CD: Rare Trax Volume 78
Seit Jahren hebt das tolle Label 'Light In The Attic' Musikschätze aus den Katakomben der Popmusik - wir haben uns zehn besondere Preziosen herausgepickt.
01 Die rätselhafte Geschichte von Jim Sullivan ist in den vergangenen Jahren auch aufgrund von Wiederveröffentlichungen häufig erzählt worden: Der kalifornische Troubadour verschwand Mitte der Siebziger nach nur einer meisterlichen Platte spurlos. Zum Glück hinterließ er uns die an Tim Hardin erinnernde Folk-Perle „So Natural“. Trotz seines geringen Outputs hört man Sullivans Einfluss heute bis in die geschmeidigsten Bereiche der Songwriter-Zunft.
02 Wesentlich mehr in der Hippie-Ära verankert sind die Songs von Ray Stinnett aus Memphis, Tennessee. Nach einigen Engagements als Gitarrist in Begleitbands und abstrusen Combos zog Stinnett Ende der 60er-Jahre in eine Kommune und schreib eigene Songs. Zu seinen wenigen Aufnahmen gehört das lichtdurchflutete „Wheel Of Time“. Stinnetts Antworten auf die Fragen des Lebens sind denkbar simpel: Liebe und Natur!
03 Einen kritischeren Blick hat der lange verschollen geglaubte Sixto Rodríguez, dem jüngst mit der Musikdokumentation „Searching For Sugar Man“ ein Denkmal gesetzt wurde. Dank südafrikanischer Fans kehren seine Songs nun wieder ins kollektive Pop-Gedächtnis zurück. Das auf seinem Debüt „Cold Fact“ von 1970 enthaltene „Sugar Man“ entlarvt die Hippie-Träume als trüben Drogen-Trip: „Sugar man you’re the answer/ That makes my questions disappear.“
04 Zu den erstaunlichsten Ausgrabungen der jüngeren Musikgeschichte gehört „Dreamin’ Wild“, das erste und einzige Album der Brüder Donnie & Joe Emerson. Ihre wundervoll dilettantischen Songs nahmen diese Kinderzimmer-Elvisse 1979 in noch nicht mal volljährigem Alter auf. „Good Time“ ist fiebriger Boogie-Rock, wie er so roh und unverkünstelt wohl nur in der amerikanischen Provinz die Zeit überdauern konnte.
05 Sicher kein Unbekannter ist Lee Hazlewood, nicht zuletzt aufgrund seiner Alben mit Nancy Sinatra. In den frühen Siebzigern weilte der legendäre Crooner in Schweden und schrieb Filmmusik für den befreundeten Regisseur Torbjörn Axelman. Auf dem Soundtrack „A House Safe For Tigers“ befinden sich auch Sprech- und Instrumentalstücke, darunter die opulente Kammermusik „Absent Friends“.
06 Zu den viel zu selten besungenen Songwritern gehört der Brite Michael Chapman, der Anfang der 70er-Jahre wegweisende Platten wie „Fully Qualified Survivor“ aufnahm, auf dem auch das bittersüße „March Rain“ enthalten ist. Zum Streichquartett besingt er darin die Einsamkeit, nicht deprimiert, sondern staunend, den eigenen seelischen Verfall beobachtend, zwischen Bill Fay und John Martyn.
07 Allem Trübsinn entsagt der lacklederne Soul-Funk von Betty Davis, die in den 70er-Jahren drei Alben aufnahm, die vor schwarzer Emanzipation und sexueller Energie nur so strotzen. Im „Anti Love Song“ hält sie sich ihren mit allzu durchschaubaren Annäherungsmaschen taktierenden Liebhaber mit herrlich arroganter Zurückweisung vom Leib. Prince, Erykah Badu oder auch Malia versuchen heute noch, einen derartig lasziven Gesangsporno hinzulegen.
08 Zwischen Soul und Blues changiert die Musik von Charles „Packy“ Axton & The Martinis. Axton spielte bis zu seinem frühen Tod 1974 als Session-Musiker unter anderem mit Booker T. & The M.G.’s. und Charly Rich. Unter den raren Aufnahmen mit seiner Begleitband besticht vor allem das kurze Instrumental „Hung Over“ durch eine schwüle Sixties-Orgel, Axtons Tenorsaxofon und einen irren Schrei.
09 Für westliche Ohren ein wenig obskur mutet der psychedelische Song „Pushing Through The Fog“ an. Dabei scheint dieses südkoreanische Artefakt von Shin Joong Hyun & Jang Hyun gar nicht so weit entfernt von manch zeitgenössischem Indie-Popstück. In seiner Heimat gilt Shin Joong Hyun als „Godfather Of Rock“ – nicht zu Unrecht, mag man meinen, wenn man seine spirituellen Gitarren-Epen zwischen Hendrix, Jefferson Airplane und koreanischem Schlager hört.
10 Stephen John Kalinich ist eine Figur, wie man sie aus Essays von Hunter S. Thompson oder aus Jack Kerouacs „On The Road“ kennt. Mitte der Sechziger trampte der Hippie-Poet von New York nach Los Angeles, schloss sich der Antikriegsbewegung an und schrieb Friedensgedichte, die er zu weihevollen Soundscapes rezitierte – wie das hier ausgewählte „Be Still“, an dem auch Dennis Wilson beteiligt war.