Campino und Sting über Jugendsünden und Altersweisheiten
Jedem Spätsiebziger Alt-Punk dürfte hier der Irokese schwülen; all seine Ikonen auf dem Abstellgleis der Pop-Historie oder gar unter der Erde. Und jetzt die beiden wieder: Sting, der intelligente Jazz-Aficionado, von seinem Manager clever und profitabel als (Pseudo)-Punk-Star vermarktet - und Campino, unser aller Fun-Punk, immer wieder gut für eine kesse Lippe. Aber gemach; die Herren sind in die Jahre gekommen und machen sich jetzt im Zwiegespräch altersweise Gedanken über ihren Status gestern und heute, Fußball und den Umgang mit linker Politik unserer Tage
cAMpino uNd stiNg übEr JugENdsündEn uNd altERsweisHeitEN Jedem Spätsiebziger Alt-Punk dürfte hier der Irokese schwülen; all seine Ikonen auf dem Abstellgleis der Pop-Historie oder gar unter der Erde. Und jetzt die beiden wieder: Sting, der intelligente Jazz-Aficionado, von seinem Manager clever und profitabel als (Pseudo)-Punk-Star vermarktet – und Campino, unser aller Fun-Punk, immer wieder gut für eine kesse Lippe.Aber gemach; die Herren sind in die Jahre gekommen und machen sich jetzt im Zwiegespräch altersweise Gedanken über ihren Status gestern und heute, Fußball und den Umgang mit linker Politik unserer Tage jvoN martin Scholz m Ende der langen Sitzung sind sich die beiden Teilnehmer näher gekommen, als das bei bilateralen Treffen normalerweise üblich ,Sorry, dass ich jetzt mit meinem klatschnassen T-Shirt fast an dir kleben bleibe“, flachst Sting, während er mit Campino Rücken an Rücken für den Fotografen posiert. Männerschweiß verbindet halt. Der Tote Hosen-Sänger trägt es mit Fassung: „Kein Problem. Ich bin doch genauso nassgeschwitzt wie du.“ Das Hoch „Zoe“ mit Höchstwerten so um die 30 Grad und die Scheinwerfer hatten die Temperatur in der Garderobe des Kölner TV-Studios peu ä peu auf Backofen-Werte ansteigen lassen. Die beiden Sänger hatten dennoch sichtlich Gefallen daran, ausgiebig über den Wertewandel im Pop-Business zu debattieren. Dabei machten sie unter anderem erstaunt die Feststellung, wie kurios es – angesichts total unterschiedlicher Musik-Nforlieben – doch sei, dass sie beide ihren Status als Pop-Großverdiener der Punk-Explosion zu verdanken haben. Der eine galt als Ersatz-Punk, der andere ab Fun-Punk, und beide sind abwechselnd mal zu Kultfiguren einer (vom Boulevard-Feuilleton herbeigeschriebenen) Pop-Intelligenzija erhöht, aber auch mal wegen ihres klugscheißerischen, unreflektierten Aktionismus niedergemacht worden. Anlass genug für den ROLLING STONE, Sting und Campino zu einem anderen britischdeutschen Gipfeltreffen zusammenzubringen, um sie über die Wechselwirkung von Pop und Politik in Zeiten von Schröder und Blair und über das Alterwerden in einer auf Jugend fixierten Branche diskutieren zu lassen. Dabei blieb sogar noch Zeit für gut gemeinte Ratschläge von Sänger zu Sänger (Sting: „Ybga ist definitiv besser als Warmsingen“) und knifflige linguistische Fragen. Der Name Tote Hosen habe ihm schon immer gefallen, bekannte Sting, „aber was bedeutet er eigentlich?“ „Tote Hose bedeutet, dass du ein absoluter Versager im Bett bist.“ Pikante Nachfrage von Sting: „Und, war das im Deutschen schon immer ein gängiger Ausdruck oder habt ihr den etwa erst geprägt?