Bushido und der Taliban
Die deutschen Soldaten in Afghanistan mögen harten Rap, Rammstein und Böhse Onkelz. Für die Bundeswehr ist das ein Problem: Das truppeneigene Radio darf nicht alles spielen.
Hauptmann Wahl denkt unentwegt und mit gewisser Unruhe an den Hörer. Der ist tendenziell weit unter dreißig, trägt flecktarn (grün) odertropentarn (khaki) und ein Sturmgewehr Heckler & Koch G36, Kaliber 5,46 x 45 mm. Er bevorzugt Rammstein, Böhse Onkelz und Bushido. Das ist ein Problem. Manchmal trägt er aber auch Pumphosen und Filzweste zum langen Bart, ist Afghane, war früher vielleicht ein paar Jahre zur Ausbildung in der DDR und kann deshalb Deutsch. Und das ist ein noch größeres Problem.
„Was wird wohl ein Afghane sagen, wenn er bei uns im Radio Texte von Bushido hört?“, fragt sich Hauptmann Wahl, der für die Musikauswahl bei Radio Andernach zuständig ist, dem „Truppenbetreuungs- und Informationssender“ der Bundeswehr. Ja, was denkt der, wenn er „Die euch so ficken, bis ihr euer Blut kotzt, ich bin Berliner, der nicht redet, sondern zuboxt“ hört? Für die Bundeswehr keine theoretische Frage. „Ich möchte die Menschen ja nicht in ihren Werten verletzten“, sagt Wahl. Vier Prozent der Afghanen können Deutsch. Deshalb wird Bushido eher nicht gespielt. Und die Zeile „Wenn ich will, seid ihr alle tot, ich bin ein Taliban, ihr Missgeburten habt nur Kugeln aus Marzipan“ könnte die Werte der Soldaten verletzten. Trotzdem ist der Rapper bei der Truppe sehr beliebt.
Radio Andernach versorgt die bald 5350 deutschen Soldaten in Afghanistan und die 2200 Männer und Frauen im Kosovo mit Musik und Grüßen aus der Heimat. 8500 Grüsse waren es 2009. Allein 21 Stunden sendet man nach Afghanistan und Kosovo. Dazu kommen Live-Sendungen aus den Einsatzgebieten. 75 Redakteure in Kampfanzug sitzen in Kasernen-Räumen, die aussehen wie Bürostuben in den 60er-Jahren mit ihren Rollschränken. An den Wänden hängen Poster von Depeche Mode („101“) und den Rolling Stones („Bridges To Babylon“). Und: „Die Gesetzgebung des Bundes“.
Geografisch sitzt der Sender am Ende der Welt auf einem Hügel über dem rheinland-pfälzischen 20 000-Einwohner-Städtchen Mayen. Organisatorisch sitzt der Sender hingegen am Ende der Exekutive der Bundesrepublik Deutschland, und das macht die Sache heikel: BmVg, SkUk, ZOpInfo -Bundesministerium der Verteidigung, Streitkräfteunterstützungskommando, Zentrale Operative Information, Radio Andernach.
Die Station ist Deutschlands seltsamster Sender. Denn Pop ist hier noch Politik. Das hängt damit zusammen, dass Soldaten sterben und töten. Und das hängt damit zusammen, dass die Bundeswehr in Deutschland unter dem Generalverdacht steht, ein Zentrum rechten Korpsgeistes zu sein. Ein Klischee – aber der Grund, warum Die Ärzte und Jan Delay dem Bundeswehr-Sender keine Interviews geben.
„Eigentlich spielen wir vor allem ‚AC'“, sagt Hauptmann Wahl. „AC“ steht für „Adult Contemporary“ und ist das, was bei Sendern wie RTL oder Energy „Das Beste aus den 80ern, 90ern, Nullern und von heute“ heißt. Eigentlich. Denn dann wird es kompliziert. Zum Beispiel an Fastnacht. Viele Soldaten in Afghanistan kommen aus Karnevalsregionen. Stimmungsmusik geht trotzdem nicht. Jedenfalls nicht alles.
„Ich bin ein Vertreter der Einzelfallprüfung“ sagt Hauptmann Wahl. „Schöne Mädchen haben schöne Namen“ hat sie bestanden. „Viva Colonia“ nicht. „Ein Soldat sitzt im Panzer in Afghanistan und hört Radio Andernach. Wenn er Pech hat, wird er in die Luft gesprengt und kommt nicht wieder. Dem kann ich ‚Da simmer dabei, das ist prima‘ nicht zumuten.“
Wenn wirklich mal ein Soldat stirbt, klingt auch Radio Andernach anders. „In der Regel nehmen wir bis zum Ausflug der Kameraden unsere Comical-Elemente und Partylieder aus dem Programm. Die Musikfarbe wird ebenfalls an die Gegebenheiten angepasst“, sagt Major Andre Burdich, Chefredakteur des Senders. Man darf auch davon ausgehen, dass „Killing Me Softly“ von den Fugees und „Time To Say Goodbye“ von Bocelli dann eher unpassend sind.
Und es gibt den Rammstein-Komplex. „Rammstein wird nicht so oft im Programm gespielt, wie es eigentlich gewünscht wird. Das rollende ‚R‘ stellt für uns als Truppenbetreuungssender ein Problem dar. Hier kann es zu einer verzerrten Darstellung und Wahrnehmung Deutschlands im Ausland kommen“, sagt Hauptmann Wahl.
Selbst der MAD, der militärische Abschirmdienst, der Geheimdienst der Bundeswehr, beschäftigt sich mit diesen heiklen musikalischen Fragen.
Songs wie „Wieder mal ein Tag verloren“ – sehr beliebt bei der Bundeswehr -, und „Auf gute Freunde“ – Platz 3 der meistgewünschten Songs – blieben offensichtlich unbeanstandet. Auch der Ulksong „Einmal mit Profis arbeiten“ kam durch. Ein Soldaten-Klassiker.
Das sind nur einige der Songs, die derzeit allein beim Bund Hits sind. Wer sich die Top-50-Liste der beliebtesten Wunschsongs ansieht, stellt erstaunt fest, dass Freddy Quinns Karriere bei der Bundeswehr noch lange nicht vorbei ist: „100 Mann und ein Befehl“ (Platz 29) und „Junge, komm bald wieder“ (Platz 7) hören die Soldaten sehr gern. Und auf Platz eins steht seit Jahren die Gruppe Silbermond mit „Das Beste“. „Das war schon so, als ich hier angefangen habe“, sagt Hauptmann Wahl. Im Sommer verlässt er die Truppe. Es ist anzunehmen, dass Silbermond, ohne es zu wissen, den gesamten Berufsalltag von Hauptmann Wahl bei Radio Andernach geprägt haben werden.
Es sei denn, Bushido kommt doch noch dazwischen. „Seit Bushido dieses Lied mit Karel Gott produziert hat, können wir ihn auch wieder bei uns im Programm spielen“, sagt Hauptmann Wahl.