Camper Van Beethoven – „Key Lime Pie“
Der Redakteur von der Lokalzeitung kam damals mit der monatlichen Lieferung aus dem Virgin-Büro in die Redaktion. Er verteilte die Rezensionsexemplare. In jenem Herbst hatte ich bereits Lenny Kravitz’ "Let Love Rule" bekommen, und während man heute jede Platte dieses Mannes fürchtet, glaubte man damals locker an die Wiedergeburt von Otis Redding, John Lennon und ein paar anderen Toten. Ehrlich.
Diesmal hatte der Redakteur nur eine verwaschene, in Ockertönen gehaltene Platte dabei, auf der „Camper Van Beethoven“ zu lesen war und, seitlich angeschnitten, „Key Lime Pie“. Von Musikern stand außen nichts und innen auch nicht, die Hülle war weiß, keine Texte, nichts. Das Tracklisting wurde dafür sozusagen ERZÄHLT: Nach dem Intro kommt das, und dann kommt ein Instrumental, das führt zu soundso. Da konnte ein Rezensent bei der Lokalzeitung nicht schummeln. Keine Banalitäten über die Herkunft der Band, die Instrumentierung und die Aufnahmeorte, schon gar keine Zitate. Na, es waren nur zehn Zeilen. Wäre lustig, sie mal wieder zu lesen.
„Key Lime Pie“ war offenkundig eine Indie-Platte im Industrie-Pelz, in dem Tracklisting-Text wurde auch auf kunstlos-coole Independent-Covers von englischen Import-Platten angespielt. Design ist nichts, Musik alles. Und Camper Van Beethoven aus Santa Cruz spielten die verdammt beste Country- und Folk-Musik des ausgehenden Jahrzehnts. Sie machten keine Mätzchen mehr – sogar „Pictures Of Matchstick Men“, ein ganz früher Song von Status Quo, wurde mit ähnlichem Ernst adaptiert wie zuvor schon das „Tusk“-Album von Fleetwood Mac. Country, Fiddle und Psychedelia ergaben seltsam unwirkliche, unprätentiös elegische Miniaturen, Geschichten über Jack Ruby, Blumen und die Lotterie.
„Humid Press Of Days“ heißt ein Lied, das die Atmosphäre ganz gut zusammenfasst. David Lowerys Gesang schrammt herzergreifend knapp am Krächzen vorbei, und die Geige von Jonathan Segel bestimmt die Songs ganz und gar. „Key Lime Pie“ tauchte ein in die Welt der mexikanischen Grenze, des Americana, der Kleinstadt-Lethargie und der Verlorenheit inmitten brummenden Kunstgewerbes. Eine Western-Platte, ein Abgesang von europäischer Schwermut und amerikanischem Goth. „Come On Darkness“ singt Lowery zum Schluss, danach wollte er einfach mal rocken und gründete Cracker.
Schon 13 Jahre später erkannte er den Irrtum. Jetzt gehen Camper Van Beethoven wieder auf Tournee.
Virgin, 1989