Chris Whitley: Leben und Tod des Visionärs mit der Resonator-Gitarre

Chris Whitley war ein Ausnahmetalent. Leider erkannte das die Musikindustrie nie wirklich.

„Ein Visionär, der mit archetypischen Symbolen und klassischen Riffs seine eigene düstere amerikanische Mythologie erschafft“, lobte der US-amerikanische ROLLING STONE den Sänger, Gitarristen und Songwriter Chris Whitley einst. „Whitley ist eindeutig ein troubled mind – fünf Teile altmodische Religion, fünf Teile schmutziger Sex und zehn Teile Schuld und Leid. Nick Cave würde wahrscheinlich töten, um er zu sein“, schrieb „The Independent“.

Unter Kollegen wie Dave Matthews, Daniel Lanois (der ihm zu einem Plattendeal mit einem Majorlabel verhalf), Iggy Pop, John Mayer oder Bruce Hornsby war er ausgesprochen hoch geschätzt, seine Anhänger verehrten ihn – das große Publikum sollte Chris Whitley (trotz eines Major-Deals früh in seiner Karriere) nie finden. Wir werfen einen Blick auf Leben und Tod eines einzigartigen Sängers, Gitarristen und Songschreibers, der am Ende das Gefühl hatte, gescheitert zu sein.

Chris Whitley: Seine Anfänge

Christopher Becker Whitley wurde am 31. August 1960 in Houston, Texas, geboren. Sein Vater war Art Director in der Unternehmenswerbung, seine Mutter Bildhauerin und Malerin. Whitley hatte zwei Geschwister: einen drei Jahre jüngeren Bruder namens Dan und eine Schwester namens Bridget. Whitley wuchs im texanischen Houston auf, später zog die Familie jedoch nach Connecticut um.

1971 trennten sich seine Eltern, Whitley und seine Geschwister lebten fortan mit ihrer Mutter ein unstetes Leben – so wohnte die Familie unter anderem in Hippiekommunen in Mexiko, Oklahoma und Vermont.

Whitley 1992 in Den Haag

Chris Whitley begann im Alter von 15 Jahren Gitarre zu spielen. Über seine frühen Einflüsse erzählte er einmal dem US-amerikanischen ROLLING STONE: „Ich bin mit Johnny Winter aufgewachsen, und deshalb habe ich mich auch für The National interessiert. Aber ich stand mehr auf den ländlichen elektrischen Blues, wie Howlin‘ Wolfs Smokestack Lightnin‘ und den Ein-Akkord-Sound des frühen John Lee Hooker. Und Elmore James, wobei es nicht um die Gitarre geht, ich liebe seinen Gesang. Ich hatte nie eine stilistische Beziehung zum Blues, und er interessiert mich auch nicht mehr, weil er für mich seit Jimi Hendrix nicht mehr lebenswichtig zu sein scheint.“

Learning by writing

Wie Whitley betont, habe er das Gitarrenspiel vor allem beim Schreiben von Songs erlernt. „Mein Spiel wurde von den Dingen beeinflusst, die ich als Kind gehört habe, aber ich erfinde alle meine eigenen Akkorde, und es gibt selten Solos in meinen Stücken – ich bin nicht wie ein Blues-Gitarrist, der ein Solo wie Clapton oder Stevie Ray oder B. B. King spielt. Das mache ich nie. Wenn es ein offenes Break in einem Song gibt, ist es kein sauberes Solo, sondern eher eine Textur, ein einfaches Slide-Ding oder ein Haufen Lärm. Ich glaube, als Kind war der Einfluss von Jimmy Page sehr stark, weil er das Gitarrenspiel so strukturiert gespielt hat. Es ging viel mehr darum, wie die Gitarre klang, als darum, wo die Soli waren und so“, zitiert die Website „allthingschriswhitley.com“ den Musiker.

