Chris Taylor (Cant, Grizzly Bear) im Interview: „Was habt ihr bloß mit Phil Collins?“
Chris Taylor ist der Bassist von Grizzly Bear, Produzent mit eigenem kleinen Label und nun auch Songschreiber: Am 9. September ist unter dem Namen Cant sein Solodebüt "Dreams Come True" erschienen. Hier unser Interview samt Albenstream.
Chris Taylor sitzt etwas windschief auf einem Holzstuhl im Hinterhof-Biergarten eines Restaurants in Berlin-Mitte und wuschelt sich die Haare. Für die „Fave Raves“ in der September-Ausgabe des Rolling Stone hat er gerade seine Lieblingsalben aufgezählt, er hat sie säuberlich in sein Notizbuch gekritzelt. Darunter: Hip Hop, frischer Electro-Pop, zwei Klassiker von Arthur Russell und Radiohead.
Taylor ist nicht nur Bassist der populären Neo-Folk-Band Grizzly Bear, er hat auch deren Alben produziert und Bands wie den Dirty Projectors oder den Morning Benders einen stimmungsvollen Sound verpasst. Nun hat Taylor, 30, auf seinem eigenen Label Terrible Records sein erstes Solo-Album vorgelegt.
„Dreams Come True“, das es seit letztem Freitag zu kaufen gibt, ist ein Tausendsassa-Album mit kühnem Bastel-Pop: Kühl, holprig, funky, widerspenstig, flüchtig. Ein Gespräch über Grizzly Bear, die Angst vor Kritik und drei seiner Lieblingskünstler: Die deutschen DAF, Arthur Russell und Zola Jesus.
Man weiß von dir, dass du bei Grizzly Bear Bass spielst und die Alben „Yellow House“ und „Veckatimest“ produziert hast. Wie würdest du deine Rolle in der Band beschreiben?
Chris Taylor: Nun, ich spiele Instrumente und denke als Produzent gleichzeitig viel über unseren Klang nach. Natürlich fällt mir dabei auch ganz besonders die Aufgabe zu, die unterschiedlichen Vorstellungen und Geschmäcker der vier Bandmitglieder zu koordinieren und zu verbinden. Es ist eine Rolle, die ich gerne ausfülle und in der ich respektiert werde, gerade weil sich Grizzly Bear so nicht mit einem externen Produzenten herumschlagen müssen, für die ein Album nur eine Auftragsarbeit wäre. Ein Album wird so zu so etwas wie einem Gemälde, dass wir zusammen malen.
Für dein Soloprojekt Cant hast nun erstmals Songs geschrieben. Das ist sicherlich noch einmal etwas anderes als an einem Bild mitzumalen.
Ich hatte wirklich eine Höllenangst davor, selbst Songs zu schreiben. Aber so ist das im Leben: Alles, was dir wirklich etwas bedeutet, ist mit großer Anstrengung, mit Kampf verbunden. Sei es die Liebe oder das Verhältnis zu deiner Familie und zu dir selbst. Insofern war es gut, dass ich mich gezwungen habe, diese Songs zu schreiben.
Warum gab es bisher keinen Song von Chris Taylor auf einem Album von Grizzly Bear? Steckt so viel Diplomatie in dieser Band?
Es gibt schlichtweg nicht einen Autor hinter einem Song von Grizzly Bear, jedes Stück ist eine Übereinkunft von uns vieren. Das kann ganz schön dauern, bis wir diese erreichen.
Die Songs von Cant unterscheiden sich erheblich vom Output von Grizzly Bear.
Das liegt daran, dass all meine musikalischen Einflüsse und stilistischen Vorlieben bei Grizzly Bear bisher nur indirekt einfließen konnten. Ich habe mich für „Dreams Come True“ bewusst für Instrumente entschieden, die ich bei Grizzly Bear nicht nutzen kann. Verrückte analoge Synthesizer zum Beispiel, oder einen polternden Drumcomputer – der würde unseren Schlagzeuger arbeitslos machen. Es war erfrischend, einmal keine Kompromisse eingehen zu müssen. George Lewis Jr. hat mich in dieser Einsicht auch bestärkt.
Wie lief die Zusammenarbeit mit Lewis alias Twin Shadow genau ab? Sein Album „Forget“ ist ja auch auf deinem Label Terrible Records erschienen.
Wir haben Sounds und Songideen gesammelt, sortiert, geschichtet. Es war, als hätten wir zusammen ein Ei aufschlagen. George ist danach mit „Forget“ auf Tour gegangen. Und ich konnte mich entscheiden, was ich mit dem rohen Ei machen wollte: Rührei, ein Omelett, eine Quiche. Die Songs habe ich dann allein fertigproduziert.
In einem anderen Interview hast du dich beklagt, dass es dir unheimlich schwer fallen würde, Songs zu beenden.
Um ehrlich zu sein: Ich hatte einfach Angst, dass man die Songs nicht mögen würde. Vielleicht bin ich lange einfach nicht wirklich kritikfähig gewesen. Dabei habe ich mittlerweile an so viel populärer Musik mitgearbeitet, dass ich mich eigentlich nicht mehr derart unter Druck setzen muss. Das Cant-Album habe ich zuerst Freunden vorgespielt, die nichts mit Musik zu tun haben. Sie haben meine Persönlichkeit in den Songs wiederentdeckt. Danach war ich nicht mehr beunruhigt.
