Caves Kalamitäten
„From Her To Eternity“ (1984) Ein krudes Frühwerk, bei dem sich der zornige junge Mann als Kunstzerstörer betätigte: Den Kitsch von „In The Ghetto“ wollte er verdoppeln – mit dem Ergebnis, dass die Schnulze wie ein Cave-Song klingt. Alles musste in den „Well Of Misery“. „From Her To Eternity“, der Song, wurde eine Art Klassiker auch, weil Wim Wenders ihn später im „Himmel über Berlin“ ertönen ließ. Mehr Pimmel als Himmel Drogeninduziert, heillos, zerschossen. 2,5
„The Firstborn Is Dead“ (1985) Drogeninduziert, heillos, zerschossen. Cave entdeckt die Bibel, die Bad Seeds inszenieren den gewohnten Krawall auf Müllhalden. In den Achtzigern taugte Caves Ästhetik des Schreckens und des Verfalls zur kultischen Haltung: So schön kaputt war Caves Welt, dass sich Existenzialisten und Loser in Berlin um Cave und seinen Klüngel scharten. Der geistesverwandte eingebildete Dichter Blixa Bargeld kam hinzu. 2;5
„Kickinq Aqainst The Pricfcs“ (1986) Ein Schritt beiseite, ein Schritt aus der Selbstbespiegelung und Larmoyanz: Cover-Ykrsionen von „All Tbmorrow’s Parties“ und anderem Liedgut des Weltschmerzes und der Finsternis. Kein Lieblingsalbum der Cave-Jünger, aber ein beachtliches Nebenwerk des Epigonen Cave auf dem Weg zum Songschreiber aus eigenem Recht. 3;0
„Your Funeral, My Trial“ (1986) Eingeleitet von der schönen Orgel-Ballade „Your Funeral, My Trial“ und dem gespenstischen „Stranger Than Kindness“, zeigt das Album den ruhigeren, aber auch den theatralischen Cave („The Carny“). Eine Art grimmiger Witz reichnet „Hard On For Love“ aus und „Scum“, das programmatische Schluss-Stück. Weniger Krawall, aber keine Mädchenmusik, 3;0
„Tender Prey“ (1988) Der entscheidende Sprung in die Goutierbarkeit. Enthält mit „The Mercy Seat“ Caves bekanntestes und vermutlich bestes Stück, kürzlich von Johnny Cash geadelt. Auch „Up Jumped The Devil“, „Deanna“ und „Slowly Goes The Night“ zählen zu Caves Instant-Klassikern. „Tender Prey“ etablierte ihn als Songschreiber. Immer noch viel Aufregung, aber von den Bad Seeds strenger und weniger lärmend inszeniert, 4;0
»The Good Son“ (1990) Die Cavesche Kehre: Am Anfang der Neunziger meldete sich der Dramatiker aus Rio de Janeiro mit einem schwelgerischen, mit Piano und Streichern elegisch inszenierten Songreigen. „Foi Na Cruz“, „The Weeping Song“, „The Ship Song“, „The Good Son“: wunderbare, tiefstimmig vorgetragene Balladen, getragene Stimmung, Metaphorik mal wieder aus der Bibel. Cave umgibt sich mit Kindern, aber sie furchten ihn. 4;0
„Henry’s Dream“ (1992) Schwankend zwischen trunkener Folk-Seligkeit unter dem Einfluss des irischen Säufers Shane MacGowan („Papa Won’t Leave „ibu Henry“, „I Had A Dream, Joe“, „Brother, My Cup Is Empty“) und großen Song-Erzählungen („Christina The Astonishing“, „Loom Of The Land“). Der Sänger überschlägt sich fast vor Theatralik. 3;5
„Let Love In“ (1994) Ebenfalls gotisch angelegt, manchmal gruftig. Etwas brutal „Do You Love Me?“, schmalzig „Nobody’s Baby Now“, gruselig „Red Right Hand“. Das Album wirkt etwas unentschlossen und nicht vollständig realisiert, eher Notzucht als Minnesang. Auch brachte „Let Love In“ einen neuen Höhepunkt in scheußlicher Cover-Gestaltung: Noch besser wäre es gewesen, Cave hätte sich den Plattentitel auf den Penis malen lassen. 3;0
„Murder Ballads“ (1995) Amerikanische Kriminalgeschichten und Schauerstücke in spirierten Cave zu dem geradezu naturgemäßen Werk. Polly Harvey begleitet ihn bei „Henry Lee“, Landsfrau Kylie Minogue bei „Where The Wild Roses Grow“, aber am stärksten sind das unglaubliche Traditional „Stagger Lee“ und der komische Kneipen-Thriller „O’Malley’s Bar“. Dazu Dylans „Death Is Not The End“. Der Schmerzensmann (beinahe) als Popstar und Märchenerzähler. 3;5
„The Boatman’s CaU“ (1997) Die Reise des Bootsmanns zur Liebe. Cave barmt, lockt und fleht, vor allem aber erinnert er sich. Dem Cave-Fan der frühen Jahre muss es wie Kitsch vorkommen, doch wenn der Liebestrunkene von schwarzem Haar halluziniert, grüne Augen besingt oder „We buy the sunday newspapers/ And never read a single word“ schmalzt, schmilzt das Gewicht der Welt. In „Far From Me“ betrauert er den Verlust. Das alte Lied. 4;5