CD-Preise: Darf’s auch ein Viertel weniger sein?
War vom Unsagbaren die Rede, griff die Musikindustrie reflexionsartig zum Weihwasserbecken und bekreuzigte sich. Doch plötzlich ist das Thema CD-PREISE doch auf dem Tapet - und es sieht nicht so aus, als ob es von dort noch einmal verschwinden würde.
Ceterum censeo: CDs sind zu teuer! Jahrelang war das ein Stehsatz, der in keiner, wirklich keiner Debatte zur Gegenwart und Zukunft der Musikindustrie fehlen durfte. Gleichsam das Credo frustrierter Konsumenten, Handelspartner, Internet-Ideologen und Wirtschaftsanalysten, im Gegenzug mehr oder minder geschickt entkräftet und umgehend verteufelt von der Mehrzahl der Musikindustriekapitäne und Plattenbosse.
Der Preis einer CD, hieß es unisono von deren Seite, sei ja nicht an den marginalen Fertigungskosten des Tonträgers zu messen – die kämen tatsächlich billiger als jene des forgängers, der Vinyl-LP. Die drauf enthaltene Musik aber, neudeutsch: der „content“, schlage mit immer höheren Beträgen zu Buche. Respektive deren Vermarktung: Videos, Medienkooperationen und Handels-Promotionzuschüsse würden Unsummen verschlingen. Doch ein Künstler, dessen Vtferk nicht massiv mit Geld nach vorne geprügelt werde, hätte inmitten des allgemeinen Marketing-Overkills und der Reizüberflutung kaum eine Chance. Selbstverständlich, so der Tenor der „Big Five“ Universal, Warner, BMG, Sony und Capitol/EMI, müsse da der Konsument sein Scherfiein beitragen – ein durchschnittlicher CD-Preis zwischen 15 und 20 Euro hätte schon seine Richtigkeit. Zumal die Preisentwicklung im Vergleich zu anderen Konsumgütern eher moderat gewesen sei (s. Kasten nächste Seite). An einen Preisnachlass sei jedenfalls nicht zu denken.
Über Nacht aber war alles anders. Am Donnerstag, dem 4. September, schreckte eine Nachricht die Branche aufi Universal, der weltgrößte Musikkonzern, senkt ab Anfang Oktober die Großhandelspreise für CDs bis zu einem Drittel. Radikal, weil flächendeckend. Zunächst allerdings nur im Land der begrenzten Unmöglichkeiten, den USA. Das Resultat: eine unverbindliche Preisempfehlung von 12,98 Dollar pro Silberscheibe. In Kenntnis der Marktmechanismen konnten die Universal-Manager davon ausgehen, dass der durchschnittliche CD-Preis – für reguläre Ware, keine „Nice Price“-Schnäppchen – damit auf rund zehn Dollar sinken würde. „Eine Revolution, eine wahrhaftige Faustwatsch’n“, so Martin Blumenau, der Net-Feuilletonist des österreichischen Kultradios FM4. „Ein gewagter Schritt“, wie auch Universal-Chairman Doug Morris eingestand. Die Meldung sei eingeschlagen wie eine Bombe, erklärte ein Vertreter einer Vereinigung unabhängiger Plattenläden gegenüber der,,L -A. Times“. Die Schrecksekunde der Major-Konkurrenz dauerte Stunden, in vielen Fällen Tage. Bei einigen hält sie no comment – immer noch an.
Dieser Schlag kam wirklich überraschend. So unangekündigt jedenfalls, dass mancher regionale Universal-Geschäftsführer sich am 4. September noch ungläubig die Augen rieb beim Studium der Mail-Depesche aus dem Hauptquartier, während bei der Vorzimmerdame die ersten Journalisten bereits dringliche Auskunft zum brisanten Thema begehrten.
Dabei waren die Vorbereitungen seit Monaten gelaufen. In Marktanalysen hatten Meinungsforscher im Vorfeld herausgefunden, dass 53 Prozent aller US-Konsumenten (Zielgruppe 16 Jahre und älter) keine CDs und Cassetten mehr kauften, weil sie zu teuer kämen. Ziel der neuen Preisstrategie, hieß es aus den USA, sei es also schlicht, „die Musikfans in die Geschäfte zu bringen und die Verkäufe zu steigern“.
Im Klartext: Man war und ist dringend auf der Suche nach einer attraktiven Botschaft, die auch als Kampfsignal gedeutet werden kann und darf. Die Mehrzahl der Konsumenten hat anno 2003 auch schon mal von KaZaa und CD-Brennern gehört, ist damit aber nicht wirklich vertraut. Manche besitzen keinen High Tech-PC bzw. Internet-Zugang, viele sind – nicht zuletzt aufgrund der aktuellen RIAA-Klagen und massiven Abschreckungskampagnen – gewillt, die Finger davon zu lassen. „Stealin‘ is bad karma“, in diese Kerbe schlug folgerichtig auch Apple-Vordenker Steve Jobs mit seinem iTunes Music Store. Anfang September hatte er mit der prototypischen Download-Plattform bereits 10 Millionen Downloads verkauft, zum Durchschnittspreis von 99 Cent je Titel.
