtlichen Kindergartentreffen meiner Tochter schrien alle „Mr. Sandman!“.
Warum hat Country sich seit seinen Anfängen so wenig verändert?
Harris: Country ist eben keine Popkultur.
Crowell: Zu echter Countrymusik kann man auch kein Video machen! Man muss sie auf einem kleinen Transistorradio hören, spätnachts, damit der Kopf Bilder dazu erfindet.
Harris: Aber wissen Sie was: In einem modernen Country-Top-40-Sender finde ich überhaupt keine guten Songs mehr, das sind alles Karikaturen. Ein Song von Loretta Lynn, Hank Williams oder Merle Haggard springt einen dagegen direkt an. Das steckt im Blut. So etwas wollten wir mit unserer Platte auch erreichen: es ins Blut zurückbringen.