“ CAMPINO: Sting, erinnerst du dich noch an unsere letzte Begegnung, als du im Münchner Olympiastadion nach den Toten Hosen auf die Bühne gekommen bist und es wie aus Eimern gekübelt hat? STING: Wie könnte ich das vergessen. Du bist von der Bühne gesprungen und im strömenden Regen wie ein Irrer über die Tribünen und durch das Stadion gejoggt. Ich habe mir das aus sicherer Distanz von der Bühnenseite aus angesehen. Das klingt fast so, als hätte es dich ein bisschen geärgert, dass Campino dir die ShowstahL STING: Genau, ich hätte am liebsten geschrien: „Holt diesen Motherfucker zurück auf die Bühne!“ Nein, im Ernst, diese sportive Einlage war schon große fotOs. peter boettcherKlasse, die hat mich damals sehr amüsiert. Machst du so etwas eigendich jeden Abend? CAMPINO: Was denn? STING: Wie ein Verrückter durchs Stadion rennen. CAMPINO: Nein, so was passiert mir immer nur spontan. Ich klettere auch nicht so oft auf das Bühnendach. Und wenn es die Zuschauer erwarten, schon gar nicht. Darüber hinaus kann ich dich beruhigen: Wenn ich mir mein Fußballteam im Stadion ansehe, dann sitze ich einfach nur ganz gesittet auf der Tribüne. STING: Und welche deutsche Mannschaft bringt dich in Wallung? CAMPINO: Das ist ein leidiges Thema: Die Mannschaft meiner Heimatstadt, Fortuna Düsseldorf, kickt derzeit nur in der dritten Liga. Aber was soll ich machen? Wenn ich kann, gehe ich immer noch zu den Spielen, feuere sie an, esse meine Bratwurst, leide ein bisschen und gehe dann leicht bedröppelt wieder nach Hause. STING: Verstehe. Fußball ist nun mal eine Form von Ersatzreligion, in der’s darum geht, Leiden zu ertragen. Wir Fußballbegeisterten leiden ja alle mit, Minute für Minute, von Halbzeit zu Halbzeit, von Spiel zu Spiel, jede Saison wieder aufs Neue. Das Leiden ist die essentielle Fußball-Erfahrung. Bei manchen Menschen bestimmt sie das ganze Leben. CAMPINO: Aber nur, wenn sie das falsche Team anfeuern – Fortuna oder so einen Verein wie Newcasde United zum Beispiel. STING: Erinnere mich nicht daran. Aber ich bekenne: Ich bin ein Newcasde-Fan. Und es macht mir Spaß zu leiden. Denn wenn wir eines Tages mal gewinnen, ist die Freude darüber umso größer – aber nur, weil wir vorher so sehr gelitten haben, weil mal wieder ein Traum geplatzt ist. Stammen solche philosophischen Erkenntnisse noch aus jener Zeit, in der du selbst Fußall-Thainer warst? STING: Ich habe ja nur an der Schule nur ein bisschen Fußball unterrichtet und zwar in einer Mädchen-Klasse. CaMPINO: Aber das hat dir doch bestimmt gefallen. STING: Aber ja doch, denn Mädchen sind einfach die besseren Fußballspieler. Das ist kein Witz. Sie sind zwar körperlich nicht so stark, bewegen sich aber eleganter und spielen strategisch besser als die Männer. Es macht Spaß, ihnen beim Spiel zuzusehen. Macht es euch beiden heutzutage noch mal Spaß, dem Gekicke eurer Nationalmannschaften zuzuschauen? CaMPINO: Kommt darauf an, welche Nationahnannschaft du meinst. Ich bin halb-deutsch, halb-englisch. Wenn früher Deutschland gegen England spielte, stand ich immer auf der Seite der Engländer. Daran hat sich bis heute nichts geändert. 1990 beispielsweise hatte ich das Spiel Deutschland-England während der WM in Italien besucht. Alle aus unserer Band standen im deutschen Fan-Block – nur ich war im englischen Block. Dann tauchte da plötzlich ein deutscher Fan in einem Trikot der deutschen Nationalmannschaff auf. Er fragte mich auf englisch, ob ich ihn nicht fotografieren könnte. Ich sagte, er könne ruhig deutsch mit mir sprechen. „Gott sei Dank“, seufzte er, „dann steh ich hier nicht ganz allein unter diesen Scheiß-Tommys.