COMMITMENT: Billy Porter in der Netflix-Serie „Pose“
„Pose“ ist eine Familienserie: Sie handelt vom Zusammenhalt und der Rivalität in der Transsexuellen-Szene von New York City um 1987. Von Rolling-Stone-Redakteur Arne Willander.
In den 70er-Jahren zeigte die Serie „Family“ das Leben in Pasadena. Vater fuhr zur Arbeit in die Anwaltskanzlei, Mutter wurschtelte im Garten, die ältere Tochter entdeckte ihren Mann mit einer Frau im Schlafzimmer, die jüngere Tochter hatte einen Hund, der Sohn wollte Schriftsteller werden. Die Autos waren groß, eckig und braun, die Einkäufe wurden in Papiertüten, auch braun, ins Hausgetragen, und in der Küche, im Wohn- und Kinderzimmer vollzog sich das, was Alltag genannt wird.
Das Telefon klingelte. Es war Weihnachten und Thanksgiving und Ferienzeit. „Family“, erdacht von Mike Nichols, dem Regisseur der „Reifeprüfung“, war eine realistische Serie über die Güte und die Gnade in der Mittelschicht, sie begann 1976 und endete 1980. Das Leben in den Jimmy-Carter-Jahren.
Vom Zusammenhalt und der Rivalität in der Transsexuellen-Szene
„Pose“ ist eine vertierte Familienserie: Sie handelt vom Zusammenhalt und der Rivalität in der Transsexuellen-Szene von New York City um 1987, als die Filme „Wall Street“ und „Fatal Attraction“ waren und die Musik von Madonna, Michael Jackson und Prince, verkürzt gesagt. „Pose“, von „Glee“-Erfinder Ryan Murphy, zeigt nun Privatleben und Lebenskampf von Männern, die als Frauen leben, und was das kostet.
Sie sind organisiert in sogenannten Häusern, den Adelsgeschlechtern nachgeahmt, denen nicht eine Königin, aber eine Mutter vorsteht. „Haus“ ist etwas hochtrabend: Fünf oder sechs junge Menschen sind jeweils versammelt. Manche tanzen. Manche lackieren Fingernägel. Manche lassen sich von Sugardaddys aushalten. Manche treten hinter der Glasscheibe in den Kabinen von „Sex World“ für Klimpergeld auf, das in den Münzautomaten geworfen wird. Und nachts verwandeln sie sich in glamouröse, flamboyante Gestalten, wenn die Bälle stattfinden, bei denen die Häuser vor einer Jury und Publikum um die schönsten und bizarrsten Kostüme und Auftrittekonkurrieren, kommentiert und angefeuert vom Zeremonienmeister, der Revolverschnauze Pray Tell, gespielt von Billy Porter, der anfangs ausruft: „Die Kategoriiiie lautet …“ Leinen gegen Seide. Pray!
https://www.youtube.com/watch?v=RKDu3Kty9RM
Von Bitch-Gefechten, Traurigkeit und Poesie
Tell schneidert auch Kostüme für die Häuser. Sein Freund ist an HIV erkrankt. Man kann den schnellen Wortwitz, die Bitch-Gefechte, die Traurigkeit und die Poesie dieser Serie kaum vermitteln, weil es wenige Vorbilder gibt. „Pose“ ist „West Side Story“ und „Saturday Night Fever“, „Fame“ und „Flashdance“, es handelt von Träumen und Ambitionen und dem Gefühl: Wir gehören nicht dazu. Blanca Evangelista, Elektra Abundance und Angel, schwarze und puerto-ricanische Transgender-Frauen, ringen in einer Vermischung von Banden-Ethos und Imitation des Aristokratischen um Identität und Anerkennung, die abseits der Konventionen eigene Konventionen schafft. Sie haben nur sich. Auch in Schwulenbars sind Transsexuelle unbeliebt.
Die Trump-Welt von Manhattan wird etwas holzschnittartig von dem Familienvater Stan repräsentiert, den Evan Petersals drolligen, schüchternen Hänfling inmitten von Meistern des Universums gibt. Stan verliebt sich in die strahlendeAngel, für die er ein Apartment mietet, während sich der bramsige, selbstverständlich koksende Macho-Chef an Stans Frau Patty heranmacht, die auf eine neue Geschirrspülmaschine wartet. Stan kauft die Maschine, aber den Schmuck kauft er für Angel.
Die Ballroom-Wettbewerbe sind rauschende Choreografien
Natürlich gibt es die beiden Burschen, die sich an der Tanzschule um Auftritte bewerben, und es gibt auch den Drogendealer, der die Gesetze der Ersatzfamilie missachtet. Und es gibt den geheim devianten Sugardaddy, der die luxuriöse Mätresse nach deren Geschlechtsumwandlung wegjagt. Es war Elektras Traum, nicht seiner.
Die Ballroom-Wettbewerbe sind rauschende Choreografien, bei denen die Jury-Wertungen fast immer „10“ (und mal eine „9“) sind. Die in den geräumigen Absteigen angehäuften Trophäen sind sperrige Etageren mit Eumel drauf – der Talmi ist hier die Währung, die Respekt bedeutet. Wenn „Slave To Love“ und „PrivateDancer“ die erotischen Epiphanien von Sehnsucht orchestrieren, ist „Pose“ ganz bei sich selbst. Mjt Rodriguez, Dominique Jackson und Indya Moore transzendieren Sozialdrama und Melodram anmutig. Kate Mara als enttäuschte Ehefrau, auch sie eine Mutter, versteht ihren Mann und die Welt nicht mehr. Es ist das falsche Leben im richtigen.
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