Chrissie Hynde – The Pretenders
Wenn das Slamdancing nicht sofort aufhört, verlassen wir augenblicklich die Bühne“, wettert Chrissie Hynde von der Bühne des Hollywood Palladium. Die Pretenders hatten das typische L.A.-Trend-Publikum zum Kochen gebracht, als eine mächtig abgetörnte Hynde mitten im Song abbricht und ins Mikro wütet: „Das hier ist kein Grunge- oder Alternative-Konzert! Wir spielen Musik hier! Bin ich etwa Courtney Love? Habe ich falsche Titten? Ich bin 43 Jahre und zu alt für diesen Scheiß.“
Sollte Hynde, als coole Übermutter aller riot grrrls verehrt, etwa zahnlos geworden sein? Nicht die Spur. Auf ihrer Tour durch die USA bewiesen die Pretenders, daß sie nichts von ihrem alten Biß verloren haben. Und während man im Laufe der letzten zehn Jahre den Eindruck gewinnen konnte, daß der Name Pretenders und Chrissie Hynde identisch seien, ist inzwischen ein runderneuerter Martin Chambers auf den Drumstuhl zurückgekehrt. Und auch Gitarrist Adam Seymour und Bassist Andy Hobson, die die verstorbenen James Honeyman-Scott und Pete Farndon ersetzen, brauchen sich hinter ihren Vorgängern weiß Gott nicht zu verstecken.
Chrissie Hynde, mit einem Urge Overkill-Shirt bekleidet, unterbricht backstage ihre „Reader’s Digest“-Lektüre, um ein bewegtes Jahr Revue passieren zu lassen.
Man hat den Eindruck, daß das Jahr 1994 die „Frauen im Rock“ ein gewaltiges Stück weitergebracht habe. Und trotzdem wurdest du unlängst mit den Worten zitiert, daß du lieber über Pizza als über „Frauen im Rock“ sprechen würdest.
Ich bin an dem Thema „Frauen im Rock“ durchaus interessiert. Aber seien wir doch mal ehrlich: Wenn du eine Platte hörst, sagst du doch auch nicht: „Wow, hör mal diese geilen Titten bei der Gitarrenarbeit!“ Was mich bei der sogenannten „Alternative Scene“ etwas nervt, ist die verbreitete Einstellung, man müsse nur smart und hip genug sein, um in einer Rockband zu spielen. Jedenfalls behaupten das viele dieser Mädels. Es gibt da eine kleine Zutat, die oft übersehen wird – und die wir früher Talent nannten. Jede Frau möchte ein Rockstar sein, aber bitte: Wenn du es einfach nicht draufhast, arbeite lieber doch hinter einem Schreibtisch. Für meinen Teil habe ich jedenfalls das Urteil über die „alternative music“ gefallt: Das ist in den meisten Fällen wirklich nur eine Alternative zur Musik.
Andererseits hast du für Liz Phair etwa sehr positive Worte gefunden…
Ich habe sie sogar gefragt, ob sie mit mir auf Tour gehen will. Alle sagen mir, sie habe auf der Bühne die Hosen voll – was ich bei den ersten zwei-, dreihundert Konzerten auch hatte. Also dachte ich mir: „Hmm, sie kann mir helfen, den Ticketverkauf anzukurbeln, weil ich nun mal ein Dinosaurier bin – und ich könnte ihr helfen, den Druck und die Bühnenangst abzubauen.“ Ich bebe Liz‘ Songs und bin mir sicher, daß sie auch live ein Abräumer ist. Als ich sie drauf ansprach, war sie hellbegeistert, aber dann stellte sich raus, daß nicht genug Geld da war, um die Pretenders gleich nochmal auf Tour zu schicken.
Inzwischen hast du nicht nur auf der Bühne eine Vielzahl von geistesverwandten Kolleginnen – auch in punkto Tierschutz stehst du ja plötzlich nicht mehr allein da…
Als ich 1969 Vegetarierin wurde, kannte ich keinen anderen; inzwischen gibt’s sie wie Sand am Meer. Ich glaube nach wie vor, daß die Menschen geistig zurückgeblieben sind. Ich bin noch immer ganz baff, wenn ich einen Fleischesser treffe. Aber statt über ihr eigenes Leben und ihren eigenen Planeten nachzudenken, lassen sich die Leute volldröhnen von all dem Dünnschiß, den ihnen die Medien vorsetzen.
Ich schließe daraus, daß du zu den wenigen zählst, die nicht den O.J.Simpson-Prozeß verfolgen.
Ich weiß noch immer nicht, wer er ist. Und will’s auch gar nicht wissen. Wenn ich eine Situation positiv beeinflussen kann, kannst du Gift drauf nehmen, daß ich es auch tun werde. Wenn ich das aber nicht kann – warum sollte ich mir damit meine Gehirngänge verstopfen?
Hast du irgendeine Form von Enthusiasmus verspürt, als Bill Clinton ins Amt gewählt wurde?
Von Clinton weiß ich nur, daß er früher jeden Morgen zu McDonald’s gejoggt ist. Und das hat mir nicht gerade Hoffnung gegeben.
Stimmt die Meldung, daß du der Tierschutzorganisation PETA die Rechte an der Vermarktung deiner Person für den Fall deines Todes übertragen hast? Ja, ich habe das in mein Testament aufnehmen lassen, nachdem ich miterleben mußte, was für einen Wirbel die PETA-Anzeigen mit River Phoenix und Kurt Cobain auslösten. Die River Phoenix-Anzeige hieß „I wouldn’t be caught dead in a fur“, und die von Cobain „You need a fur like you need a hole in the head“. River hätte sie geliebt und Kurt, den ich privat nicht kannte – obwohl ich seine Musik sehr schätze -, vermutlich auch. Er war ein Punk, und diese Anzeigen sprachen einfach den Punk in mir an. Sid Vidous hätte sie aus ganzem Herzen geliebt Ich bin aus allen Wolken gefallen, als Courtney Love der PETA Kurts Anzeige verbot Sie, die Kurt bei seiner Beerdigung ein Arschloch nannte? Das war krank für mich.
Hast du je daran gedacht, den Namen Pretenders aufzugeben und die Gruppe in The Chrissie Hynde Experience umzutaufen?
Ich bin an Chrissie Hynde nicht interessiert; ich würde mir auch kein Konzert von ihr anhören. Ich mag Bands. In den frühen Jahren hätte ich mir nie vorstellen können, den Namen Pretenders beizubehalten, wenn auch nur einer die Band verlassen hätte. Pete und Jimmy dann in einem Jahr zu verlieren war eine traumatische Erfahrung. Zusammen haben wir unseren Sound kreiert; das war kein Chrissie Hynde-Sound.
Siehst du Probleme, als Rock’n‘ Roller älter zu werden? Als ich 32 war, schrieb ich: „Tm not the kind I used to be/I’ve got a kid, I’m 33.“ Heute singe ich einfach: „Fve got two kids, I’m 43.“ Und wenn einem das nicht paßt, dann soll er gefälligst vorne zur Bühne kommen, und dann gebe ich ihm sein Eintrittsgeld zurück.“