Cool ist das Wort für uns
Bands sind schöner als die Einsamkeit: Beim Immergut-Festival haben sich die Indie-Pioniere Die Regierung und Flowerpornoes vor 5000 Zeugen neu erschaffen
Nein, wir singen jetzt nicht wieder das selbstmitleidige Lied vom Paradies der Ungeliebten und den Leuten, die in einer besseren Welt auf den ersten Plätzen der Charts wären, die eh keinen interessieren. Irgendwie landen die meisten ja doch da, wo sie hingehören – und für die Wiedervereinigung von zwei höchst bedeutenden, zu Lebzeiten oft verkannten Rockbands der 90er Jahre gäbe es wahrlich schlechtere Orte als das Immergut-Festival in Neustrelitz, Mecklenburg-Vorpommern. Die Knuddeligkeit des 5000-Gäste-Festes wird immer ein bisschen überbetont, obwohl knuddelig zu sein ja auch heißt, sich nah auf die Pelle zu rücken.
Vor allem Vergangenheit und Zukunft hängen hier, wie oft, eng aufeinander: Freitagnacht spielen auf der Hauptbühne Blumfeld, die apfelbackig gut gereiften Geistväter des deutschen Indie-Rock, am Samstag Mia und Tomte, ganz andere Leute, aber die tatsächlich Charts-relevanten Spätabkömmlinge der 90er-Ruhrpott-Hamburg-Szene. „Besser gesagt: der Kollateralschaden“, meint Tom Liwa, der nicht solo auf dem Programm steht, sondern wie zuletzt vor knapp zehn Jahren als „Flowerpornoes“. Leute, die sich beim Wiederhören dieses Bandnamens freuen, haben sich auch gefreut bei: Die Regierung, in Essen Ende der Achtziger gegründet und Mitte der Neunziger aufgelöst von Tilman Rossmy, der mit dem Duisburger Liwa viel mehr als den Lakonismus gemein hat. Erste Platten bei Alfred Hilsberg, Kritikerheld mit kleinem Publikum, ein grundsätzliches Zu-früh-Drangewesensein. Auch Rossmy ruft hier auf dem Immergut Die Regierung zurück ins Leben, und er wird den Unterschied spüren.
Liwa fängt an, am Freitagabend im noch hellen Zelt, mit Sunburst-getönter E-Gitarre ein ungewohnt farbiges Schauspiel, ab dem vierten Stück natürlich barfuß. Liwas Schwester Birgit Quentmeier spielt mit finsterer Miene Keyboard, Markus Steinebach am Bass – immerhin zwei weitere echte Flowerpornoes, mit deren grantigen Folkrock-Alben man noch heute ganze Dinnergesellschaften zum erstaunten Zuhören bringen kann. Das Zelt ist voll, die Musik glüht wie eine Neil-Young-Büffelecrde bei schräg stehender Sonne, und im berühmten Spottlied „Titelstory gegen ganzseitige Anzeige“-„Fünf Jahre nach mir und drei Jahre nach Blumfeld/ Kaufen sie alles ein, was deutsch singt/ Und laut genug lügen kann“ – setzt Liwa „30 Jahre nach Udo“ ein. Wie wenig sie sich seinerzeit beim Publikum einschleimten, fällt unter heutigen Vergleichsmaßstäben umso mehr auf. Die Hälfte der Setlist sind neue Songs, die bald erscheinen sollen.
Er wollte endlich wieder eine richtige Band haben, erklärt Liwa die Reunion simpel. „Zur selben Zeit habe ich die alten Flowerpornoes-Aufnahmen rausgekramt und gemerkt, wie sehr das plötzlich wieder mit den Sachen korrespondiert, an denen ich zurzeit arbeite.“ Als er testweise mit Birgit und Markus spielte, „da dachte ich mir: Das soll jetzt nicht aufhören!“ Taktik, um alte Fans aus den Löchern zu locken? „Das Versagens-Risiko wäre viel zu hoch. Würde ich so strategisch denken, hätte ich schon früher mehr Geld verdient.“
Tilman Rossmys Gründe klingen überraschend ähnlich: „Ich hatte mal wieder Lust auf eine Band, die regelmäßig probt und die so ein bisschen schrammeliger unterwegs ist, wie die Regierung halt“, schreibt er auf der Website, bei ihm ist der Akt noch symbolischer als bei Liwa: Die Gruppe besteht aus jungen Augsburger Musikern, kein Original-Mitglied, und weil Rossmy die alten Stücke auch solo oft gespielt hat, ist die „neue Regierung“ im Prinzip ein reines Vokabelspiel. So eine Festival-Attraktion wäre er allein wohl trotzdem nicht gewesen: Am Samstagabend tobt das Zelt, Original-Gitarrist Robert Lipinski gastiert kurz und sagt an: „Wenigstens bleiben hier alle da, wenn wir spielen. Das war vor 20 Jahren nicht so!“ Rossmy und seine Kleinen gehen pünktlich von der Bühne, das Publikum klatscht ungelogene zehn Minuten für eine zweite Zugabe. Als Rossmy von der Bar zurück auf die Bühne steigt, knurrt er lächelnd: „Ich war schon im Hotel.“ Und spielt ganz großartig noch „Fragezeichen“ von Nena. mit der rätselhaften Zeile „Vielleicht bleib ich auch/ Gestern das liegt mir nicht.“ Oft ist zurückzukommen ja besser als immer dageblieben zu sein. So wissen die Leute wenigstens, was sie vermisst haben.