Diese vermeintliche Unsicherheit kann man auch umdeuten: Der offene Charakter der Cant-Songs macht sie recht ungewöhnlich und spannend.
Das ist gut, denn vorhersehbar wollte ich nie klingen. Vielleicht bin ich deshalb so ein unruhiger Typ, der ständige Herausforderung braucht. Nur so lerne ich dazu.
Die Einflüsse für „Dreams Come True“ weisen noch einmal über die Lieblingsplatten hinaus, die du zu Beginn genannt hast: Man kann modernen R’n’B hören, Radiohead in ihrer Amnesiac-Phase und – ich weiß nicht, wie ich es sagen soll – auch Anflüge von Genesis.
Genesis? Du bist heute schon der Zweite, der das sagt. Ihr Deutschen seid doch verrückt. Was habt ihr bloß immer mit Phil Collins? Aber das ist cool, ich sollte mehr Genesis hören. Sicherlich spielst du damit auf den Song „Believe“ an. Dabei schwebte mir aber eher ein Update eines Songs von Otis Redding vor.
Auf dem Album sind unkonventionelle Piano-Balladen, sehr distinktive Pop-Songs und auch elektronische Spielereien. Grizzly-Bear-Alben erscheinen bei Warp. War da ein Act des Labels Vorbild in Sachen Elektronik?
Nein. Der Track „Dreams Come True“ ist zum Beispiel sehr von deutschem Industrial beeinflusst. Ich bin seit Jahren ein großer Fan von DAF. Vor einem Jahr war ich in Berlin und ein Kreuzberger Hipster-Bar lief natürlich DAF. Aber in Amerika kennt die Band kein Mensch.
Wusstest du, dass DAF wieder aktiv sind? Sie spielen immer wieder Konzerte in Europa.
Wow, willst du mich verarschen? Die Leute auf den Konzerten müssen doch ausrasten. Mann, bin ich neidisch. Ich glaube, ich würde nach Deutschland ziehen, nur um einmal DAF sehen zu können. Aber du hast mich nach elektronischen Einflüssen gefragt: Genau kann ich das nicht sagen. Auf der Europatour mit Grizzly Bear bin ich oft nachts noch in Clubs tanzen gegangen. Das war toll: Kein Mensch kannte mich. Jedenfalls mag ich Detroit Techno, Minimal, House aus den 80er Jahren. Das schöne ist, dass dich diese Musik aus deinem normalen Leben herauslöst. Es ist eine physische Flucht – wie Yoga. Dieses Feeling wollte ich auch auf meinem Album haben.
Du betreibst auch das Label „Terrible Records“; und hattest mit „Forget“ von Twin Shadow schon ein erstes kleines Hit-Album. Was muss ein Künstler haben, dass du ihn unter Vertrag nimmst?
Wir wollen organisch wachsen. Mein Label-Partner Ethan und ich wollen Musik veröffentlichen, hinter der wir persönlich stehen und die wir würdig vertreten können.
Du hast auch eine Single mit einem bislang unveröffentlichten Song des Avantgarde-Pop-Musikers Arthur Russell veröffentlicht, der 1992 gestorben ist. Was fasziniert dich an ihm?
Vor allem der Soul in seinen Songs. In ihnen steckt so viel Herzblut, man hört das sofort. Und sein minimalistischer Ansatz. Es ist schade, dass er zu Lebzeiten nicht die Anerkennung bekommen hat, die er verdient gehabt hätte. Aber es ist schön, dass ihn jetzt immer mehr Menschen entdecken. Würde „Calling Out Of Context“ heute veröffentlicht, die Leute würden vor Begeisterung ausflippen.
Gibt es einen Künstler dessen Album du gerne produzieren würdest?
Ja, Zola Jesus! Sie ist so cool. Aber ich glaube, sie arbeitet lieber mit Alan Moulder (Anm.: Produzierte Depeche Mode, My Bloody Valentine, Foo Fighters). Ich verfolge ihre Entwicklung genau und habe alle ihrer Platten auf Vinyl – sogar die ihrer Seitenprojekte. Mit ihr ein Album zu machen, wäre ein Traum.
Über Grizzly Bear hat man gehört, dass ihr im Sommer ins Studio gehen wolltet, um an neuen Songs zu arbeiten. Was ist daraus geworden?
Ja, wir haben im Juni in Texas einen Monat lang erste Aufnahmen gemacht. Aber das ist erst der Anfang, 2012 kommt das Album aber mit Sicherheit. Wir haben vor, uns selbst zu überraschen.
Mögen Ed Droste und Co. dein Album?
Ja. Einer von ihnen meinte, es klinge noch merkwürdiger als die Musik von Grizzly Bear. Das war als Kompliment gemeint.
CANT – Dreams Come True by Transdreamer Records
Anfang November ist Cant auf Deutschandtour zu sehen:
09.11.2011 Mi. Berlin / Magnet
10.11.2011 Do. Hamburg / Indra
16.11.2011 Mi. Köln / Gebäude 9