Chronist der Kieze und Rebell gegen das Kino der Massen: Regisseur Klaus Lemke ist tot
Seine Filme waren Milieustudien; seine Protagonisten Kneipenkaiser, Prahlhänse und Maulhelden. Bis zuletzt arbeitete Lemke fast ausschließlich mit Laien zusammen, die er in den Straßen von München-Schwabing bis St. Pauli aufspürte.
Für ihn bestimmte ein einfacher Dreisatz, was einen guten Film ausmacht: „Ein guten Busen, ein schlechten Regisseur – und kein Drehbuch.“ Am Donnerstag (7. Juli) ist der Filmschaffende Klaus Lemke in München im Alter von 81 Jahren gestorben.
Im Krieg geboren, auf dem Kiez gelebt
Im heute polnischen Landsberg an der Warthe wurde er im Jahre 1940 in den Krieg hineingeboren; aufgewachsen ist er in Düsseldorf. Als Halbstarker verdingte er sich in Berlin als Asphaltierer. Ein Studium der Kunstgeschichte und Philosophie hat er nach zwei Semestern hingeschmissen, als Regieassistent bei den Münchner Kammerspielen wurde er wenige Tage nach seiner Einstellung von Fritz Kortner vor die Tür gesetzt – bis an sein Lebensende verstand sich Lemke als anti-intellektuell.
1965 entstand sein erster Kurzfilm „Kleine Front“, sein Langfilmdebüt zwei Jahre später trägt den Titel „48 Stunden bis Acapulco“ – in Hollywood wäre die Hauptrolle wohl mit Robert Mitchum besetzt worden. Lemkes populärster Streifen aber erschien im Jahre 1972: Die Darsteller für die Kiezkomödie „Rocker“ entdeckte er auf der Reeperbahn – sowohl die Bikergang „Bloody Devils“, als auch den 15-jährigen Streunerjungen Hans-Jürgen Modschiedler. Bis zuletzt arbeitete Lemke fast ausschließlich mit Laien zusammen, die er in den Straßen von München-Schwabing bis St. Pauli aufspürte. Zu seinen Entdeckungen zählen Fernsehstars wie Wolfgang Fierek und Cleo Kretschmer. Ende der Sechziger lernte er auch die junge Iris Berben im LSD-Rausch kennen – und engagierte sie 1969 für sein Drama „Brandstifter“.
Von Kneipenkaisern, Prahlhänsen und Maulhelden
Was Udo Lindenberg für die Musik war, das war Klaus Lemke für das Fernsehen: So brachte er die Jugendsprache in die verpieften Wohnzimmer des Landes. Seine Filme waren Milieustudien; seine Protagonisten Kneipenkaiser, Prahlhänse und Maulhelden. Auch Sex durfte nie zu kurz kommen. Abgeschaut hatte er sich diese Art zu erzählen im französischen Kino – bei Regisseuren wie François Truffaut und Jean-Luc Godard. Was er für seine Auslegung der Nouvelle Vague nicht brauchte, waren ein ausgearbeitetes Drehbuch oder gar Subventionen. Nichts lag ihm ferner, als das Förderroulette des ihm verhassten „Staatskinos“ mitzuspielen. Jeder am Set – vom Statisten über den Kameramann bis zu ihm selbst – bekam den gleichen Sold: 50 Euro am Tag. Das Geld nahm er zunächst einmal aus seiner eigenen Tasche – so lange, bis nichts mehr da war. Mit dem halbfertigen Streifen ging er dann zu einem deutschen Fernsehsender (meistens dem ZDF oder WDR), verkaufte ihn und drehte mit dem gerade eingenommenen Salär zu Ende. Alleine seit der Jahrtausendwende entstanden nach dem immer gleichen Muster über 20 Filme.
„Kunst kommt von küssen“
Rund 40 Jahre lang lebte Klaus Lemke in einer Einzimmer-Wohnung in seinem geliebten Schwabing. Weil es darin kein fließendes Wasser gab, verrichtete er seine Dusche in einem Fitness-Studio auf der Leopoldstraße. Ende Juni ist er noch einmal beim Filmfest München aufgetreten – das Gesicht eingefallen vom jahrzehntelangen Konsum aller Substanzen, die der Giftschrank bereit hält. Er könne nicht mehr gut laufen, sagte er vor zwei Wochen und hielt ein Pappschild in seinen Händen: „Kunst kommt von küssen“.