Christian Kracht – An der Kokosnuss sollt ihr genesen
Christian Kracht fabuliert in "Imperium" die Geschichte eines spinnerten deutschen Kolonialisten - die hat sich aber tatsächlich ereignet.
Den Tonfall kennt man aus Abenteuerschmökern der Jahrhundertwende um 1900, aber durchaus auch aus den umständlichen, gediegenen Ausführungen des allwissenden Erzählers bei Thomas und Heinrich Mann, Joseph Conrad, Stefan Zweig und später – als Parodie schon – im überlegen-süffisanten Plauderton von Vladimir Nabokov. Der Nürnberger August Engelhardt, im Deutschen Kaiserreich ein Fremdling, reist 1902 nach Papua Neuguinea, von den Kolonialisten Neupommern genannt. In Hermannshöhe geht er an Land, wird bestohlen, rettet seine in Kisten über den Ozean transportierten Bücher und kauft auf der Insel Kabakon eine große Kokospalmen-Plantage, auf der er die Eingeborenen arbeiten lässt.
Dieser Engelhardt ist ein Spintisierer und Esoteriker, der in Deutschland nie dazugehörte und dessen Sensibilismus stets verspottet wurde; er glaubt an die Kraft der Kokosnuss (denn sie ist die am höchsten wachsende Frucht) und die Wonnen der Sonnenstrahlen, weshalb er in Polynesien nackt bis auf einen Lendenschurz herumläuft, in Hermannshöhe das Palmöl pressen und abfüllen lässt und seinen Arbeitern Schuldscheine ausschreibt, mit denen sie einkaufen können. Ein anderer ausgerissener Exilant erweist sich als homosexueller Nackedei, der einen einheimischen Knaben vergewaltigt und dafür von Engelhardt – so insinuiert der Erzähler – erschlagen wird. Und ein weiterer unverstandener Hypochonder, der Pianist Max Lützow, wird von den schwitzenden Damen in Hermannshöhe ebenso zu Schlagern und „Carmen“ genötigt wie in der Heimat.
Das Szenario nimmt sich aus wie das schönste von Christian Kracht ausgedachte Schelmenstück mit blasiertem bis hirnverbranntem Personal, zivilisationsmüden Trotteln, jovialen Sklaventreibern, komischen Heiligen, herrischen Schwätzern und dämlichen Sonnenanbetern – sie alle traten in seinen früheren Romanen auf. Doch diesmal hat Kracht zwar die Details der Handlung erfunden – jenen August Engelhardt aber gab es wirklich, und er begründete tatsächlich die Lehre des Kokovorismus: Wenn der Mensch ausschließlich diese göttliche Frucht esse und sich den lieben langen Tag von der Sonne bescheinen lasse, werde er gesunden. Auf konkurrierende Alternativ-Religionen und Heilslehren reagiert der Asket sehr intolerant; Kracht delektiert sich an den kleinen Dingen: „… seine Fingernägel knabberte er ab, dies war mitunter das einzige tierische Eiweiß, das er zu sich nahm, und wir würden ihm diese kleine Form der Auto-Anthropophagie ruhig nachsehen und vor allem unerwähnt lassen, wenn sie nicht eine gewisse Symbolhaftigkeit frühzeitig zum Ausdruck brächte.“
So hat der Dichter diebischen Spaß daran, die Diktion nachzuahmen und en passant Thomas Mann, Hermann Hesse und Franz Kafka zu veralbern, die in dieser literarischen Fingerübung in amüsanten Vignetten erscheinen. Während Krachts Reise-Feuilletons im „Gelben Bleistift“ komplett wie Erfindungen wirken, möchte man diese Kolonial-Posse beinahe glauben. Der Erzähler spinnt raffiniert seine Farce, die in leichtem Kammerton von der Hybris und Grausamkeit des folgenden, des 20. Jahrhunderts erzählt.
Christian Kracht: „Imperium“. Der Roman (150 Seiten) ist beim Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, erschienen und kostet 18,90 Euro.