Chris Hooson, der als Sozialarbeiter das alltägliche Elend kennt, blickt mit der Band Dakota Suite in die schwarzen Schlünde der Existenz
Eine Wiese hinter dem Haus, eine Holzbühne Marke Eigenbau, Sonnenschein und Bierlaune. Glitterhouse, als Label Angelpunkt und als Mailorder Drehscheibe für den fortgeschrittenen Americana-Fetischisten, hatte zum jährlichen „Orange Blossom Special“ ins idyllische Weserbergland geladen. Ein fürwahr familiäres Festival, die Gastgeber gemütlich und jovial, die Gäste geduldig und stante pede im Siebten Himmel, wenn nur die Gitarren ordentlich bratzen. Terry Lee Haie und Todd Thibaud wissen um diesen Code und verfügen über das entsprechende Passepartout: Roots Rock.
Dakota Suite dagegen, die Feinmechaniker in Moll, spielen auf verlorenem Posten. Ihr hauchdünnes Netz aus manischer Melancholie trägt nicht, es fasert aus, reißt. „Everything is wrong“, hebt Sänger Chris Hooson an, die Augen geschlossen, das Antlitz aufgewühlt „Yeah“, brüllt eine randvolle, trübe Tasse aus der ersten Reihe. Schöne Ironie.
„Es hätte schlimmer kommen können“, resümiert Hooson backstage, „dies ist nicht unsere Umgebung, wir haben keinen Draht zu den anderen Bands und ihrer Musik.“ Chris Hooson stößt einen Seufzer aus, der keine Interpretation braucht: Fremder in einer fremden Welt. Multi-Instrumentalist Richard Formby, der eine schräge Lap-Steel spielt und eine schrullige Oud, lebt anders als Hooson nicht ständig am emotionalen Abgrund und sieht die Dinge daher etwas pragmatischer. „Wir wussten ja ungefähr, was uns hier erwartet“, sagt er, „so we rocked the whole thing up.“ Dakota Suite unverdünnt, das wäre ein Soundtrack zum Weltuntergang.
Chris Hooson ist 29, aus Liverpool, und ein Bündel nervöser Energie. Als Sozialarbeiter in Leeds hat er intimen Kontakt zum menschlichen Bodensatz. Existenzielle Nöte sind sein täglich Brot, er betreut Süchtige und Triebtäter. Was ihn angesichts des allgegenwärtigen Elends am Ticken hält, ist zweierlei: Musik und Religion. Hoosons Kirche heißt Everton, und er ist ihrem Katechismus verfallen mit Herz und Seele. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie etwas Rotes getragen“, sagt er in einem Ton, der Witzelei nicht ratsam erscheinen lässt „It’s no joking matter“, fügt er zur Sicherheit hinzu. Beinahe wäre unser Gespräch geplatzt als Hooson im Vorfeld erfuhr, dass ich ein gewisses Faible für den FC Liverpool hege. Der spielt in Rot und ist Evertons Erbfeind. Kindisch sei das mitnichten, dogmatisch schon. Wie jede Religion.
Seine andere Obsession ist Musik. Bill Evans, John Coltrane, Janis Ian, Townes Van Zandt. Amerikanische Musik. Und John Lennon. Den hat Chris schon als Kind vergöttert „Mit 6 bekam ich ‚Revolver‘ geschenkt und da war es um mich geschehen. Ich war 9, als er erschossen wurde. Es war furchtbar. In der Schule sagte ein Junge: ‚Was soll’s, fuck John Lennon‘, und ich glaube, er hat es bereut, so wie er aussah, nachdem ich mit ihm fertig war.“
Es war Lennons letzte Wohnung, nach der sich die Band vor vier Jahren benannte. Hooson war kein Musiker, hatte Gedichte geschrieben und mit dem Gitarrespielen erst zwei Monate vor ihren ersten Sessions in Richard Formbys Studio nahe Leeds begonnen. Formby, 9 Jahre älter, hatte einschlägige Erfahrungen als Mitglied von The Jazz Butcher und Spacemen 3 gesammelt Hooson blutet die Lyrik, Formby gibt den Songs „panoramic colour“, wie Hooson das sieht Schwarz, weiß und jede Menge grau. Wintermusik, die auch einen verhangenen Oktober untermalen könnte oder einen verkaterten Frühmärz.
Einen hellen Juni eher nicht Weshalb der Auftritt der ernsten Männer aus Englands Norden beim Publikum in Westfalens Osten gemischte Gefühle hervorruft. Anderntags wird spontan ein zweites Set anberaumt das stringenter klingt Ein drahtiges, verdrehtes Neil-Young-Cover bricht das Eis.
Still, roots rock it ain ‚t.