Comics und Graphic Novels für heller werdende Tage
Eine Kindheit auf dem Land, schwarze Musikhistorie in Comic-Form, eine Geschichte über Pistolen, Kuchen und Cowboy-Götter und das neuste Werk der feministischen Zeichnerin Liv Strömquist.
Schrullige Kindheit auf dem Land
Catherine Meurisse – „Weites Land“ (Carlsen)
Romantik ist in der Gegenwartskunst fast schon verschrien – nicht aber bei Catherine Meurisses neustem Graphic Novel „Weites Land“. Aufgewachsen in der französischen Provinz, gelingt der Illustratorin eine beeindruckende Liebeserklärung an das Landleben mithilfe von persönlichen Geschichten, philosophischen Ausflügen und natürlich idyllischen Bildern.
Dabei fährt die ehemalige Karikaturistin dort fort, wo sie mit „Die Leichtigkeit“, ihrer Aufarbeitung des erlebten „Charlie Hebdo“-Anschlags, aufgehört hat: Meurisse stellt beeindruckende Bögen zwischen Natur und Literatur her, indem sie Marcel Proust und Emile Zola zitiert und alles in den Kontext ihrer eigenen schrulligen Kindheit setzt. Vertieft man sich also in die zarten, aber sehr präzisen Aquarell-Landschaftsmalereien, erwischt man sich bei dem Gedanken, zum nächstmöglichen Wochenende aus der Stadt fliehen zu wollen.
Wie Black Music die Popkultur prägte
Harvé Bourhis & Brüno – „Black & Proud – Vom Blues zum Rap“
Mit einem plakativen Zeichenstil umreißt das französische Kreativduo seine Leidenschaft zu afroamerikanischer Musik (ausgenommen Jazz, „ein zu breites Thema, das ein eigenes Thema verdienen würde“, begründen sie im Vorwort). Dabei skizzieren Bourhis und Brüno 70 Jahre afroamerikanische Pop-Geschichte zwischen 1945 und 2015, mit Referenzen zu Gesellschaft und Politik – schließlich gibt es kein politisch aufgeladeneres Genre als schwarze Musik. So merkt man häppchenweise, wie wichtig die afroamerikanische Kultur für bahnbrechende Entwicklungen der Popgeschichte war: Wie etwa aus Rhytm and Blues Soul wurde, wie die Subkulturen Rap und HipHop entstanden, und wie im 21. Jahrhundert schwarze Frauen den Pop-Olymp erklommen.
Ein Jahr bekommt jeweils eine Doppelseite mit einer Zeichnung der bemerkenswertesten Platte, wichtigen musikalischen Entwicklungen sowie Randnotizen mit Empfehlungen von Musik jenseits den USA. Die Mini-Biographien der jeweiligen Jahre und KünstlerInnen ziehen sich wie Mosaikteilchen durch das ganze Buch. Die Seiten sind dadurch etwas unaufgeräumt, die klare Gliederung und die kräftige Linienführung lassen die Leser nicht verlorengehen.
Geboren, um die Welt zu retten
Gerard Way & Gabriel Bá – „Umbrella Academy“
Gerard Way, Sänger der Rockband My Chemical Romance, hat vor 12 Jahren gemeinsam mit dem Illustrator Gabriel Bá die „Umbrella Academy“ erschaffen: Sieben von einem millionenschweren außerirdischen Wissenschaftler adoptierte Kinder (alle wundersam zur gleichen Zeit geboren) werden dafür trainiert, die Welt zu retten – was sie in der Gegenwart mehr oder weniger freiwillig tun müssen. Jeder von ihnen hat außergewöhnliche Fähigkeiten und einen schrägen Charakter, der möglicherweise daraus entstanden ist, dass der Adoptivvater sich auf das wissenschaftliche Trainieren seiner sogenannten Umbrella Academy beschränkt hat, statt den Kindern hin und wieder elterliche Liebe zu zeigen.
In der Weltrettung bzw.-zerstörung sind Zeitreisen, allerlei bösartige Kreaturen sowie eine Agentur, die das Raum-Zeit-Kontinuum überwacht, involviert. Netflix hat aus den erfolgreichen Comics nun eine Serie gemacht, die sich deutlich mehr Zeit nimmt, Charaktere zu entwickeln und dramaturgische Bögen zu spannen. Dadurch, dass Comics und Serie sich sowohl inhaltlich als auch ästhetisch voneinander abgrenzen (fast schon egal, womit man anfängt, aber fangen Sie bitte mit den Comics an!), ergänzen sich die beiden Medien und auch eingefleischten Fans des Comics, die Bás ruppige Bildsprache lieben, werden Spaß daran haben, die Verfilmung zu sehen.
Der dritte Comic-Teil soll übrigens nach sieben Jahren Wartezeit in diesem Sommer erscheinen.
Elvis, Priscilla und Pinguine
Liv Strömquist – „I’m Every Woman“
Liv Strömquists dritter feministischer Comicband nimmt sich noch stärker den Mann in seiner strukturellen Machtposition vor, als zuvor – bei „Der Ursprung der Welt“ ging es um das weibliche Geschlecht an sich und bei „Der Ursprung der Liebe“ widmete sich die Schwedin gesellschaftlichen Beziehungskonstrukten.
Die Politikwissenschaftlerin schafft es erneut, komplexe Erzählungen aus Geschichte, Philosophie und Kunst unterhaltsam und nachdrücklich aufzuzeichnen. Sie porträtiert etwa Priscilla Presley, die von Elvis schon mit 14 Jahren als Ehefrau auserkoren und dann aufs Anwesen in Graceland verbannt wurde. Oder Strömquist setzt sich mit der angeblichen Natürlichkeit von monogamen Beziehungen aus, indem sie diese mit Pinguinen vergleicht.
Die bissigen Witze, für die Strömquist in ihren vergangenen Bänden besonders gelobt wurde, sind hier teilweise etwas plump (sie wagt es sogar, auf die Beatles zu schimpfen, Herrgottnochmal!). Doch damit gelingt ihr die Kunst, die bittere Geschichte der unterdrückten Frau, die sie leidenschaftlich aufzeichnet, ein wenig aufzulockern – ohne auf die Dringlichkeit der Thematik zu verzichten.