Warum ich CDs mehr liebe als Vinyl
Eine kleine Hommage zum 40. Jubiläum der Compact Disc
Auch ohne Herbert von Karajan hätte es die Compact Disc gegeben – aber nicht so bald. Der weltberühmte Dirigent strebte nach Ewigkeit. Es reichte ihm nicht, dass seine Interpretationen mit den Wiener und Berliner Philharmonikern auf Schallplatte gebannt waren. Bei der Funkausstellung 1981 stellte er ein neues Speichermedium vor, das Philips mit Sony (und Bayer) entwickelt hatte: die Compact Disc. Karajan erklärte bei einer Pressekonferenz die Vorzüge damit, dass man eine CD mit sich herumtragen könne, sie widerstehe Erschütterungen, zum Beispiel „im Auto oder im Segelboot“, während es bei der Vinyl-Schallplatte „doch immer auf und ab geht“. Die Speicherkapazität wurde auf 74 Minuten kalibriert – genau die Zeit, die Karajans Deutung von Beethovens 9. Sinfonie braucht.
Bald wurde die CD in Japan, dem Wunderland der Technik, eingeführt. Und im August 1982 wurden die ersten CDs in Hannover-Langenhagen hergestellt – eben nicht gepresst, sondern mittels Spritzgusstechnik verfertigt. „The Visitors“ von ABBA, im vorigen Winter erschienen, gehörte zu den ersten CDs.
Ich hatte nichts davon. Ein Abspielgerät kostete so viel wie ein gebrauchter Kleinwagen, eine CD war dreimal so teuer wie eine LP, und ich besaß kein Segelboot. In den Plattengeschäften wurden in der räumlichen Ausdehnung und im Sortiment bescheidene CD-Abteilungen eingerichtet, die den Platz für LPs einschränkten. Dort schlichen Männer in Anzügen und Trenchcoats herum, die Karajans Sinfonien suchten. Aber hey, in Videotheken gab es ja auch diese Hinterzimmer, zu denen Jugendliche keinen Zutritt hatten.
Und so verbrachte ich die 80er-Jahre mit Vinyl, das ich auf einem sogenannten Kompaktgerät abspielte: billiger Plattenspieler, zwei Kassettenfächer. 1985 erschien die Platte, die für CD gemacht war: „Brothers In Arms“ von Dire Straits. Die CD hatte einen Song mehr. Jeden Erwachsenen quälte der Gedanke, dass er „Brothers in Arms“ nur als Schrumpfform besaß, wenn er das Vinyl hatte. Ich kaufte das Vinyl. Außerdem kaufte ich „The Dream Of The Blue Turtles“ von Sting. Meine Eltern hatten einen HiFi-Turm in Fichte Furnier.
Herbert von Karajan, der Impresario der Compact Disc, starb 1989. Zuletzt war ihm die CD nicht genug: Er trieb die Entwicklung der Bildschallplatte voran, denn man sollte ihn mit seinen Wiener und Berliner Philharmonikern auf einem Segelboot nicht nur für immer hören, sondern auch sehen können.
„Jetzt konnte ich zum Einschlafen zwei Karajan-Sinfonien hören oder zweimal „Whoops! There Goes The Neighbourhood“
Derweil kaufte ich in Hamburg meine erste CD: „Whoops! There Goes The Neigbourhood“ von den Blow Monkeys. Eine ungewöhnliche Wahl. Aber ich liebte die Blow Monkeys eben, und zwar seit „She Was Only A Grocer’s Daughter“. Außerdem hatte ich gar kein CD-Gerät. Aber das schenkten mir meine Eltern bald zu Weihnachten. Es war ein großer schwarzer Turm mit zwei CD-Schubfächern und einer Einschlafzeitschaltung. Jetzt konnte ich zum Einschlafen zwei Karajan-Sinfonien hören oder zweimal „Whoops! There Goes The Neighbourhood“. Ich war erwachsen.
Aber ich ging noch zur Schule. Lange hatte ich darunter gelitten, dass eine LP gerade so in meine lederne Tasche passte – aber nur, wenn keine Schulbücher darin waren. Deshalb ging ich in meinem letzen Schuljahr oft ohne Bücher zur Schule, weil ich, zum Beispiel, „Bizarro“ von The Wedding Present befördern wollte.
Vorbei! Jetzt warf ich CDs in die Tasche und konnte sogar noch eine BiFi, eine Zeitung und „Der große Gatsby“ mitnehmen. Mein Gott, wie herrlich war der Tag, an dem ich „Nevermind“ in das Schubfach legte, wie wunderbar der Tag, an dem ich das erste Soloalbum von Paul Weller hörte (die CD als Leporello gestaltet), und dann kamen zwei Alben von Bruce Springsteen, „Human Touch“ und „Lucky Town“. Springsteen hatte sich verändert. Diese mickrigen, nichtssagenden Cover-Abbildungen waren so weit entfernt von „Born To Run“ und „Born In The U.S.A.“, und auch die Musik war viel kleiner geworden.
Ja, die CD hat Nachteile. Sie ist kompakt, aber nicht schön. Niemand braucht ein Pop-Album von 74 Minuten Länge. Platten wurden gebläht, es gab „Bonus-Tracks“, es gab „Twofer“. Aber es gibt keine Nostalgie. Durch die Hintertür kam das Vinyl zurück, und nun ist das Vinyl das teurere Gut. Die CD ist ein komischer Billigartikel. Sie ist einfach nichts wert. Niemand sagt: „Ich schaue mir mal deine CD-Sammlung an.“ Alle haben Kuschel-Rock-CDs.
Und genau das gefällt mir. Die Compact Disc ist das Gegenteil von dem geworden, was Herbert von Karajan sich vorstellte: Sie hat gar nichts Feierliches.
Aber sie widersteht Erschütterungen.