“ Das hat mich dann doch ziemlich geärgert Das Foto habe ich zwar gemacht aber ohne seinen Kopf mit drauf zu nehmen. STING: Die Deutschen nennen uns Tommys? Das habe ich ja noch nie gehört Das ist aber nicht sehr nett, wir nennen die Deutschen ja auch nicht alle Fritz. CaMPINO: Die Anrede „Krauts“ ist nun auch nicht viel netter. STBSG: Also bitte, die Ableitung von Sauerkraut zu Krauts – das muss man schon aushalten können. Wo bleibt da der Sinn für Humor? CAMPINO: Stimmt’s eigendich, dass du bei Fußball-Länderspielen gegen Deutschland schon mal derbste Anti-Kraut-Choräle mitsingst? Solche bilateralen Frot&Ieien sollen ja, wenn es nach Gerhard Schröder und Tony Blair geht, künftigder Vergangenheit angehören. Mit ihrem gemeinsamen Thesenpapier über die neue Mitte haben die beiden Saloti-Sozis die europäische Linke nachhaltig erschüttert. Sting, du hast dich vor einer Ewigkeit mal ab Sozialist geoutet. Sträuben sich dir angesichts der Aushöhlung linker Politik nicht die Haare? STING: Dieses Thesenpapier hat in England nicht so hohe Wellen wie in Deutschland geschlagen. Aber die Fixierung auf diese ominöse neue Mitte macht mich ziemlich ratlos. CAMPINO: Ja, das geht mir ähnlich. Wobei ich nicht so weit gehen würde, in diesem Zusammenhang von einer europäischen Entwicklung zu sprechen. In Frankreich gibt es ja noch eine Linke in einer Regierung, die diesen Namen verdient hat und die, wie mir scheint, erfolgreich Politik macht. Blair war ja nach sehr langer Zeit der erste Linke, der den Konservativen in Europa die Macht abgenommen hatte. Schröder hat ihn immer angehimmelt Die englische Labour-Partei war ihm und vielen in der SPD immer ein Vorbild – deshalb wird in Deutschland jetzt auch ein solches Bohei um dieses Thesen-Papier gemacht STING: Aber weder Schröder noch Blair stehen im Moment besonders gut da. Das Vakuum, das sie kreiert haben, könnte für unsere beiden Länder sehr problematisch werden. Die politische Landschaft ist doch völlig verflacht: Es gibt kein Rechts und kein Links mehr. Die Labour-Partei, wie sie sich heute darstellt, ist für mich jedenfalls nicht mehr wiederzuerkennen. Sie ist nicht mehr jene Partei, die sie vor 20, 30 Jahren noch war. Aber Politik ist eine Sache, das Leben eine andere: Ich habe meine Erwartungen an eine Demokratie in den letztenjahren heruntergeschraubt. Ich glaube nicht mehr, dass die Politik in der Lage ist, all unsere Probleme zu lösen. Ich habe ja auch Tony Blair gewählt Und er war derjenige, der die Kampfjets nach Serbien geschickt hat Und damit wart ihr beide nicht einverstanden? STING: Nein. So sehr ich auch Milosevic und sein extrem dummes Regime verachtet habe, ist der Konflikt doch von unseren Politikern für ihre Zwecke missbraucht worden. Die Bombardierung von Zivilisten war der pure Wahnsinn. Und im Fernsehen wurd das wieder mal als TV-Game Show präsentiert Man hätte das Kosovo-Problem schon lange vorher lösen sollen, bevor die Situation derart eskalierte. CAMPINO: Ich glaube, die internationale Gemeinschaft hat die Lage im Kosovo viel zu lange falsch eingeschätzt und dann zu überhastet und planlos eingegriffen, ohne sich über die Konsequenzen Gedanken zu machen. Inzwischen ist es offensichtlich, dass sich vieles auch nach dem Rückzug der Serben nicht verbessert hat. Die UCK-Kämpfer unterscheiden sich in ihrer Brutalität nicht sehr von den Serben. Aber Sting, wenn du