Club-Betreiber in Not: „Wir mussten die Reißleine ziehen! Jede Planung wird über den Haufen geworfen“
Jan van Weegen betreibt den Live-Club Gebäude 9 in Köln. Hier erzählt er, mit welchen Widrigkeiten er in der Corona-Krise zu kämpfen hat – und ab wann es vielleicht wieder Konzerte geben kann.
Der Lockdown hatte bei euch im Gebäude 9 in Köln einen speziellen Vorlauf, oder? Wegen einem umfangreichen Umbau war die Halle bis November 2019 geschlossen. Dann hattet ihr wieder vier Monate Konzertbetrieb bis März. Und dann?
Jan van Weegen: Seit März 2020 keine einzige Veranstaltung mit Publikum. Im Sommer hätten wir unter einem strengen Hygiene-Konzept bestuhlte Konzerte veranstalten können. Doch wir sind davon ausgegangen, dass die Leute sich erstmal draußen austoben wollen. Für den Herbst 2020 hatten wir Corona-konforme Konzerte geplant. Alles bestätigt und bereits in den Vorverkauf gegeben. Doch schon in der ersten Oktoberwoche mussten diese Pläne verworfen werden. Was typisch war für das Jahr 2020: Man plant aufwändig für einen Notbetrieb – und das wird von der neuen Entwicklung komplett über den Haufen geworfen.
Bei der letzten c/o pop-Messe wurden diese Hygiene-Konzepte ja ausführlich diskutiert …
Interessant, über was man sich damals aufgeregt hat. Ob da jetzt zwei Stühle nebeneinanderstehen dürfen oder nur noch Einzelstühle mit 1,50 Meter Abstand. Ein großes Debattenthema. Heute kann sich keiner mehr daran erinnern, über was wir damals überhaupt gestritten haben.
Wie geht ihr mit der aktuellen Situation um?
Stand jetzt heißt ja komplette „Betriebsuntersagung“. Die Frage nach konkreten Aktivitäten stellt sich also, Stand Anfang März, erstmal nicht. Still und starr ruht der See. Wir haben im Winter auch keine Streaming-Sachen gemacht. Das ist ja alles nett, nach dem Motto „Hallo, uns gibt es noch!“. Die Kollegen vom Blue Shell hatten neulich ein gestreamtes DJ-Set, das ich mir bei einem Glas Wein angeschaut habe. Immerhin 200 Leute sehen zu, was für eine überschaubare Community ein guter Erfolg ist. Doch insgesamt hat die Dynamik solcher Digital-Aktionen deutlich abgenommen.
Mit welchem Zeithorizont plant ihr für 2021?
Man muss mit Prognosen immer vorsichtiger werden. Die sind leider zu oft vor die Wand gefahren. Wir haben kürzlich ein paar Bandauftritte ohne Publikum für das c/o pop-Festival 2021 aufgezeichnet. Das wird Ende April digital ausgespielt. An Präsenzveranstaltungen wird dann ja noch nicht zu denken sein.
Somit wirkt eure Website wie ein Termin-Verschiebebahnhof. Wie läuft sowas konkret?
Wir mussten die Reißleine für die erste Jahreshälfte schon ziehen. Da müsste man JETZT alles konkret machen, Vorproduktion anschmeißen, Unterbringung und Logistik, das macht ja kein Mensch gerade. Grundsätzlich kommen die Vorgaben zum Verschieben bei größeren oder internationalen Touren von den Agenturen. Vieles ist bereits in den Herbst oder ins nächste Jahr verlegt. Das hängt ja von der Bereitschaft der Bands ab, wann sie wieder Termine anbieten wollen. Ob sie bereit sind, unter Hygiene-Auflagen zu spielen. Spekulieren wir auf den frühestmöglichen Zeitraum? Oder geht man von der Perspektive aus „alle sind geimpft“ und wir können im November normal spielen. Vor dem Hintergrund und der Hoffnung, dass dann schon normale Konzerte möglich sind, ohne lästige und Corona-reduzierte Kapazitäten. Man arbeitet lieber mit der Hoffnung, normale Touren planen zu können. Da haben wir einen stramm gefüllten Kalender … Oder ist selbst das zu heikel und man geht direkt in den Herbst 2022?
