Campino-Vorlesung startet: Die Lümmels aus der letzten Reihe
Als Gastprofessor an der Heinrich-Heine Universität sinniert die Punklegende über die Magie der „Gebrauchslyrik“
Auf Kunsthochschulen oder Philosophischen Fakultäten sind prominente Gastdozenten aus dem echten Leben keine Seltenheit. Nicht nur Schriftsteller wie Rainald Goetz oder Christian Kracht halten hier regelmäßig unregelmäßig spektakuläre Vorträge, die dann auch außerhalb der heiligen Hallen der Alma Mater für hohe Wellen sorgen.
In die Abteilung „Pop Dialog trifft Lokalpatriotismus“ fällt das universitäre Gastspiel von Andreas Frege, seines Zeichens Sänger der Düsseldorfer Formation Die Toten Hosen. Sein Thema im vollbesetzten Hörsaal 3A in der Campus-Uni seiner Heimatstadt: „Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer. Eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik“.
30.000 Studis und Fans wollten hin, in den Saal passen allerdings nur 650. Nach Wolf Biermann ist Campino hier der zweite Gast-Prof mit Musik-Background.
Begleitet von Bandkumpel Kuddel an der Gitarre tauchte Campino am gestrigen Dienstag (02. April) tief ins bürgerlichen Millieu ein, wenn er neben einer Text-intensiven Folkversion des Ur-Hosen-Songs „Opelgang“ auch Altmeister Theodor Fontane und dessen Schulgedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ auf seine Wirkung im TicToc-Zeitalter abklopft.
Als nette Geste an die ausgelosten Studierenden in den Sitzreihen präsentierte sich Campino als fideler „Alumni“. Jahrelang in Düsseldorf in Englisch und Geschichte eingeschrieben, hätte er es allerdings nie auf eine Vorlesung geschafft. „Aus terminlichen Gründen!“ Die Hosen-Karriere forderte ihren Tribut, der Hörsaal lacht. Der Gastprofessor war einer von ihnen.
Neben Fontane hat es Campino auch Erich Kästner angetan, dessen Kategorie von der „Gebrauchslyrik“ eine Art Brücke für den ehemaligen Krawallpunk ins akademische Milleu darstellt. „Eisgekühlter Bommelunder“ oder „An Tagen Wie Diesen“ als Poesie unserer Tage.
Erich Kästner für die Insel
Schon wieder Showbusiness war die vorab installierte Pressekonferenz zum Job als Teilzeit-Professor. Auf die Frage nach einem „Lieblingstexter“ kann sich Campino nicht festlegen: „Darauf habe ich keine Antwort, es gibt so viel großartige Schriftsteller, großartige Gedichte und Texte, wenn man noch die Welt der Lieder hinzunimmt, dann weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll.“ Wenn es allerdings um ein Gesamtwerk für die einsame Insel geht, „dann wäre es Erich Kästner für mich“.
Neben Uni-Namensgeber fällt Campino auch der lange in Düsseldorf lehrende Künstler Joseph Beuys und dessen Diktum „Jeder Mensch ist ein Künstler“ in das Vorlesungsprogramm. Ein Fundament des Punk – von wegen geniale Dilettanten.
Die wilden Zeiten der Toten Hosen werden mit allgemeiner Heiterkeit zur Kenntnis genommen, als Campino anekdotisch an ein zerstörerisches Konzert in der Uni-Mensa 1985 erinnert. Zerschnippelte Deckenleuchten und verwüstete Klos. Anti-Reflexe gegen das Establishment. Doch Langzeitstudent Campino erhielt damals keine Exmatrikulierung.
Der furiose Frontmann skizziert seine heutige Situation ohne falsche Romantik: „Ich bin 61, ein Mann, der nur noch durch die Gegend schleicht. Der hält nicht mehr her für eine Revolution. Jede Generation braucht ihre eigenen Helden.“
Professor Campinos zweite Lesung gibt es am 23. April.
Überschrift des Mix aus Vortrag und Talkshow „Alle haben was zu sagen. Die Kakophonie unserer Zeit“. Sein wohlgesinntes Gegenüber ist dann Hosen-Biograf und „Spiegel“-Kultur-Styler Philipp Oehmke.