schon so sehr über den New Labour-Mann Blair herziehst, würde michjetzt schon interessieren, ob denn dein Herz heute immer noch links schlägt? STING: Schwer zu sagen. Ich glaube, dass jeder in einer modernen Gesellschaft, das Recht auf eine gute Ausbildung hat. Daher meine ich auch, die Lehrer sollten besser bezahlt werden. CAMPINO: Das hätte ich von einem Ex-Lehrer auch nicht anders erwartet STENG: Moment. Ich glaube weiterhin, dass jeder in der Gesellschaft ein Recht auf ein umfassendes Gesundheitssystem hat – um das zu gewährleisten, muss man Ärzten und Pflegepersonal ein vernünftiges Gehalt zahlen. Genau das aber verursacht momentan überall Riesenprobleme. Aber diese Forderungen sind das einzige, was von meinen sozialistischen Idealen übriggeblieben ist Ich glaube schon lange nicht mehr an Revolution. Das funktioniert nicht. Es gibt kein zukunftsweisendes Modell für Sozialismus. Fiel es euch leichter, relevante Popsongs m schreiben, als das Koordinatensystem Rechts und Links noch Sinn machte? STTNG: Nein. Ich habe meine politischen Songs ja nie mit Blick auf politische Parteien geschrieben. Der Song „They Dance Alone“ beispielsweise kritisiert ja nicht nur die Pinochet-Diktatur. Ich hätte mich an das Thema nie rangewagt, wenn ich nicht eine Metapher gefunden hätte – eben die jener Frauen, die, indem sie tanzen, um ihre ermordeten, verschwundenen Männer trauern. Der Song ergibt auch einen Sinn, wenn du nichts über die Politik in Chile weißt Ich schreibe keine Propaganda, ich bin kein Journalist Meine Songs brauchen künsderische Texte. CAMPINO: Die politische Lage ist für die Qualität unserer Texte auch nicht relevant Aber Sting, dein Kampf für den Regenwald, ob du willst oder nicht, ist auch ein politischer. Bist du es nicht manchmal leid, dich ständig dafür entschuldigen zu müssen, weil niemand so recht an die Ernsthaftigkeit deines Engagements glauben will und dir PR in eigener Sache unterstellt? STING: Das Ziel ist wichtiger. Das Gerede ist mir egaL Ich unterstütze die Aktivitäten für den Erhalt des Regenwaldes nach wie vor, nur mache ich das heute nicht mehr mit großem Tamtam, sondern eher auf eine stille Art. Ich geb Konzerte, sammele Geld und kofinanziere die Arbeit in Brasilien. Dafür brauche ich die Medien nicht mehr. Die sind für mich heute eh nur noch ein Geschäftszweig der Unterhaltungsindustrie. Denen ist jedwede Glaubwürdigkeit abhanden gekommen. Gut ab und zu gibt’s noch ein paar Informationshäppchen. Aber du kannst die Leute genauso gut mit Lügen wie mit der Wahrheit futtern. CAMP1N0: Liest du eigentlich die Kritiken nach der Veröffentlichung eines deiner Alben? SuNG: Ab und zu, aber ich sitz nicht da und warte auf die Mappen mit den Presse-Clips. Ich erwarte keine Nettigkeiten von der Presse. CAMPINO: Würde dich ein Verriss deiner neuen CD noch verletzen? STING: Nein, nicht wirklich. CAMPINO: Das ist bei mir anders. Die wirklichen üblen Besprechungen treffen mich immer noch. SiTNG: Die Medien haben wirklich schon viele unsägliche, oft widerwärtige Dinge über mich behauptet. Ich versuche es mit Humor zu nehmen. Noel Coward hat mal etwas Kluges gesagt: Eine schlechte Kritik kann dir zwar dein Frühstück verderben, aber es sollte nicht dazu führen, dass dir das Mittagessen wieder hochkommt. Das klingt fast wie das Lamento eines Berufs-Zpiikers. STING: Ich, zynisch? Bin ich nicht die Spur. Ich werde nur zum Zyniker, wenn es um die Presse