Cartoonischer Imperativ
Sinnsprüche vom Schwammkopf, Weisheiten von der Vampirjägerin: Weil die klassischen Autoritäten versagen, blüht die popkulturelle Lebensberatung
Absolute Selbstverwirklichung im Beruf. Tiefe Zufriedenheit trotz beengter Wohnverhältnisse. Gesundes Selbstvertrauen auch mit kraterhaft vergrößerten Gesichtshautporen: Es gibt eine Menge Dinge, die wir alle von Spongebob Schwammkopf lernen können.
So viele, dass nun sogar ein Buch erschienen ist. das die wichtigsten Lebensweisheiten des porösen Lebenskünstlers versammelt. Der Schwammknigge ist kein Einzelfall: Immer häufiger bedient sich die Ratgeberliteratur bei der Popkultur. Natürlich, man kann auch seine Freunde fragen, wenn man nicht mehr weiter weiß. Meistens jedoch ist deren Erfahrungshorizont begrenzt und der Ratgeber obendrein befangen, und mitunter nimmt man Lebenslehren doch auch williger von Wildfremden an.
Durchaus hilfreich kann es darum sein, bei ganz grundsätzlichen Lebensfragen Hilfe in der schönen Literatur zu suchen: Bei problematischer Bekanntschaft mit einem kapriziösen Arzt hilft die Lektüre von Milan Kundera vermutlich mehr als der Rat der besten Freundin. Hasst man seine Arbeitsstelle, orientiert man sich besser an Herman Melvilles Bartleby als am weitgehend unverständigen Abteilungskollegen. Alain de Botton hat ein schönes Buch darüber geschrieben, dass Belletristik durchaus auch als Ratgeberliteratur taugt: „Wie Proust ihr Leben verändern kann“ behandelt anhand der Lebensgeschichte des großen Romanciers und der von ihm ersonnenen Figuren alle relevanten Fragen von „Wie man erfolgreich leidet“ bis zu „Wie man in der Liebe glücklich wird“.
So schön es wäre, zu jeder Lebenskrise gleich den passenden Bildungsroman aus dem Regal ziehen zu können – in der Regel ist den meisten Menschen das Personal, das sie allwöchentlich im Fernsehen sehen, vertrauter als die Protagonisten der Weltliteratur. Vielleicht ist diese Präsenz ein Grund dafür, dass popkulturelle Werke neuerdings gerne herangezogen werden, um komplexere, mitunter gar metaphysische Sachverhalte zu illustrieren. Viel Feuilletongesumms erregte zuletzt das Buch „Die Simpsons und die Philosophie“, das zwar keine konkreten Handlungsanweisungen für den Alltag enthält, dafür aber anhand der Erlebnisse der gelbköpfigen Familie mal eben klug die Grundfragen der Menschheit erläutert – von aristotelischer Tugendethik bis zu Roland Barthes Mythenbegriff.
Praktischer ist da Jana Riess‘ Buch „What Would Buffy Do? The Vampire Slayer As Spiritual Guide“. Kapitel wie „Be a hero, even when you’d rathergo to the mall“ erklären die christliche Morallehre mit Beispielen aus sieben TV-Staffeln Vampirjagd. Wer fernöstliche Religionen bevorzugt, kann sich in Benjamin Hoffs „Tao Te Puh“ von Pooh dem Bären, Ferkel und Eeyore den Taoismus erklären lassen.
Religionsneutral ist „Das Gute und das Fiese.
Richtig leben mit Spongebob Schwammkopf“ von Christian Ankowitsch gehalten. „Auf den ersten Blick ist Spongebob ein gelber Schwamm in quietschenden Stiefeln. Auf den zweiten ein interessanter Zeitgenosse, dessen Abenteuer viel über die Grundfragen des Lebens erzählen“, erklärt der Autor, um im folgenden mittels Spongebobs Versagensangst beim Krabbenburgerbraten einiges Erhellendes über die Macht des Selbstvertrauens loszuwerden. Auch zur Illustration solch komplexer Sachverhalte wie der Kantschen Generalmaxime des moralischen Handelns, der globalen Erwärmung und der Ausbeutung von Drittweltländern erzählt er zentrale Episoden der Zeichentrickserie nach – wenn Spongebob in einer Folge vergisst, Gürkchen auf seine Burger zu legen, räsonniert Ankowitsch über Memotechniken und ermuntert zum Gedächtnistraining.
Dass seine Ausführungen gelegentlich etwas sehr grundsätzlich ausfallen – bitte keine Drogen nehmen, sondern das Glück lieber in sich selbst suchen -, liegt an der Altersempfehlung: Leser von 7 bis 77 sollen vom guten Schwamm von Bikini Bottom profitieren. Das ist schade, denn aus dem Meeresgetier lässt sich leicht noch mehr herauspressen. So lässt sich etwa die hippokratische Viersäftelehre sehr plausibel nachvollziehen, wenn man Spongebob als heiteren Sanguiniker, seinen tobsüchtigen Chef Mr. Krabs als Choleriker, den stets schwermütigen Oktopus Thaddäus als Melancholiker und den schwerfälligen Seestern Patrick als Phlegmatiker erkennt. Aber mit Fernsehfiguren verhält es sich am Ende ganz wie mit den echten Freunden: Ob Spongebob ein Exempel abgibt, liegt im Naturell des Ratsuchenden. Eine nützlichere Identifikationsfigur als der penetrant lebensfrohe Optimistenschwamm gäbe eventuell besagter Thaddäus ab, die große Leidensgestalt der Serie – und sicher ein geeignetes Anschauungsobjekt in der Frage, wie man trotz depressiver Grunddisposition und nerviger Nachbarn das Leben halbwegs auf die Reihe bekommt.