Nachruf auf Charlie Watts: Er war der Motor der Rolling Stones
Charlie Watts, Schlagzeuger der Rolling Stones und unnachahmliches Rückgrat der Band, ist im Alter von 80 Jahren gestorben. ROLLING STONE blickt auf die Karriere des perfekten Drummers zurück.
Charles Robert „Charlie“ Watts, Schlagzeuger der Rolling Stones und das unersetzliche Herz der Band, ist im Alter von 80 Jahren gestorben. Watts‘ Pressesprecher bestätigte seinen Tod in einer Erklärung. „Mit großer Trauer geben wir den Tod unseres geliebten Charlie Watts bekannt“, heißt es darin. „Er ist am Dienstag in einem Londoner Krankenhaus im Kreise seiner Familie friedlich verstorben.“ Die Erklärung bezeichnete Watts als „einen der größten Schlagzeuger seiner Generation“ und schloss mit der Bitte, „die Privatsphäre seiner Familie, der Bandmitglieder und engen Freunde in dieser schwierigen Zeit zu respektieren.“
Watts‘ Tod geschah somit einige Wochen, nachdem bekannt wurde, dass der Schlagzeuger nicht in der Lage sein würde, auf der No Filter-Stadion-Tour der Rolling Stones in den USA aufzutreten. „Charlie wurde erfolgreich operiert, aber seine Ärzte kamen diese Woche zu dem Schluss, dass er jetzt Ruhe und Erholung braucht“, sagte ein Vertreter der Band in einer Erklärung. „Da die Proben in ein paar Wochen beginnen, ist es gelinde gesagt sehr enttäuschend, aber man kann auch sagen, dass niemand das hat kommen sehen.“
Motor der Stones-Musik
Oder wie es Keith Richards 1979 einmal ausdrückte: „Jeder denkt, Mick und Keith sind die Rolling Stones. Wenn Charlie aber nicht das machen würde, was er am Schlagzeug macht, würde das überhaupt nicht stimmen. Dann würde man nämlich herausfinden, dass eigentlich Charlie Watts die Stones ist.“
Und doch war Watts ganz anders als der Rest der Stones. Sein eleganter Kleidungsstil – Vanity Fair wählte Watts in die International Best Dressed List Hall of Fame – passte eher zum Jazz, den er liebte und manchmal auch spielte, als zum Rock’n‘ Roll. Watts blieb auch seiner Frau Shirley Shepherd, mit der er seit 1964 verheiratet war, treu, was ihn von seinen exzessiv feiernden Bandkollegen abhob.
Im Gegensatz zu geborenen Tour-Kämpen wie Richards schien Watts oft kein Interesse am Touren zu haben und vermittelte den deutlichen Eindruck, dass die Stones für ihn eher ein Job als eine Berufung oder eine Lebenseinstellung waren. Seinen Kampf mit Drogen und Alkohol Mitte der achtziger Jahre führte er, wie es für so vieles bei ihm galt, weitgehend privat. „Ich halte viel davon, die Leute tun zu lassen, was sie wollen, was nicht gerade einen guten Bandleader ausmacht“, sagte er 1991 dem ROLLING STONE. „Wenn ich die Rolling Stones geleitet hätte, wären sie nicht weitergekommen. Wir würden immer noch herumlaufen und versuchen, einen Verstärker zu finden, 30 Jahre später.“
Watts wurde am 2. Juni 1941 in London als Sohn eines Lastwagenfahrers geboren. Als Jazzfan und Sammler von 78er-Platten (Miles Davis, Dexter Gordon und Charlie Parker waren seine Favoriten) begann er im Alter von 14 Jahren mit dem Schlagzeugspielen. Ab und zu schlief er in seinem Lieblingsanzug, um ihm das gleiche Aussehen wie dem Parkers zu verleihen. Bis 1962 spielte Watts in Jazz-Combos, bis er begann, seine Zeit zwischen dem Spielen in Alexis Korner’s Blues Incorporated und der Arbeit in einer Werbeagentur als Grafikdesigner aufzuteilen.