geht. Gibt es noch seriösen Journalismus? Ich glaub nicht. Die ganze Medien-Branche ist immer mehr dem Druck, Auflage zu machen oder Einschaltquoten zu steigern, zum Opfer gefallen. Es geht um das Verkaufen, jeder will vorn liegen. Nun haben gerade Blair und Schröder ein Gespür für medienwirksame Auftritte entwickelt und tummeln sich immer wieder im Pop- Umfeld. Was geht euch durch den Kopf, wenn ihr seht, wieBono und Bob Geldofbeim G8-GipfelinKöln Blair und Schröder Petitionen überreichen, Hände schütteln -und danach ergebnislos wieder abfliegen? STING: Politik ist inzwischen eben auch ein Teil des Showbusiness. Ich glaube nicht, dass wir noch eine genuine, politische Dialektik haben. Es gibt doch kaum noch Debatten, die den Namen wirklich verdient hätten. Früher kamen Politiker aus den Berufsgruppen der Rechtsanwälte oder Soziologen. Heute hat man eher den Eindruck, man hätte sie aus den Game-Shows der Fernsehsender abgeworben. Oder aus der Pop-Branche… SnNG: Absolut CaMPINO: Dann wären es aber Popstars der schlimmsten Sorte. Als ich jünger war, hätte ich nie gedacht, dass es so leicht wäre, als Politiker ohne viel Sachkenntnisse Erfolg zu haben. Ich hasse diese oberflächlichen Vernetzungen von Pop und Politik. Es ist eine sehr durchschaubare, billige Art, sich dem jungen Wählervolk anzudienen. Ich war mal Gast in einer TV-Show, in der Gerhard Schröder, damals noch Kanzler-Kandidat, live zugeschaltet wurde. Und obwohl dort lauter andere deutsche Polit-Größen saßen, sprach er ausdrücklich nur zu mir. Eine clevere Taktik: Er wollte die Alten abbügeln und der Jugend des Landes in wenigen Minuten klarmachen – ich kenne diesen Campino und komme sogar gut mit ihm klar. In dem Moment kam ich mir ziemlich ausgenutzt vor. Wenn ich heute sehe, wie Blair und Schröder vor der Presse Bono und Geldof auf die Schulter klopfen, ist auch das nichts als Taktik. Es bedeutet gar nichts. Es bedeutet aber auch, dass Popstars, egal wie alt sie sind, automatisch Garanten für Jugendlichkeit sind. Wirdes nicht irgendwann problematisch, wenn man sich nach 20Jahren immer noch die Haare färben muss, nur weil man mal damit angefangen hat? STING: Ach was. Ich bin jetzt 47, da wird es doch allmählich Zeit, dass ich eine Glatze bekomme. CaMPINO: Ich färbe mir meine Haare nur, wenn ich mich langweile. Es hat nichts zu bedeuten und hat schon gar nichts mit Ideologie zu tun. Haare fallen aus oder nicht, mit dem Färben hat das nichts zu tun. STING: Im übrigen ist es auch ziemlich sexy, kahl zu sein. CaMPINO: Vbn unseren Haarproblemen mal abgesehen, – gibt’s eigentlich irgend etwas in deinem jetzigen Leben, das anders wäre, wenn es Punk nicht gegeben hätte? STING: Ich war ja nie ein richtiger Punk. Dafür war ich damals, als es mit Police losging, schon zu alt. Was mich an Punk faszinierte, war die unglaubliche Energie dieser Musik und die Erkenntnis, dass man diese Szene als nicht gesellschaftsfähig abgestempelt hatte. Mir ging es damals ähnlich, daher konnte ich das gut nachempfinden. In puncto Musik war das für Police jedoch kein Problem: Natürlich konnten wir Punk spielen, sehr laut und sehr schlicht So haben wir auch unseren intelektuellen Background kaschieren können – denn Andy Summers und ich waren schon damals Jazzfanatiker. CAMPINO: Wärst du ohne Punk jedoch da angelangt, wo du heute bist? STING: Nein. Ich glaube nicht, dass ich ohne Punk überhaupt den Einstieg ins