„Michael Gira hat gesagt: ‚Leute es reicht! Ich mache jetzt erstmal gar nichts mehr. Wenn der ganze Scheiß vorbei ist, schaue ich mal, ob ich noch jung genug für sowas bin‘“
Was bedeutet das für den internationale Betrieb, mit Bands aus den USA oder Australien?
Da ist einiges komplett abgesagt worden. Etwa The Swans. Das hätte im Mai 2021 stattfinden sollen und war schon ausverkauft. Das wurde dreimal verlegt, bis Michael Gira gesagt hat: „Leute es reicht! Ich mache jetzt erstmal gar nichts mehr. Wenn der ganze Scheiß vorbei ist, schaue ich mal, ob ich noch jung genug für sowas bin.“ Die denken ja in Dimensionen einer kompletten Europa-Tour, wie die kanadische Band Destroyer, ebenfalls bei uns fest gebucht, die jetzt bis auf weiteres keine Perspektive sieht.
Über den regionalen Verband „Klubkomm“ hast du auch die Gesamtlage im Blick. Wie sieht das für den Raum Köln aus?
Also noch hat hier kein Club die Brocken hingeworfen oder Insolvenz beantragen müssen. Noch sind alle am Ball. Aber es ist ein Beihilfe-Dschungel geworden. Die Regularien kann man als normaler Geschäftsbetrieb kaum mehr durchblicken. Selbst Steuerberater verzweifeln daran. Unser „Vorteil“ ist aber: Wenn man NULL Euro Einnahmen hat, ist man in der Denkweise der Behörden leicht einzuordnen und ein unkomplizierter Fall, was Überbrückungshilfe anbelangt. Somit konnten wir bislang auf das Angebot verzichten, die Hälfte der Miete zu stunden. Wir mussten bislang auch keinen Kredit der Förderbank KfW ziehen, wie einige andere. Das Alles setzt aber eine Wiederaufnahme des Betriebes spätestens im Herbst voraus.
Siehst du regionale Unterschiede im Förderungs-Dschungel?
Wo es starke Netzwerke gibt, sind neben den Bundesmitteln auch regionale Hilfen im Spiel. Da liegen oft Gelder beim Land oder der Kommune, doch da muss sich jemand darum kümmern. Das funktioniert in Hamburg, Berlin, Köln recht gut. Für ganz Nordrhein-Westfalen ist über die „Liveinitiative NRW“ noch ein zusätzlicher Fonds entstanden, der auf unser Drängen hin aufgemacht worden ist.
Welche Aktionen plant ihr für das Frühjahr?
Die unabhängigen Spielstätten haben sich im „Forum Veranstaltungswirtschaft“ mit den großen Playern zusammengerauft, die im Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV) organisiert sind, um gemeinsame Konzepte zur einheitlichen und verlässlichen Planung des Re-Starts zu entwickeln. Zudem müssen Maßnahmen, die vom Bund angeleiert werden, erstmal verstanden und für alle Beteiligten moderiert werden. Etwa: Wie geht es weiter mit der Überbrückungshilfe? Lässt sich im Etat von Frau Grütters, der Staatsministerin für Kultur, etwas nachschärfen? Etwa für die Aktion „Neustart Kultur“: Da sind Förderzeiträume festgelegt worden, bei denen mittlerweile klar ist, dass sich das gar nicht einhalten lässt. Ursprünglich hat man im August 2020 gedacht, man könnte damit den Betrieb jetzt wieder hochfahren. Niemand hat mit so einer langen Durststrecke gerechnet. Maßnahmen, die Ende August 21 enden sollten, müssen nun in Richtung 2022 revidiert werden. Sonst können wir die Mittel gar nicht sinnvoll einsetzen. Sonst ist das weg! Das betrifft eine Anschubfinanzierung, um wieder in die Gänge zu kommen. Der Bund trägt bis zu 90 Prozent der Produktionskosten und Gagen. Doch dafür muss es erst mal wieder Aktivitäten geben. Für viele Clubs liegt da Geld in Berlin, aber muss erst einmal dort liegen bleiben.