Büchi/Zavoloka/Magaletti in Berlin: Zerfließende Körperklänge
In der Volksbühne demonstrierten drei Künstlerinnen queer-feministische Electro-Avantgarde.
Lange Zeit mutete die Electromusik-Szene wie ein ziemlich exklusiver Herrenclub an. Frauen hinter den Maschinen schafften es nur selten ins Rampenlicht. Von Daphne Oram über Suzanne Ciani bis Laurie Spiegel gibt es natürlich genügend Beispiele für Pionierinnen innerhalb des Genres, deren essenzielles Wirken aber immer stets anders bewertet wurde als das ihrer männlichen Kollegen. Wenn nun an einem Abend in der Volksbühne in Berlin gleich drei Protagonistinnen der elektronischen Noise-Avantgarde antreten, dann ist das auch ein Statement.
Noémi Büchi
Den Auftakt macht Noémi Büchi aus Zürich, die aufmerksamen ROLLING-STONE-Lesern bereits bekannt sein dürfte und im konzentrierten Kunstinstallationsambiente große Teile ihres neuen Albums „Does It Still Matter“ vorstellt. Der Musikerin geht es um die Körperlichkeit von Musik, wobei ihre enervierenden Sounds, die sich aus analogen Synthesizer-Texturen, Fragmenten von Pop- und Klassikelementen und nahezu brutalen Geräuschinfiltrationen zusammensetzen, ganz buchstäblich auf Verflüssigung von Stilen und Strukturen setzen.
Büchi bewegt ihre logischwerweise auch ineinander übergehenden Tracks mit großer körperlicher Spannkraft. Sie tanzt nicht, sie ordnet an, sie webt ihre Musik spinnengleich zusammen, wirkt dabei aber mehr als einmal wie eine unter Starkstrom stehende Muskelarbeiterin ihrer eigenen Kunst. Das ist herausfordernd, weil sie im Grunde ihr eigenes Orchester ist, weil die Klänge auch die Körper der Hörer ergreifen, sozusagen in sie eindringt, um so einen Nachhall zu erzeugen, der sich bei jedem einzelnen durchaus unterscheiden kann. Es ist eine unharmonische Abfolge von Klangelementen, die jeder Zeitlichkeit enthoben scheint. Auf ihrem ersten Album als Solokünstlerin widmete sie sich so auch traumaartigen Strukturen, für die sie eine Art musikalische Übersetzung fand.
Aufgefangen wird diese Musik von einer anspruchsvollen Videographie. Zu sehen ist eine Frau, offenbar eine Tänzerin, die unaufhörlich in Bewegung ist, die sich berührt, die stumm schreit, lacht, keucht. Ein pulsierender Körper, der im Laufe der Bildreihe sich immer weiter auflöst. Ihre Haut wird zu einem milchigen Fluss, Gesicht und Beine verschmelzen. Es gibt keine Konstanten mehr, an denen man sich orientieren könnte. Diese Szenen muten zunächst surrealistisch an, aber sie wollen weniger auf eine Verschiebung des Sinns hinaus, sondern dekonstruieren zuallererst die Wirklichkeit von Realität und Fleisch.
Noémi Büchi, das wird hier nur zu deutlich, verwendet Geräusche, Klänge, gar philosophische Bruchstücke eines radikalen Skeptizismus, als Material für ihre brütende Kunst. Sie stellt dunkle Fragen („Can We Be Completely Transparent?“) und widmet sich süßlichen Paradoxa.
Zavoloka
Ihr an die Seite gesellt sich die in Kiew geborene Kateryna Zavoloka alias Zavoloka. Gemeinsam lüften sie die mitunter mechanischen, massiven Tontotalitäten der ersten Minuten etwas durch, was auch daran liegt, dass die in der Ukraine geborene Musikerin, die in Berlin lebt, mit ihrem Werk weniger auf hypnotische Cluster setzt, sondern mit der Erinnerung an den Einsatz von folkloristischen Instrumenten und Kompositionen aus ihrer Heimat einen völlig anderen Ansatz wählt, der in der Spitze durchaus zu einer Art uferlosen Club-Musik mit analogen Instrumenten mutiert.
In ihrem darauf folgenden eigenständigen Set dominiert ein psychedelischer Malstrom von hellen Melodien, der immer wieder von schweren Vibrationen und Geklirr eingefangen wird. Dazu sind von der Künstlerin selbst gestaltete Strukturbilder auf der Leinwand zu sehen, die keinerlei Ruhe kennen, wild zucken und flackern. Geometrische Kompositionen, die manchmal fast in florale Bilder übergehen. Das ist in seiner visuellen Wirkung weitaus abstrakter als die meditativen Rhythmen von Zavolokas manchmal sogar lässigen, dann aber wieder brutal anmutenden Vereinigung von Electro, Folk und Pop. Anklänge von Gothic-Elementen und ein Groove, der durchaus auch HipHop und Techno streift, sorgen für eine hohe Komplexität.
Dennoch: Diese Musik versteht sich zuallererst als eine Art Trip. Und auch wenn das Setting in der Volksbühne mit festen Sitzplätzen und keinerlei Raum für erklärende Worte den gerechtfertigten Kunstcharakter betont, wünscht man sich doch als Zuhörer eine Fläche, mit der man dieser aufreibenden, listigen Musik auch körperlich begegnen könnte. Vielleicht nicht tanzen, wie man es in einem Club täte, aber doch auf diese Sounds irgendwie reagieren.
Valentina Magaletti
Während Büchi und Zavoloka lediglich hinter an einem Tisch mit ihren Geräten Platz nehmen, gibt es nach einer fast schon notwendigen Pause einen radikalen Wechsel von Raum und Klang. Valentina Magaletti ist Schlagwerkerin. Sie bringt ein gewaltiges Schlagzeug und Xylophon mit. Der Jazzmusikerin geht es auch um das freie Assoziieren zu nonbinären Beats. Das klingt gewollt undefiniert. Die in Bari, Süditalien, geborene Percussionistin beginnt ihr Set auf dem Boden. Sie klöppelt leise und vorsichtig auf dem Bühnenholz herum, kriecht vorwärts, bis sie irgendwann ihre Trommeln erreicht und zu keifenden Drones, die sich einfach hinzu ergießen, immer kraftvoller zupackt. Klar, das ist Freejazz, ohne musikalisches Drehbuch, aber mit geradezu schamanischer Intensität und Wucht.
Unterstützt wird Magaletti von einer Lichtinstallation der Künstlerin Theresa Baumgartner, die mit ihrer immersiven Raumkunst in erster Linie alternative Realitäten erforscht und Klang in fieberhafte Lichtreflexe übersetzt. Hier lenkt es manchmal etwas ab von der filigranen Schufterei der Schlagzeugerin, die immer wieder zwischen simpler Geräuschproduktion und undurchschaubarer Polyrhythmik hin und her changiert.
Als queerer Frau ist es der Musikerin wichtig, die viel zu selten gezeigten Seiten weiblichen Schlagzeugspiels offenzulegen. Eher ein Tröpfeln und Umkreisen als ein machohaftes Dreschen aufs Fell. Wenn man Magaletti lange genug beobachtet, verfällt man fast in eine Trance, weil ihr Körper mit dem Instrument verschmilzt, es vielmehr sogar zu einer Art Prothese für sie wird.
Als der Vorgang fällt, sind zwar noch viele Fragen offen, aber es bleiben keine Zweifel an der Relevanz dieser bewusst von gängigen (heteronormativen) Electro-Konzepten abweichenden Polarisationsmusik.