Cayamo-Festival – Eine Seefahrt, die ist bluesig
Kreuzfahrt mit Musik, das klingt nach Schlager und Schiebertanz. Beim Cayamo-Festival kann man jedoch auf hoher See die größten Americana-Künstler sehen. Unser Autor war dabei.
John Paul White wird seekrank. Aber nur kurz, und bei diesem ganz besonderen Großkonzert ist er auch der einzige Künstler, dem das passiert. White und seine Partnerin Joy Williams – zusammen bilden sie die Folkblues-Gruppe The Civil Wars – kündigen für den folgenden Tag dafür einfach eine Doppelschicht an, um den ausgefallenen Auftritt nachzuholen.
Fünf Tage, bevor das Duo aus Nashville zwei Grammys kassieren wird, gastiert es hier beim Cayamo-Festival. Das – ein fast unschlagbares Alleinstellungsmerkmal! – auf einem Schiff stattfindet, das durchs Karibische Meer kreuzt. Womit die plötzliche Seekrankheit des Sängers plausibel erklärt wäre.
Unters Camayo-Dach passen The Civil Wars mit ihrer Musik ideal: Es geht hier um Americana, um Singer-Songwriter-Kunst, Country, Folk. Wobei Williams und White auf dem Musikdampfer auch Michael Jacksons Hit „Billie Jean“ sehr schön dekonstruieren – auf eine Art und Weise, die eigentlich gar nicht nach Country und kaum nach Folk klingt. Auf hoher See zerfließen manchmal eben auch die Stilgrenzen.
Üblicherweise nimmt die Norwegian Pearl – 300 Meter lang, mit knapp 45 Stundenkilometern ein ziemlich schnelles Schiff – jeden Sonntag in Miami 2.300 Urlauber an Bord, um sie eine Woche lang durch die Karibik zu fahren. Der Weg bleibt bei der Cayamo-Fahrt zwar der gleiche, die Motivation aber ist eine andere: An diesem Sonntag stehen Menschen vor dem Terminal der Norwegian Cruise Line an, die vor allem wegen der Musik auf die Pearl gehen. Für mehr als die Hälfte ist es schon – mindestens – der zweite Cayamo-Trip. Das billigste Ticket kostet dieses Jahr rund 1.200 Dollar, doppelt so viel wie eine normale Pearl-Kreuzfahrt.
Die Musiker verbinden ihr Gastspiel, bei dem jeder während der Woche auf See mehrere einstündige Konzerte gibt, mit Urlaub. Viele haben Partner, Kind oder Eltern mit aufs Schiff genommen, und so kann es passieren, dass man neben den Menschen frühstückt, sonnenbadet oder Cocktails trinkt, deren Performance man am Abend zuvor beklatscht hat. Das ist erst ein bisschen komisch, aber man gewöhnt sich dran.
40 Solisten und Bands sind bei „Cayamo – A Journey Through Song“ dabei, schon zum fünften Mal veranstaltet die Agentur Sixthman aus Atlanta die Musikkreuzfahrt 2012. Sixthman-Chef Andy Levine braucht auch nur drei Wörter, um Unkundigen das Programm zu erklären: „Rock, Blues, Bluegrass“. Eines kommt unter keinen Umständen aufs Schiff: Pop.
An diesem Tag eröffnet der knurrige Sänger James McMurtry das musikalische Programm, auf dem Pool-Deck, der einzigen Außenbühne. „Ich spiele jetzt Country für Kiss-Fans“, sagt McMurtry. Kiss-Fans? Im Becken oder in Sonnenstühlen liegen, in Korbsesseln sitzen distinguierte Akademi-ker von der amerikanischen Ostküste, laute Frauen mit abgeschnittenen Jeans und Stroh-Stetsons, aus der Zeit gefallene Hippie-Typen, behäbige Rentner. Auf dem Grill braten Hamburger und Maiskolben, für den Getränkenachschub sorgen die Kellner. Definitiv mehr Luxus als im Countrykeller.
Für McMurtry haben wir auf Lucinda Williams verzichtet, die parallel im Stardust Theater spielt, schaffen es danach noch ins Atrium zu Work Progress Administration, wechseln zu Buddy Miller ins besagte Stardust, gehen Abendessen, schauen bei der Hank-Williams-Enkelin Holly Williams in der Spinnaker Lounge vorbei, um dann um Mitternacht im Stardust zum Höhepunkt des Tages zu kommen: Richard Thompson. Der bildet mit Drummer Michael Jerome und Bassist Taras Prodaniuk ein Trio, dessen Stil Thompson ironisch zwischen „Cream und dem Kingston Trio“ ansiedelt. Um dann den Worten mit einem Medley aus „Sunshine Of Your Love“ und „Tom Dooley“ Taten folgen zu lassen. Nach Thompsons Abgang bliebe für die frühen Morgenstunden noch die Show im Atrium, wo die kanadische Gruppe Enter The Haggis mit und ohne Dudelsack zum Tanz spielt.
120 Konzerte an sieben Tagen auf fünf Bühnen, das klingt nach Überforderung. Aber weil alle Musiker mehrmals spielen, kann man jeden mindes-tens einmal hören, wenn man geschickt plant. Und wer genug hat, der sucht sich einen Platz auf einem anderen als dem Pool-Deck. Und hört vorübergehend nur noch das Meer rauschen, während am Horizont vielleicht Kuba verschwindet oder die Sonne untergeht.
Wenn Thompson hier der Gitarren-Virtuose ist, dann ist John Prine die Seele des Festivals. Viele im Publikum sind mit ihm alt geworden, viele der jungen Songwriter an Bord verehren ihn. Mit Jason Wilber (Gitarre) und Dave Jacques (Bass) füllt Prine das knapp 1.000 Plätze große Stardust-Theater auch soundmäßig voll aus, während einige Headliner wie Greg Brown, Lyle Lovett und John Hiatt allein mit ihren Gitarren antreten.
Als die Norwegian Pearl die DomRep zurücklässt und auf die Insel St. Maarten zusteuert, versammelt Americana-König Buddy Miller auf dem Pool-Deck Jim Lauderdale, Richard Thompson und die Watkins-Geschwister Sara und Sean zum Open Air auf offenem Meer. Die Lieder klingen, die Sonne wärmt, das Schiff schaukelt kaum merklich, und man freut sich schon auf das Konzert von The Civil Wars. Die spielen um Mitternacht. John Paul White geht es besser.