Er war nicht der erste Schlagzeuger der Stones. Die Band hatte ihren ersten Auftritt 1962 in der Besetzung mit Mick Jagger (Gesang), Ian Stewart (Piano), Keith Richards und Brian Jones (Gitarren), dem späteren Pretty-Things-Chefs Dick Taylor (Bass) und dem späteren Kinks-Mitglied Mick Avory (Schlagzeug).
Innerhalb weniger Monate war Avory raus und Watts drin, und am 12. Januar 1963 hatte er seinen ersten Auftritt mit den Stones im Ealing Jazz Club. Ihre erste Single, eine Coverversion von Chuck Berrys „Come On“, wurde im Juni 1963 veröffentlicht. „It’s All Over Now“, ihr erster britischer Nummer-Eins-Hit, erschien im Juni 1964. („I Can’t Get No) Satisfaction“, angetrieben von Watts‘ unermüdlichem Schlagzeugspiel, wurde im Mai 1965 zur Nummer eins in den USA.
Trotz seines unauffälligen Könnens hinter dem Schlagzeug schien Watts sehr wohl zu wissen, dass er ein unersetzliches Element des Stones-Sounds war. Eine berühmte Geschichte aus der Blütezeit der Band besagt, dass Jagger einmal mitten in einer nächtlichen Party in Watts‘ Hotelzimmer anrief und fragte: „Wo ist mein Drummer?“ Watts soll daraufhin aufgestanden sein, sich rasiert, Anzug, Krawatte und frisch geputzte Schuhe angezogen haben, die Treppe hinuntergestiegen sein und Jagger die Worte um die Ohren gehauen zu haben: „Nenn mich nie wieder deinen Schlagzeuger. Du bist mein verdammter Sänger!“
Genauso wie Jaggers Texte oder Richards‘ Riffs machte Watts‘ Taktgefühl bei wichtigen Stones-Songs diese eben zu wichtigen Stones-Songs. Das lockere, fast jazzige Gefühl bei „19th Nervous Breakdown“, sein Groove-Lock mit Richards bei „Beast of Burden“, seine außergewöhnliche Kontrolle über den sehr seltsamen Rhythmus bei „Get Off of My Cloud“, der Schwung von „Jumpin‘ Jack Flash“ und seine eiskalte Snare bei „Gimme Shelter“ – all das sind Meisterleistungen darin, dem Song zu dienen und ihm zugleich seinen Stempel aufzudrücken.
Neben seinem brillanten Schlagzeugspiel nutzte Watts auch seine Designfähigkeiten, um verschiedene Tourneebühnen zu entwerfen, darunter die Lotus-Bühne von 1975, die der „Steel Wheels“-Tournee von ’89/’90, der „Bridges to Babylon“-Tour, der Licks-Tour und der Bigger Bang-Tour.
Neben seiner Arbeit bei den Stones war Watts auch ein gefragter Jazzmusiker. 1986 gab er sein Debüt mit dem 32-köpfigen Charlie Watts Orchestra, das sich aus zeitgenössischen britischen Jazzmusikern zusammensetzte. Mit dem Charlie Watts Quintet veröffentlichte er 1991 das Album „From One Charlie…“, eine Hommage an Charlie Parker, in der auch sein wenig beachtetes Kinderbuch Ode to a Highflying Bird enthalten war, das noch aus den Sechzigern stammte.
Im Juni 2004 wurde bei Watts Kehlkopfkrebs diagnostiziert, der behandelt wurde und zurückging. Seine Genesung schien auch den Stones neue Energie zu verleihen.
Wenn er nicht gerade Musik machte, kümmerten sich Watts und seine Frau Shirley um ihre Farm für Araberpferde. Das Paar hat eine Tochter, Serafina, und ein Enkelkind, Charlotte.
„Ich liebe diese Band, aber sie bedeutet nicht alles für mich“, sagte Watts 1981. „Ich denke die ganze Zeit, dass diese Band zusammenbrechen wird – das tue ich wirklich. Ich hätte nie gedacht, dass sie auch nur fünf Minuten dauern würde, aber ich dachte mir, dass ich diese fünf Minuten bis zum Ende ausleben würde, weil ich sie liebe. Ich könnte mich auch jederzeit zurückziehen, aber ich weiß nicht, was ich täte, wenn ich damit aufhören würde. Ich würde wahrscheinlich verrückt werden.”
Übersetzung von Daniel Kiecol