Classic Zero Light
Es platzte so manche Illusion in den 80er Jahren. Digital sei besser. Dylan könne keine miesen Platten machen. Coke bleibe Coke, die erfrischendbelebende Konstante im Kühlschrank der Menschheit. Die Sonne, der Mond, die Sterne, die Stones, Coca-Cola: immer schon dagewesen, nicht wegzudenken. Einskommadrei Milliarden Mal rann Coke unsere kollektive Kehle hinunter, täglich. Durst löschend, wohlschmeckend, Laune bessernd. Things go better with Coke – nie war ein Werbeslogan näher an der Wahrheit. Das perfekte Produkt, unmöglich zu optimieren.
Und doch wurde ebendas versucht. Ein Marketing-Genie in den Coca-Cola-Headquarters in Atlanta/ Georgia, brütete den Plan aus, die erfolgreichste Rezeptur in der Geschichte der Flüssigkeitsaufnahme zu verändern. Das Fiasko ereignete sich im Frühjahr 1985. Monatelang wurden die Konsumenten in Amerika auf die Stunde Null vorbereitet, ein Werbefeldzug ohnegleichen alarmierte noch den letzten Mohikaner, dann war es endlich soweit: New Coke wurde ausgeliefert. Im Tourbus der Ramones, mit denen ich just an jenem denkwürdigen Tag unterwegs war, gab es kein anderes Thema. Man hatte sich per Rider vom Veranstalter des abendlichen Gigs in Long Island ausbedungen, hundert gekühlte New Cokes vorzufinden. Und so erwartete uns eine Wanne mit Eiswasser und darin schwimmend die Verheißung. Auf die sich niemand stürzte, denn sie waren kultiviert, die Brudders. Es galt, diesen Moment auszukosten. Die Arbeit also zuerst, dann das Vergnügen. Eine Stunde Punk-Rock nebst Verausgabung später, die nassgeschwitzten Haare im Gesicht, gab Joey sein Bühnen-Kommando rückwärts: „4-3-2-1“, sagte er grinsend und griff sich eine Büchse. Es folgte viel Zischen, Gluckern und Prusten. Dann Schweigen. Und, in die Stille hinein, das vernichtendste aller Verdikte: „That’s fuckin‘ Pepsi“.
Der Rest ist Geschichte. New Coke wurde ein gigantischer Flop und verschwand schnell in der Versenkung, während das „alte“ Coke eilig wieder eingeführt wurde, als „Classic Coke“ den angestammten Platz des Marktführers zurückerobernd, bevor der Zusatz „Classic“ still und heimlich gestrichen wurde und alles wieder war wie immer. Nicht ganz: Die Coca-Cola Company hatte horrende Summen verschleudert, der Image-Verlust war immens. Und nicht nur die Ramones fragten sich: gabba gabba why?
Verschwörungstheoretiker lieferten plausible Erklärungen. Die am weitesten verbreitete besagt, Coca-Cola habe alles genauso geplant. Eine teure Finte mit dem Ziel, Coke eine Aura zu verpassen. Die des nicht mehr Verbesserbaren, back by public demand. Immerhin waren in Atlanta millionenfach Protestbriefe eingegangen, in Stadien hatte es Pfeifkonzerte gesetzt, wenn New-Coke-Commercials liefen. Seither ist Coke sakrosankt. Und wird nur noch Zielgruppen-spezifisch ergänzt.
Die aktuelle Erweiterung der Produktpalette des Imperiums heißt „Coke Zero“, verzichtet auf Zucker und buhlt um die Gunst kalorienbewusster Männer, die nicht in Verbindung mit ihrer femininen Seite stehen und lieber tot wären als tuntig. Kernige Kerle mit Kastrationsängsten halt, die „Coke light“ allenfalls mal für ihre Tussi bestellen. Schwarz ist daher das Etikett von „Coke Zero“, die Anmutung streng maskulin. Geschmacklich näher an der Diät-Brause für Mädchen als am echten Coke – was bei der Verwendung desselben Süßstoffs Aspartam nicht weiter verwundert -, ist „Zero“ dennoch ein Renner in Amerika und Australien. Down under wurde auch der Spot produziert mit dem Schreihals im Bus, der ins Meer katapultiert wird. Nervt beinahe stündlich im Fernsehen. Laddism rules: „Bloke Coke“, so wird die Limonade im UK landläufig genannt, kommt dort ebenfalls primär bei jungen, Sport-sozialisierten, homophoben Männern an. Auch bei uns keine Minderheit, obschon sich der Proll-Nachwuchs hierzulande ungleich biederer gibt. In Frankreich ficht man mit dem Florett der Ironie, bedient sich des bourgeoisen Genußsprechs von „Bouquet“ und „Abgang“ bei der ritualisierten Coke-Probe. Hübsch dekadent. Würde hier nicht funktionieren, die Toskana-Snobiety duldet keine Coke-Trinker in ihren Kreisen, weder light noch Zero. Wohl nicht einmal BlaK, das neueste und edelste Coke, mit Kaffee-Essenz. Gerade in Amerika lanciert, bald weltweit nachgefragt. Coca-Colonialismus? Aber lecker.