„Bunga Bunga“ und Deodorant: Teresa Präauer über Poledance
Die Autorin und bildende Künstlerin Teresa Präauer über hat zwei Jahre in der Poledance-Szene recherchiert – verkleidet als Günter Wallraff
Am Anfang steht das Aufwärmen: Sit-ups, Liegestütz, Dehnungen. Es ist so hart und streng, dass man damit rechnet, hier auf den Überlebenskampf während einer Polarexpedition vorbereitet zu werden. Wenn man nämlich auf der Erdkugel ganz hinauf in den Norden fährt und hernach dann, auf der Direttissima, wieder ganz hinunter in den Süden: dann sieht man die Pole. Dass die Pole durch eine Achse direkt verbunden sind, die der Mensch sich denkt, um die Rotation der Erdkugel zu imaginieren, liegt auf der Hand. Diese Achse ist eine Stange aus Metall, an der man sich festhalten, hinaufklettern und herunterrutschen kann. Und weil sie die beiden Pole verbindet, nennt man sie: Pole-Stange, übersetzt: Stange-Stange. Insofern, nämlich von Süd bis Nord und wieder retour, ist die Akrobatik auf der Stange etwas Weltbewegendes.
Während man sich hält, mit den Beinen, den Füßen, den Händen, den Achseln, den Kniekehlen und so weiter, dreht man sich mit der Welt mit in einem Wirbeln und Kreisen. Und was zwischen Oben und Unten, zwischen Himmel und Hölle sich finden kann in einem Leben, hält sich daran fest, hängt, stößt sich ab, schlägt an, grätscht, greift um, rutscht ab, klettert wieder hoch.
Es gibt, angefangen bei der Erfordernis des Aufwärmens, nur ein paar wenige Unterschiede zwischen dem Stapfen durch Nacht und Eis und dem Training in einem Studio irgendwo in Europa, Amerika, Australien und wo auch immer dieser Sport mittlerweile praktiziert wird: Man tut es, im Unterschied zu Fridtjof Nansen, ganz ohne Schlittenhund – und beinah ohne Kleidung.
Wider die Erdanziehung
Schlichten Gemütern erschließt sich die Notwendigkeit der spärlichen Bekleidung bei Poledance, Pole-Fitness oder Pole-Arts aus der visuellen Erfahrung, die sie sich in Nachtclubs und Stripteaselokalen gerne angeeignet hätten. Tatsächlich ist es so, dass die nackte Haut für die Reibung und den Halt an der Stange verantwortlich ist: um der Erdanziehung ein Schnippchen zu schlagen. Weder helfen dabei notwendigerweise High Heels noch Netzstrümpfe noch glitzernde Pasties mit Quasten.
Der Tanz und die Akrobatik an der Stange ziehen die unterschiedlichsten Menschen an: Es sind eben auch Männer, die sich darin üben, es sind dickere – wie die britische Castingshow-Teilnehmerin Emma Haslam – und dünnere Menschen, ältere und jüngere. Es sind Friseure und Computerprogrammiererinnen. Feministinnen, Tussis, Sportlerinnen, Physiotherapeuten. Eine Baumeisterin, ein Model. Wienerinnen aus den Außenbezirken, eine Asiatin, eine Ukrainerin, die kein Deutsch spricht, dabei großartig turnt. Selten findet sich auch eine Stripperin darunter, aber das erfährt man erst, wenn man einmal nach dem Training gemeinsam zur U‑Bahn spaziert.
Und Stangen stehen überall in der Welt herum, bekanntermaßen auf den Straßen als Laternenmasten und Verkehrsschilder, und auch in der U-Bahn selbst. Während man unterirdisch die Großstadt durchquert, kann man sich auf eine Stange schwingen und sich die Trübsal aus dem Kopf schütteln, wie es die HipHop-Jungs aus New York oder Paris vorzeigen. Weil alles benutzbar ist, weil der Sport der Straße sich den öffentlichen Raum immer wieder erobert. Weil er durch nutzlose Eleganz und lustvollen Einfallsreichtum die vorgegebene Handhabung und Funktion der Gegenstände verulkt.
Es ist faszinierend, wie viel Kraft, Ausdauer und Körperspannung manche dieser turnenden Menschen aufbringen. Die Stange bietet keinerlei hilfreiche Widerhaken, Stufen oder Haltegriffe: Abstoßung und Anziehung funktionieren über die Hebel des eigenen Körpers. Sehr viel Muskelkraft in den Armen ist da vonnöten, aber auch die Rücken-, Bauch- und Beinmuskulatur. Es braucht schon eine doppelte Portion Kühnheit, um auf eine glatte Stange zu klettern, sich nur mit den Beinen an dieser Stange festzuklammern und sich kopfüber rücklings nach unten fallen zu lassen.
Einiges kann zum Absturz führen
Und dann: Chair, Supergirl Reverse, Gemini, Frog, Frodo, Chinese Flag, Russian Split, Flag Back Roll, Shouldermount, Air Invert, Nose Breaker Drop, Extended Brass Monkey, Scorpio, Jade,
Rainbow, Chopsticks, Extended Skater, Duchess, Batman, Bird, Phoenix, Dove, Splash, Dark Pixie Pose, Headstand, Handstand, Ninja, Hero, Bee Knees, Boomerang Hold, Flag, Flying Cupid und wie sie alle heißen, die Figuren des Pole.