New York und die Begegnung mit Daniel Lanois

1977 zog Whitley nach New York und begann, Straßenmusik zu machen. Nach einigen Jahren in der US-Metropole verbrachte er einige Jahre in Belgien, wo er mit den Bands Kuruki, 2 Belgen, Nacht Und Nebel sowie Alan Fawn spielte. Nach sechs Jahren zog er zurück nach New York. Dort sollte es eine schicksalhafte Begegnung mit dem kanadischen Produzenten und Musiker Daniel Lanois sein, die seiner Karriere nach vorne half. Lanois hörte Whitley bei einem Live-Konzert und zeigte sich begeistert. Lanois verhalf ihm zu einem Plattenvertrag mit Columbia Records – und Whitley arbeitete an seinem Debütalbum.

Das Debütalbum „Living With The Law“

Chris Whitleys Debütalbum Living with the Law erschien 1991 und war mit den Stücken „Living with the Law“, „Big Sky Country“ und „Poison Girl“ drei Singles ab. Das Album wurde von Malcolm Burn produziert, der auch am Mix mitarbeitete. Burn, ein enger Vertrauter von Daniel Lanois, spielte selbst auf dem Album und nahm es gemeinsam mit Toningenieur Mark Howard auf. Die Aufnahmen fanden im Daniel Lanois’ Kingsway Studio in New Orleans statt.

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„Living With The Law“ sorgte durchaus für Aufmerksamkeit, Whitley selbst aber war nicht gänzlich glücklich damit, da er fand, es habe sein Wesen nicht richtig eingefangen. „Ich denke, [das Album] ist sehr anhörbar und ich mag es, wie es klingt. Es klingt nicht wirklich nach mir, zumindest nicht vollständig. Es hat Elemente von mir, aber es ist nicht ganz so, wie ich bin. Ich habe das Gefühl, dass die Platte viel quälender ist, als sie sich anhört, ganz ehrlich“, erklärte er in einem Interview mit „Times-Picayune“. Die Bilder, die das Album zeichnete, seien „zu niedlich für das, wovon die Songs eigentlich handeln“, heißt es darin etwa.

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Chris Whitley: Weitere Alben und Ende des Major-Deals

Es sollte vier Jahre dauern, bis Whitley mit Album Nummer zwei nachlegte. „Din of Ecstasy“ war anders als sein Vorgänger, noiselastiger, rauer, mehr Grunge als reine Singer/Songwriter-Musik. Ein großer kommerzieller Erfolg wurde es nicht – ebenso wenig wie der Nachfolger „Terra Incognita“ im Jahr 1997. Danach wurde Whitley von Columbia Records fallen gelassen. „Ich war so naiv zu glauben, ich könnte einfach nur Platten machen, und vergaß dabei, dass es sich um eine Marketingwelt handelt und (Musik) eine Ware ist. Es geht nicht darum, so kreativ wie möglich zu sein. Es sei denn, man will fallen gelassen werden“, erzählte Whitley einmal.

Ohne Majorlabelvertrag veröffentlichte Chris Whitley das bemerkenswerte Album „Dirt Floor“. Whitley nahm das Album innerhalb von zwei Tagen live auf einen Zwei-Spur-Analogrekorder auf. Als Studio fungierte die Scheune seines Vaters, aufgenommen wurde mit einem einzigen Stereo-Bändchenmikrofon. Veröffentlicht wurde das Album über das kleine Independent-Label Messenger Records. „Dirt Floor“ zeigte mit grandiosen Stücken wie „Scrapyard Lullaby“ oder „Wild Country“ die puristische Blues-Seite Whitleys – rau, ungestüm und hochdynamisch.

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Jedes Jahr ein Album

Whitley blieb für den Rest seines viel zu kurzen Lebens ein Indie-Artist und veröffentlichte bis zu seinem Tod jedes Jahr einen Longplayer: 1999 „Live at Martyrs’“, 2000 das tolle Cover-Album „Perfect Day“, 2001 „Rocket House“, 2004 „Hotel Vast Horizon“, 2005 „Soft Dangerous Shores“ und posthum 2006 „Reiter In“.

