Campino im neuen ROLLING STONE: „Wenn mir Frau Merkel auf der Straße begegnen würde, würde ich zu ihr gehen und mich bedanken“
Deutschlands erfolgreichste Rockband übernimmt Deutschlands größtes Musikmagazin: Die Toten Hosen zeichneten als Chefredakteure für die Mai-Ausgabe von ROLLING STONE verantwortlich. Im Heft: Das große Interview mit Campino zum neuen Album „Laune der Natur“ – und der politischen Lage der Nation.
Am 5. Mai erscheint das neue Album der Toten Hosen, „Laune der Natur“, auf dem es um Leben und Tod geht – aber erstaunlich wenig um Politik. „Unsere Haltung kennt ja jeder, und wir gehen den Leuten damit schon genug auf den Keks“, stellt Sänger Campino in der aktuellen Ausgabe des ROLLING STONE fest.
„Es ist inzwischen sehr, sehr schwer, Lieder zu schreiben zum politischen Tagesgeschehen, weil das Tempo der Entwicklung immer schneller wird.“ Zur Kanzlerin hat er allerdings eine feste Position – und es ist ihm egal, ob das irgendwer uncool findet: „Wenn mir Frau Merkel auf der Straße begegnen würde, würde ich zu ihr gehen und mich bedanken. Wie sie in der Flüchtlingskrise reagiert hat und sich lange nicht beirren ließ, davor habe ich großen Respekt.“ Die SPD-Hoffnung Martin Schulz bewertet er abwartend: „Ich mochte ihn als Europaparlamentarier, aber als Kanzlerkandidat habe ich von ihm bisher eher wenig Beeindruckendes gehört.“
Keine Zeit mit Zynismus verschwenden
Erst Sensationserfolge, dann Schicksalsschläge: Im ROLLING STONE erzählt Campino auch, wie Die Toten Hosen beides verkraftet haben. Im 30. Karrierejahr feierten sie 2012 mit „Tage wie diese“ plötzlich ihren größten Erfolg, doch in den vergangenen beiden Jahren mussten sie zwei wichtige Weggefährten begraben: ihren langjährigen Manager Jochen Hülder und Wolfgang „Wölli“ Rohde, der von 1986 bis 1999 für sie trommelte.
„Es gehört dazu, dass man sich jede Menge Beulen abholt und Bitteres erleben muss, und trotzdem ist das Leben eine tolle Angelegenheit“, sagt Campino bestimmt. „Wer noch da ist und Kraft hat, hat keinen Grund, dieses wahnsinnige Geschenk nicht zu würdigen. Das sollte idealerweise das Endergebnis aller Bilanzen sein.“ Vom Tod könne man nichts lernen außer: „Das Einzige, was wir mitnehmen können, ist, dass wir uns vornehmen, das Hier und Heute so bewusst wie möglich zu zelebrieren, nach unseren eigenen Vorstellungen und moralischen Werten. Dass wir diese teure Zeit nicht verschwenden mit Zynismus oder Negativität.“
Campino übernimmt
Wie und warum die Toten Hosen diese Ausgabe des ROLLING STONE gekapert haben
von Sebastian Zabel
Auf dem Foto oben können Sie einen Blick in die Redaktion des Rolling Stone werfen: Links am Fenster steht Arne Willander, vor ihm Birgit Fuß, Chefin vom Dienst und wichtigste Protagonistin dieser Ausgabe, dahinter Walter Schönauer, unser Art Director, links sitzt ROLLING-STONE-Grafiker Klaus Kalaß, ihm guckt Maik Brüggemeyer über die Schulter, ganz rechts telefoniert Patrick Orth, Manager einer kleinen, aber feinen Plattenfirma aus Düsseldorf. Im Vordergrund aber lehnt ziemlich chefmäßig Campino mit Kaffeebecher und Rotstift am Tresen. Mich hingegen sehen Sie nicht, denn bei dieser Ausgabe des ROLLING STONE hat der 54-jährige Sänger einer Band aus Düsseldorf das Ruder übernommen.
Es war Birgits Idee. Seit 24 Jahren begleitet sie Die Toten Hosen, ein Dutzend Interviews hat sie mit ihnen geführt – natürlich auch dieses Mal, anlässlich ihres neuen Albums. Fast ebenso lange liest Campino den deutschen ROLLING STONE, ist er ein kritischer Begleiter, einer, den es juckt, auch mal eigene Themenvorschläge und Ideen bei uns unterzubringen. Deutschlands größte Musikzeitschrift und Deutschlands erfolgreichste Band – da müsste doch was gehen! Birgit traf sich mit allen Beteiligten, mal im Hosen-Headquarter in Düsseldorf, mal beim Vietnamesen in Kreuzberg.
Am Ende haben wir Campino gebeten, die Mai-Ausgabe des ROLLING STONE zu kuratieren. Er ist bekanntermaßen einer der politisch engagiertesten Popstars des Landes, der sich selbst lässig als „uncool“ bezeichnet – und mit gehörigem Ernst und Witz zur Sache ging. Die erste Chefmaßnahme hieß: Jeder darf über ein Thema schreiben, das ihm besonders am Herzen liegt. Bei Bassist Andreas „Andi“ Meurer ist es beispielsweise der Fotokünstler Andreas Gursky, bei Gitarrist Michael „Breiti“ Breitkopf das Engagement für Flüchtlinge, und Veganismus bei seinem Mitgitarristen Andreas „Kuddel“ von Holst.
Zweite Maßnahme: Jeder darf Texte im Heft kommentieren – direkt auf dem Layout, mit dem Eddingstift. Campino (krakeligste Handschrift) empfiehlt zum Beispiel nachdrücklich Feist („weil sie mega ist“) und bekennt sich zu Deep Purple („Helden der Kindheit“). Schlagzeuger Vom Ritchie schrieb den lustigsten Satz (schauen Sie auf Seite 12 nach), und Andi gab den Gorillaz einfach noch einen Stern mehr.
Ein Blick von Außen also und ein großer Spaß. Wiederholung mit anderen Künstlern nicht ausgeschlossen. Trotzdem bin ich ganz froh, wieder an Bord zu sein.
Viel Vergnügen mit der gekaperten Mai-Ausgabe!