Es gibt fixierte Stangen und solche, die sich drehen. Wenn man sich klein zusammenrollt, wird die Drehung schneller, wenn man seine Gliedmaßen von sich streckt, verlangsamt sie sich wieder. Sich drehen und dabei doch nicht abrutschen: Da darf die Haut nicht eingecremt sein. Öl, Schweiß und Tränen können, wie oft im Leben, zum Absturz führen – dagegen hilft dann Grip Wax für die Hände. Und ja, eine ganze Industrie an Kleidung und Kosmetik entwickelt sich seit etwa zehn Jahren, während derer die Stangenakrobatik langsam den Mainstream erreicht und gleichzeitig für die Aufnahme als Disziplin bei den Olympischen Spielen 2016 lobbyiert.
Die Finnin Oona Kivelä, zweifache Weltmeisterin auf dem Pole, ist eine der herausragenden Vertreterinnen dieses Sports, deren Trainingsvideos im Internet die Runde machen. Oona Kivelä kann in der Luft gehen, stehen und fliegen wie eine Zeichentrickfigur. So als gäbe es die Einschränkungen des Körpers und der Erde nicht. Oona ist die stärkste Frau, die wir auf diesem Rummel der außergewöhnlichen Fähigkeiten je gesehen haben. Oona braucht dazu keinen Bart, kein Kostüm, keinen Marktschreier. Sie ist nur konzentriert auf ihre jeweiligen Bewegungsabläufe. Eigentlich bräuchte sie auch kein Publikum – aber wir wollen ja auch etwas davon haben.
Die Lust am Schauen
Und was haben wir eigentlich davon? „Voyeurismus“ ist nur ein kräftigeres Wort für die Lust am Schauen. Die ganze bildende und darstellende Kunst lebt von dieser Schaulustigkeit im Verhältnis zur Lust am Zeigen und Ausstellen.
Am Anfang war vielleicht die Stange in der Mitte eines Zirkuszelts, die später in die Nachtclubs gewandert ist. Und das Burleske, eine Veräppelung von Posen und Gesten der Verführung, ist dabei eingemeindet worden in das brave, ewig gleiche Ritual des Striptease. Man muss nicht gleich die Symbolik von Papa Freud bemühen, um die Wahl der Stange als Sportgerät zu ergründen. Man findet sie auch bei den Akrobaten des Chinese Pole (und kombiniert mit Elementen des Contemporary Dance, wie es die Kanadier von Les 7 doigts de la main machen) oder beim Klettern, Drehen und Fallen der indischen Meister des Mallakhamb, die dafür einen Mast aus Holz oder ein Seil benutzen.
Man kann sich auch an die Reckstange beim jugendlichen Geräteturnen erinnern, die dann von der Horizontale in die Vertikale gedreht worden ist. Die Stange ist dabei immer der Gegenstand, der einem entgegensteht und in die Quere kommt: queer, schräg. Während man beim Drehen schwindlig wird und das Bild, das man sich gemacht hat von der Welt, unscharf wird und verzogen.
Und vielleicht kommt man selbst dabei so durcheinander, dass man in Hinkunft oben von unten nicht mehr unterscheiden kann, wie es den kopflosen Figuren in den Bildern des französischen Fotografen Patrice Letarnec geht.
„Bunga Bunga“ und Deodorant
Recht beschaulich geht es hingegen in den Videos der Popmusik zu: Shakira räkelt sich 2011 bei „Rabiosa“ an der Stange, Kate Moss 2003 zu „I Just Don’t Know What To Do With Myself“ von den White Stripes – and she knows it, trotz guten Looks, auch bis zum Ende ihrer Performance nicht. Ersparen wir Kate die Turnstunden, auf dass sie nicht monatelang ohne Unterbrechung im Kreise rundum getrieben würde, auf der Stange schwirrend, Küsse werfend, in der Taille sich wiegend, wie es zirka bei Kafka heißt.
Bei monatelangem Training sieht man aber auch Dinge, die man sonst nicht sehen würde: farbenfrohe Ganzkörpertattoos, implantierte Strass-Steinchen, wollene Legwarmers, Unterhosen mit der rückwärtigen Aufschrift „Bunga Bunga“. Man riecht ziemlich blumige Deos und lutscht ziemlich viel Traubenzucker. Man bekommt blaue Flecken und spürt das erste Mal in seinem Leben, dass auch der Unterarm krampfen kann. Und man hört ziemlich viele Songs, die man sonst nie hören würde. „Pole“ von Karlheinz Stockhausen für zwei Performer mit Kurzwellenempfängern und Klangregelung aus dem Jahr 1970 wird hiermit in die Playlist hineinreklamiert.
Die Pole, Nacht und Schweiß: Wir brauchen Mut, um die alten Kleider wegzuwerfen, die ihre besten Tage hinter sich haben, soll Fridtjof Nansen einmal gesagt haben, als er sich in knappen Shorts und mit Grip Wax auf den Händen auf die Stange geschwungen hat.