Campino über das neue Album der Toten Hosen: „Das war mal wieder so eine Schnapsidee“

Campino im exklusiven ROLLING-STONE-Interview über die Produktion ihrer neuen Platte „Alles ohne Strom“.

Ein bisschen geflunkert ist der Titel des neuen Albums, „Alles ohne Strom“, schon, denn es braucht doch ziemlich viel Energie, um so ein Mammutprojekt zu stemmen: Mit elf klassischen Musikern traten Die Toten Hosen im Juli in der Düsseldorfer Tonhalle auf, das Konzert erscheint jetzt als Album und ab dem 22.11. auch auf DVD. Fünf Fragen dazu an den Sänger.

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Große Arrangements mit Bläsern und Streichern: Wie kamt Ihr gerade jetzt auf die Idee, eure Songs so neu zu präsentieren?

Campino: Mir gefiel schon seit unserem „Unplugged“-Album der Gedanke, dass ein Lied etwas Lebendiges ist. Nur weil man es in einer Aufnahme verewigt hat, muss ja der Reifungsprozess nicht aufhören. Trotzdem gibt es dann immer so etwas wie Respekt vor dem Original, auch weil die Fans das so hören wollen. Das geht mir mit meinen Helden genauso, ich möchte auch, dass sie mir die Lieder live so um die Ohren hauen, wie ich sie kenne. Andererseits bin ich auch neugierig, was noch so in den Stücken steckt. Die Ansage „ohne Strom“ bereitet die Leute ja auch auf Experimente und Abenteuer vor.

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Nach welchen Kriterien habt Ihr die Songs ausgewählt?

Campino: Grundsätzlich wollten wir gern andere Sachen bringen als das, was man von uns kennt. Wir sind ganz unterschiedliche Lieder angegangen und haben uns dann für das überzeugendste Material entschieden. Unter anderem hatten wir „Boys Don’t Cry“ und „Because The Night“ auf dem Zettel, die waren auch nicht miserabel gespielt, aber dann sind es doch „Everlong“ von den Foo Fighters und Rammsteins „Ohne Dich“ geworden. Und „Love Is In The Air“! Das war mal wieder so eine Schnapsidee. Auf dem Weg in den Proberaum lief das auf einem Oldie-Sender im Radio. Sofort ging das Gedankenkarussell los: Was würden Faith No More damit machen? So einen Geniestreich wie deren „Easy“ haben wir wohl leider nicht hinbekommen, aber es war ein lustiger Persiflagen-Moment. Bei der öffentlichen Probe kamen wir da alle mit Udo-Jürgens-mäßigen Bademänteln raus, aber dann mussten wir feststellen, dass wir im Anschluss vier weitere Lieder als Zugaben hatten und so lange die Bademäntel tragen mussten. Deshalb haben wir es an den nächsten Abenden dann gelassen.

Warum ausgerechnet eine Rammstein-Coverversion? Eine große deutsche Rockband verneigt sich vor der anderen?

Campino: Damit rechnet man bei uns nicht, das ist schon mal spannend. Und wir kennen Rammstein natürlich seit vielen Jahren. Es ist ja kein Geheimnis, dass ich die Band am Anfang nicht richtig verstanden habe – vielleicht weil ich den Fehler gemacht habe, sie mit uns zu vergleichen und unsere Herangehensweisen gleichzusetzen. Dabei haben sie eine ganz andere künstlerische Herangehensweise als wir. Rammstein ist in meinen Augen ein Projekt, das viele Parallelen zum Theater besitzt. Die Musiker steigen in Rollen, und nach dem Konzert verlassen sie diese wieder. Sie bringen Kunstfiguren auf die Bühne, mit denen sich die Zuschauer befassen, darüber diskutieren und streiten können, aber die Band wird es nicht kommentieren. Auch den Humor hinter Rammstein habe ich lange nicht kapiert. Ihr letztes Album ist ja voll davon – ich kann zwischen den Zeilen sehen, wie sie sich dabei amüsiert haben. Fest steht, dass sie qualitativ wahnsinnig hochwertig arbeiten, unheimlich kreativ sind, vom Cover bis zum Video stimmt bei ihnen immer alles – das nötigt mir großen Respekt ab. All diese Punkte machen es für mich schon stimmig, „Ohne Dich“ zu covern – als ernstgemeinten Hutzieher.

Campino über das Ende der Toten Hosen!

Es sind auch vier neue Lieder auf dem Album, die teilweise erst kurz vorher fertig wurden. Wird’s da nicht eng mit der Qualitätskontrolle?

Campino: Die Lieder sind null getestet in ihrer Wirkung, damit kann man natürlich auch danebengreifen. Manchmal muss ein Song ja eine Weile rumliegen, bis man die Schwächen und Stärken erkennt. Das war hier nicht möglich. Bei „Feiern im Regen“ habe ich am Dienstag den Text mitgebracht, am Mittwoch haben wir es zum ersten Mal geprobt, und am Freitag war schon die erste Aufführung. Das ist natürlich ein Risiko, aber gehört auch mal dazu – und es tut der Platte gut, völlig neue Songs dabei zu haben neben den neu interpretierten Klassikern und den Coverversionen. Die richtige Mischung macht‘s.

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