Musik-Business geschafft hätte. Police hätten damals keine Chance gehabt. Wir sahen nun mal nicht so aus wie all die anderen Bands, die zu der Zeit angesagt waren: Wir hatten keine langen Haare wie Foreigner, Boston oder all die anderen Corporate-Rock-Bands der Mittsiebziger. Punk hat für mich die Türen weit aufgestoßen. Aber mein Hauptinteresse galt immer einer Musik, bei der nicht so sehr der Stil oder die Art und Weise, wie ich aussehe, ausschlaggebend sind. Ich hab mich immer als Musiker verstanden, der nicht einem bestimmten Trend angehörte. Ich habe mich immer in einem weiter gefassten Kontext gesehen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich bin kein Punk-Musiker, war auch nie einer. Gut, ich hatte das Image, die Energie und sah eine Zeitlang aus wie ein Punk – aber Leidenschaft: für diese Musik hab ich nie besessen. CAMPINO: Was hat dich denn damals überhaupt daran gereizt, mit so Punk-Ikonen wie Chelsea zu spielen? STING: Ich habe diese Band einfach sehr gemocht Und es stimmt, ich habe wirklich ziemlich oft bei Gene October Bass gespielt. Keine Ahnung, was er heute macht. Chelsea und wir hatten damals das gleiche Managment-Büro. Gene hat sich immer wieder Geld von mir geliehen. Er schuldet mir bis heute eine Menge – ich glaube 30 Pfund. CAMPINO: Gibt es heute überhaupt noch neue Rock’n’Roll-Bands, die dich begeistern können – beispielsweise die Manie Street Preachers? STING: Es kommt heute nur noch selten vor, dass ich etwas höre, das mich wirklich packt Etwas, das rätselhaft ist, das ich nicht analysieren kann, weil es schwer zuzuordnen ist Die Manie Street Preachers gehören nicht dazu. Ich mag Fatboy Slim, ich seh zumindest, warum diese Musik funktioniert und Kraft hat Andererseits kenne ich auch die Samples, auf denen diese Songs basieren. Letzte Woche habe ich eine Radiosendung mit dem Titel „Wie nimmt man einen Fatboy-Slim-Song auf?“ gehört Muss ich noch mehr sagen? Sting, auf der neuen CD singst du mit dem algerischen Sänger Cheb Mami ein Duett. Was hat dich denn an der Rai-Musik fasziniert? STING: Es ist eine Musik, die alle Zuordnungen und Grenzen negiert. Sie kommt zwar aus Nordafrika, aber sie klaut von Flamenco, Reggae, Pop und französischen Chansons. Es ist eine Musik ohne allen Purismus, Bastard-Musik, ich liebe das. Blues,Jazz oder Rock’n’Roll in ihrer reinen Form interessieren mich nicht. Mich reizen die Schnittstellen, an denen sich Musik vermischt Rai-Musik ist daher ideal. CAMPINO: Ungeachtet aller Experimente fragen die Medien uns immer wieder: Wie lange wollt ihr das noch machen? Hast du mal gezählt, wie oft sie dich schon abgeschrieben haben? STING: Nein. Aber das gehört doch zum Spiel. Je länger du dabei bist, desto schwieriger wird es, oben zu bleiben. Aber das macht die Sache ja erst interessant CAMPINO: Zum Schluss muss ich dir noch was beichten: Ich schulde dir ein paar Pfund, denn meine ersten beiden Police-Platten habe ich damals in einem Geschäft geklaut STING: Du hast echt LPs geklaut? CAMPINO: Nee, keine LPs, nur Singles. Für die Longplayer war ein Typ aus meiner Klasse zuständig. Der hatte unsere Bestellungen entgegen genommen, ging mit einem weiten Mantel in den Laden und kam irgendwie mit den LPs wieder raus. Vielleicht sollte ich dir, allein um die bilateralen Beziehungen nicht zu gefährden, die Summe demnächst einfach überweisen. STING: Hab ich auch gerade gedacht – aber vergiss die Zinsen nicht J3