Charlie Winston – Hobo deluxe
Charlie Winston klingt wie Milch und Honig - nur die USA sträuben sich bisher.
Ein echt höflicher Kerl ist dieser Charlie Winston, der pinkfarbene Socken trägt und eine Krawatte durch zwei Löcher im Pullover um den Hals baumeln hat, locker, versteht sich. Zur Begrüßung gibt es ein „Guten Tag“, das kommt ja immer gut, wenn man im Ausland in der Sprache der Einheimischen ein paar Sätze sagt.
Erstaunlich, was für ein britisches Englisch Winston spricht. Auf den Platten bemerkt man seine Herkunft gar nicht. Er hat etwas lässig Kalifornisches („Rockin‘ In The Suburbs)“ in den Songs, auch was Südstaatenbluesiges („Hello Alone“) und eine Menge Soul („Where Can I Buy Happiness“). Sogar den Bonner Ludwig van Beethoven grüßt er in einem Stück, versteckt die Mondscheinsonate in einem Pfeifen vor dem nächsten Piano-Groove. Aber man kann nicht sagen, woher Winston kommt. Und das mag an einem Tipp von seinem Vater liegen. Jeff Gleave – Winston ist nur Charlies zweiter Vorname – hat ihm damals gesagt, dass Dialekte beim Singen wirklich stören.
Jeff kannte sich aus mit Musik. Mit Charlies Mutter trat er in den 60er- und 70er-Jahren als Duo Jeff & Julie auf. Stolz fegt Winston mit dem Finger über den Bildschirm seines Telefons. „Das waren die Sixties“, erklärt er das Bild seiner Eltern. Noch nie hat er die Bilder einem Reporter gezeigt. In Schwarzweiß aufgenommen, stehen sie in altmodisch wirkenden Trachten in der Natur. Wie die Carter-Family sehen sie aus. „Genau!“, Winstons braune Augen weiten sich vor Freude. Die Eltern traten sogar in Fernsehshows auf. Gerätewechsel. Am Notebook geht’s weiter. „Noch einen Song von ihnen, wenn du magst?“ Klar. Obwohl die nur zu zweit sind, singen Jeff & Julie wie eine ganze Barbershop-Truppe. Richtig toll sausen ihre Stimmen zusammen, vereinen sich zu einem astreinen „Uuh“. Kein Wunder, dass Winstons Stimme wie Milch und Honig klingt. Die ganze Familie musiziert. Sein Bruder Tom Baxter veröffentlicht ebenso wie seine Schwester Vashti Platten, ersterer sogar beim großen Label Columbia Records.
Charlies letzte Platte hieß „Hobo“ – und eigentlich beschreibt nichts den Sänger aus Cornwall so gut wie das wohlklingende amerikanische Wort. Winston ist immer auf Walz. Er hat es nie lange an einem Ort ausgehalten. Zuletzt wohnte er in Paris. Café de Flore, Existenzialisten? Die mag er gar nicht kennen. Burroughs und Kerouac? Schon eher. Aber Zeit zum Anlegen von Bibliotheken hat er überhaupt nicht. Er lebt aus Koffern von Tour zu Tour. Amerika will er auch knacken, aber irgendwie läuft’s da nicht so richtig. Macht nichts. Europa sei ja groß genug, sagt er. Die Franzosen und Belgier lieben ihn. Mit der neuen Platte will er’s aber noch mal drüben versuchen. Seine Plattenfirma sähe das gern. Seine neue Platte heißt „Running Still“.