Whitley im Jahr 1991

Umzug nach Deutschland

2001 zog Whitley nach Dresden – weil seine Freundin Susann Bürger dort wohnte. Bürger verhalf ihm in Deutschland zu Konzerten. Mit Heiko Schramm (Bass) und Matthias Macht (Drums) fand Whitley eine Band, mit der er unter anderem das großartige Album „Hotel Vast Horizon“ aufnahm. Leider verschlimmerte sich in Deutschland Whitleys Alkoholismus – besonders der Tod seiner Mutter im Jahr 2004 ließ Whitley mehr und mehr zur Flasche greifen.

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Whitleys Privatleben und sein früher Tod

Während seiner Zeit in Belgien heiratete Whitley die Musikerin Helen Gevaert, mit der er eine Tochter bekam. Trixie Whitley ist ebenfalls Musikerin und verfolgt eine Solokarriere. Außerdem spielte sie mit Daniel Lanois in dessen Projekt Black Dub. Die Ehe mit Gevaert wurde 1995 geschieden.
Nach vier Jahren in Deutschland unternahm er 2005 eine, wie sich herausstellen sollte, letzte Tour durch die USA. Eine Rückkehr für mehr Shows in den USA im selben Jahr musste abgesagt werden: Bei Whitley wurde Lungenkrebs im Endstadium diagnostiziert.

Wie verzweifelt und depressiv Whitley am Ende seines Lebens war, zeigt die nie offiziell fertiggestellte , aber dennoch auf YouTube zu sehende Doku „Dust Radio“. Dem Filmemacher Jonathan Mayor gab Whitley sein letztes Interview. Das Setting ist traurig, Whitley sitzt auf einer Matratze in einem kargen Raum, sichtlich angetrunken. Er nimmt immer wieder einen Schluck as der Flasche, er hustet, schimpft, schmeißt seine Gitarre relativ heftig auf den Boden. „Er war sehr deprimiert“, erinnerte sich Mayer gegenüber „Loudersound.com“, und fuhr fort:  „Gleichzeitig hatte Chris aber auch eine Seite, die nicht verblasste – ein immenses Potenzial, Schönheit in der Kunst und der Zukunft zu sehen. So schlimm es auch war, seine Kreativität und sein Kampfgeist waren ungebrochen. Es war eine schwierige Situation. Er trank viel und hatte nicht viele Möglichkeiten. Er hatte das Gefühl, dass er sich sehr bemüht hatte, etwas sehr gut zu machen, und dass er dafür viel geopfert hatte. Ich glaube nicht, dass er jemals Musik gemacht hat, um finanziell erfolgreich zu sein, aber er fühlte sich betrogen, nicht von irgendjemandem im Besonderen, sondern von einer Welt, in der das Realität sein könnte.“ Wenige Wochen nach dem Interview, am 20. November 2005, starb Chris Whitley im Alter von 45 Jahren.

Daniel Lanois: „Ich werde mich immer an seine Schönheit erinnern“

„Chris ist ein Beispiel für eines der Dinge, die mich an der Plattenindustrie entsetzen – und leider ist es eine Industrie. Wie kann ein Talent wie er relativ unbemerkt bleiben? Nur wenige Sänger haben eine eigene Persönlichkeit, und Chris ist durch und durch sein eigener Mensch. Ehrlich gesagt, empfinde ich mehr Leidenschaft für seine Musik als für meine eigene. Meiner Musik gegenüber bin ich kritisch. Aber ich habe eine glühende, religiöse Verehrung für die Magie, die Chris erzeugt“, schwärmte US-Superstar Dave Matthews einmal von Whitley. Sein Freund Daniel Lanois schrieb nach seinem Tod im Paste Magazine: „Chris Whitley, mein Freund seit 1988. Die tiefe Seele, mit der er besegnet war, ist die Seele, die ihn auf seinem Lebensweg herausforderte. Ich werde mich immer an seine Schönheit erinnern.“

Frans Schellekens Redferns
Michael Brennan Getty Images
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