Buyer’s Guide: Die Alben von The The und Matt Johnson im Ranking
Zeit für einen Überblick über das Schaffen des The-The-Kopfes.
Essenziell
Dusk (1993)
In Faith Akins „Gegen die Wand“ zitiert der Psychiater „diesen The-The-Song“, gerichtet an einen suizidalen Alkoholiker: „If You Can’t Change The World, Change Your World“. Richtig heißt es in „Lonely Planet“ zwar „If You Can’t Change The World, Change Yourself“, aber Akin erkannte das therapeutische Potenzial dieser Kleinen Nachtmusik. Johnson trauerte um seinen Bruder Eugene, der einer Gehirnblutung erlag. Er und sein Co-Komponist, Smiths-Gitarrist Johnny Marr, leckten nun LSD und hörten dazu erstaunlicherweise Blues von Howlin‘ Wolf; entstanden sind Songs über den Tod („Love Is Stronger Than Death“), Trauer („Helpline Operator“) und Carpe-Diem-Glückseligkeit – wie eben im Juwel „Lonely Planet“.
Soul Mining (1983)
Für sein offizielles Debüt wurde der 21-jährige Londoner mit einem Major-Vertrag ausgestattet und durfte in New York aufnehmen – gab aber den Vorschuss für Drogen aus. 1983 markierte seinen Transit von Postpunk zu Synth-Pop, Johnson vereinte außerdem Industrial-Beats mit traditionellen Instrumenten wie dem Akkordeon („This Is The Day“). Mit der Kohle der Plattenfirma wurde Jools Holland gebucht, der das Galaxien durchschreitende Piano-Solo in „Uncertain Smile“ spielte, und das Johnson konsequent nicht in der Mitte, sondern am Song-Ende platzierte: das Beste zum Schluss.
Mind Bomb (1989)
„Armageddon Days Are Here (Again)“ sollte Leadsingle werden, aber nach Khomeinis Fatwa gegen Salman Rushdie blies die Plattenfirma das Fanal ab – das Label fürchtete Aufruhr, wenngleich Johnson zwar einer der größten linkspolitischen Musiker Großbritanniens war, aber doch kein Freund der iranischen Ajatollahs. „The Beat(en) Generation“ gab dann die Richtung vor: halb Swing, halb George Jones, ein Abgesang auf jegliche Gegenkultur, weil die der satten Eltern-Generation nichts entgegen stemmen kann: „And our youth, oh youth, are being seduced /By the greedy hands of politics and half truths“.
Infected (1986)
Nicht das beste, aber wichtigste Album. Johnson als Prophet, der die – seiner Meinung nach imperialistischen – „Angriffskriege“ des Westens mit einem persönlichen Gefühl des Versagens verband. Wieder schritt das Label ein und ließ eine Single-Auskopplung fallen. Johnson behauptete, britische Behörden hätten Druck auf Columbia Records ausgeübt: Weil „Sweet Bird of Truth“, eine Anklage gegen Interventionen im Nahen Osten, im April 1986 mit den US-Bombenabwürfen auf Libyen zusammenfiel und Gegenschläge in Europa befürchtet würden. Fun Fact: In „Heartland“ besingt Johnson das UK als „51st State of the USA“, New Model Army drei Monate zuvor als „51st State of America“, beide wurden zu den größten Band-Hits.
Lohnend
NakedSelf (2000)
Gitarrist und Co-Songwriter Johnny Marr wurde durch Eric Schermerhorn (Iggy Pop, Frank Black) bestens ersetzt, und auf dem bis heute letzten Song-Album Johnsons erschufen beide einen nie zuvor gehörten Vintage-Sound: ölig, schwitzend und stolz stinkend Arbeiterklassen-rockistisch. Muskel-Shirt-Titel wie „DieselBreeze“ oder „BoilingPoint“ klangen so, als kämen sie schnaufend aus dem Schlot. Das unterschätzte Werk verband das Schicksal des Männchens im Getriebe der Arbeitswelt („ShrunkenMan“) mit der Kapitulation vor den Versprechungen des Konsums: „Mobilize, globalize, hypnotize, homogenize / Shut your eyes don’t criticize“.
Moonbug (2012)
„Ja, richtig“, sagte Johnson im ROLLING-STONE-Interview, „nicht ‚Infected‘ bezeugt meine stärkste Kritik an den USA, sondern dieses Album!“. Eines, das ganz ohne eigene Worte auskommt: Nichola Bruce‘ Dokumentarfilm widmet sich den Astronauten der Mond-Missionen – und Johnson nutzt seine verstörend klingenden, mit den verzerrten Stimmen redenschwingender US-Präsidenten geschmückten Stücke, um Amerika als Imperium darzustellen, das das „Space Race“ ab den 1950ern als Mittel zur Weltdominanz nutzte. In „Blind Spirit“ illustriert er die All-Eroberung mit einer Hawaii-Gitarre, der düstere Brumm-Synthesizer in „Gods Audience“ erinnert daran, dass sich am Ende jeder vor dem großen Boss rechtfertigen müsse.