Die hohen Preise des traditionellen physischen Tonträgers ließen sich in Anbetracht der Situation auf Dauer nicht halten. Unter Experten gilt die CD als längst entwertetes Produkt mit Auslaufdatum. Nachfolgeformate wie die Super Audio-CD (SACD) oder DVD-Audio, die bislang unkopierbare, qualitativ höchstwertige Mehrkanal-Klangeindrücke bieten, gewinnen abseits technikverliebter Esoterik-HiFi-Zirkel erst langsam Fans und Käufer. Bislang waren die CD-Nachfolger zu teuer, oft inkompatibel, zu überkandidelt für den Alltag des durchschnittlichen Pop-Konsumenten. Zumal der längst begonnen hatte, seine Lieblingsscheiben höchst kompakt als MP3-Kollektion auf der Festplatte seines Computers zu archivieren oder auf schnuckeligen Mini-Playern mit sich herumzutragen. Der Nachschub an aktuellen Ohrwürmern, Charts-Stürmern und Eintagsfliegen wurde – da unkompliziert, treffsicher und vor allem gratis – meist bei KaZaa & Co. gezogen. Es sei nun Ziel der Anstrengung, so Universal Music-Präsident Zach Horowitz, die Konsumenten weg von illegalen Musikangeboten zurück in die Geschäfte zu holen. Josh Bernoff, Analyst von Forrester Research, sieht das anders: „Im Grunde ist die Botschaft dieses Schritts: ,Wir geben auf.“
Vielleicht ein voreiliger Schluss: In Wirklichkeit nämlich ist der Schritt der drastischen Preissenkung für Universal weit weniger dramatisch, als er auf den ersten Blick aussehen mag. Bluten müssen vor allem die großen Handelsketten, denen im Zug der Preissenkung die Rabatte und Sonderkonditionen gestrichen werden. Der kleine Einzelhändler, also der Plattenladen ä la JHigh Fidelity“, darf- sofern es ihn noch gibt – etwas aufatmen. Plötzlich erhält er dieselben Konditionen wie WalMart 8C Co., die noch dazu mehr Regale für die billigeren Tonträger freimachen sollen. Dran glauben müssen allerdings auch die Künstler, deren Beteiligung sich im Regelfall an den Händlerabgabepreisen (HAP) festmachen lässt. Den Marketingstrategen in den Chefetagen ist derlei herzlich egalihre Aufmerksamkeit gilt voll und ganz dem größten Feldversuch seit der Erfindung des Digitaltonträgers.
Kann, soll, wird die CD also auf diesem Wege wieder „heiß“ werden? Man darf jedenfalls Wetten abschließen, dass die anderen Majors das Universal-Modell rasch adaptieren und übernehmen. Universal hat sich selbst und den Rest der Fünfer-Bande unter Zugzwang gesetzt. Die rapide sinkenden Preise für die DVD – in den USA teilweise schon preiswerter als die CD – tun ein Übriges, um eine unaufhaltsame Deflationslawine loszutreten.
In Europa ticken die Uhrennoch – anders. „Das Signal aus den USA heißt: Unsere Preise können flexibel sein“, so Universal Deutschland-Chef Tim Renner. „Wir beobachten die Entwicklung, aber planen zur Zeit selbst keine Veränderung des Preissystems.“ Wie bitte? Sicher: Import-Restriktionen, EU-Schutzzölle und bürokratische Barrieren verhindern zunächst einmal tatsächlich das ungenierte Überschwappen der US-Dumping-Welle. Vorerst. Allerdings wissen auch Renner und seine Kollegen, dass sich ein eklatantes Preisgefälle auf Dauer nicht künstlich abschotten lässt. „Wenn sich das System für den Handel, den Markt und für Universal bewähren sollte“, konstatiert Renner, „gibt es keinen Grund, nicht auch in Deutschland über Veränderungen nachzudenken.“
Eine allzu zögerliche Reaktion möglicherweise? „Der 4. September ist der Tag, an dem die Musikindustrie im deutschsprachigen Raum ihr eigenes Todesurteil unterschrieben hat“, ereiferte sich der Radiomoderator Martin Blumenau auf der Homepage des Wiener Radiosenders FM4. Ohne weltweit einheitliche Preislogik sei kein Aufschwung möglich. „Wenn die Europäer, vor allem die Deutschen, an ihrer derzeitigen Position festhalten, werden sie allesamt versinken.“
Resultat des Mahnrufs: eine intensive Diskussion unter den Hörern. Innerhalb der üblichen Bandbreite – von rechtschaffenem Brandredner pro Künstler, Kleinlabel und Indie-Musicstore bis hin zu dem abgebrühten Filesharing-Anarchisten. Überwiegender Tenor: ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Auch wenn der kalifornische Marktanalyst Sean Beanen partout noch nicht das Ende der Baisse sehen will: „Selbst wenn sie schon morgen alle Download-Schlupflöcher zusperren würden ihre strukturellen Probleme hätte die Industrie damit immer noch nicht gelöst.“