Hanky Panky (1995)
Etliche Hörer, die den „Indie“-Musiker nie mit Hank Williams in Verbindung gebracht hätten, waren vor den Kopf gestoßen: ein Cover-Album, nur mit Liedern eines Country-Sängers? Natürlich: Auch Williams reflektierte Selbstwertprobleme; ungeklärt ist, ob sein Tod auf eine versehentliche Überdosis Drogen zurückzuführen ist. Die Platte fiel in die durch Johnny Cashs „American Recordings“ ausgelöste Country-Renaissance. Vor allem aber nutzte Johnson das Fremdmaterial, um der Auseinandersetzung mit seinem Label aus dem Weg zu gehen, die mit seinen Songs immer unzufriedener wurde.
Weiterführend
Tony (2010)
Score für den Spielfilm seines Bruders Gerard, über einen Londoner Serienkiller, der mit verrotteten Leichen zusammenlebt. Johnsons erster Soundtrack war auch sein erstes Album-Lebenszeichen seit zehn Jahren. Gelungene Miniaturen („The Lust For Unsung Dreams“), für die man sich jedoch Gesang gewünscht hätte.
See Without Being Seen (2020)
Nicht „Burning Blue Soul“ von 1981 war das Debüt, sondern dieses Werk, schnell verschollen und nun erstmals auf CD veröffentlicht. Johnson verkaufte es damals als Kassette, war 1978 gerade mal 17, aber schon ein Meister – nicht nur im flüsternden Angstgesang, sondern auch in der Erzeugung beklemmenden, wie Verkehr klingenden Rauschens, mittels Bandmaschinen und Drumcomputer.
Schwächer
Hyena (2015)
Bislang letzter Instrumentalscore, wieder für den Bruder. Diesmal messen sich korrupte Londoner Cops mit osteuropäischen Gangs. Müde klingende Mischung aus Folk und Elektronik, bis auf das herausragende Schluss-Stück mit dem brillanten Titel „Everybody Wants To Go To Heaven (But Nobody Wants To Die)“ – auch hier singt Johnson zwar nicht, lässt sich aber zumindest zu einem Summen herab.
Buch
Neil Fraser: Long Shadows, High Hopes – The Life And Times Of Matt Johnson & The The
Hinter dem geschwollenen Titel verbirgt sich eine nicht nur autorisierte, sondern auch in Zusammenarbeit mit Johnson entstandene Biografie, die jedoch auch Selbstkritik des Sängers enthält. Johnson sieht sich als moderner Don Quijote im Kampf gegen Konzern und Kapital, hat aber auch als Linker Humor.
Preziosen
„Mrs Mac“
2007 das erste Lebenszeichen nach dem „NakedSelf“-Album. Titelgebende Lehrerin wird als „fist fucking fighting machine“ besungen.
„We Can’t Stop What’s Coming“
Erst zehn Jahre drauf die nächste Gesangsdarbietung. Abschiedslied für den zweiten verstorbenen Bruder, Andrew.
„I Want 2 B U“
Zum Record Store Day 2020, eingespielt mit dem Omnichord, das zuletzt 1983 auf „This Is The Day“ Drehorgel-Charme versprühte.
„Untitled“
Garstiges Electro-Spoken-Word von 1981, auf dem „Some Bizarre Album“ des Synthi-Labels „Some Bizarre Records“.
„Flesh and Bones“
Sampler-Beitrag, 1985. Über Gentrifizierung und für die 2018er-Tournee wieder ausgegraben.
„Darkness Falls“
Auf dem Soundtrack des Stallone-Comicfilms „Judge Dredd“, Johnsons einzige Hollywood-Arbeit. Aber gut, The Cure sind ebenfalls auf dem Score vertreten.
„Gun Sluts“
Einzig erschienener Song des von der Plattenfirma nicht veröffentlichten, gleichnamigen 1997er-Albums.
„Nature of Virtue“
Das „Soul Mining“-Album durchlief je nach Tonträger verschiedene Konfigurationen. Diese Variation des Songs „Perfect“ fand sich auf Kassette.
„Dis-Infected“
„Infected“-Neueinspielung. Stellt den Unterschied zwischen dem Pop-Johnson der 80er und dem Rock-Johnson der 90er heraus.
„Solitude“ und „Dolphins“
Wunderschöne Coverversionen der Songs von Duke Ellington bzw. Fred Neil, 1991 auf der „Shades of Blue“-EP.