Bübchens Nachtgedanken
Während andere schlafen, mausert sich Wigald Boning in seiner Sendung 'WIB-Schaukel" zum schlauen Fragesteller.
Das deutsche Fernsehen ist eine einzige Laberlandschaft. Überall wird geredet und ein Interview nach dem anderen geführt. Leider beherrscht kaum einer der Akteure sein Handwerk, weshalb Interviews in der Regel dorthin gehen, wo man sonst nur ausgewähltem Personal Zugang gewährt: in die Hose.
Dort findet man schnell die Arbeiten von Reinhold Beckmann, der sich regelmäßig an sich selbst berauscht, während Johannes B. Kerner mit feuchten Fingern an verschleimten Karten nestelt, auf denen die Redaktion ihm vorgeschrieben hat, wofür er sich gerade wieder brennend zu interessieren hat. Auch Sandra Maischbergers verbaler Auftritt leidet, weil man ihr anmerkt, wie wenig sie sich hinter ihren Rehaugen für die Gäste interessiert.
Mit einem ganz anderen Problem schlägt sich dagegen Charlotte Röche herum. Sie gilt als unkonventionelle Interviewerin gerade bei solchen Leuten, die ihre Interview-Sendungen nie sehen. Möglicherweise waren sie mal Zeuge, als Frau Röche moderierte, was sie wirklich herausragend kann, aber niemand, der sie jemals beim untertänigen Abnicken und Abgrinsen von Prominentenantworten beobachtet hat, wird noch von großer Gesprächskunst schwadronieren.
Man könnte verzweifeln, weil man beinahe zu dem Schluss kommen muss, dass es im deutschen Fernsehen keinen wirklich guten Interviewer gibt, niemanden, der kapiert hat, dass ein gutes Interview den Blick in ungeahnte Welten ermöglichen und für neue Sichtweisen sorgen soll. Doch kurz vor der finalen Resignation kommt einer daher, von dem man nun am wenigsten erwartet hätte, dass ausgerechnet er die televisionäre Gesprächskultur retten könnte: Wigald Boning. Man kennt den gebürtigen Wildeshausener noch als begabten Überfallfrager aus der Sendung „RTL Samstag Nacht“, der Mutter aller komischen Fernsehshows. Dort fiel der junge Wigald vor allem durch seine schrillen Anzüge und als duldsamer Anspielpartner von Olli Dittrich auf. Das geriet oft zur Koma-Komik, die erst dann aussetzte, wenn das Opfer betäubt darniederlag und nur noch angestrengt röchelte. Boning muss dabei besonders tief gesunken sein, denn lange Zeit hörte man ziemlich wenig von ihm. Mal tauchte er hier im Moorhuhn-Rausch auf, mal dort als Unsinnmacher, aber im besten Sinne ernst konnte man nie nehmen, was er da verbrach.
Daran änderte sich auch wenig, als er vor ein paar Jahren auf die „WIB-Schaukel“ stieg, ein auf ihn zugeschnittenes Fernsehformat, das zuerst bei diversen Ballungsraumsendern ausgestrahlt wurde und nach der Kirch-Pleite beim ZDF landete. Anfangs war das eine ziemlich quatschige Angelegenheit mit einem hibbeligen Boning, der den Prominenten, die er für einen Tag heimsuchte, ziemlich doofe Fragen stellte. Schnell verlor man die Sendung aus dem Blickwinkel, und das ZDF verbannte den 37-Jährigen in die tiefe Nacht, irgendwann zwischen Freitag und Samstag. So versteckt, sendet Boning da nun schon eine ganze Weile vor sich hin, dass kaum jemand mitbekommen hat, wie er sein Format und vor allem sich selbst entwickelte, wie er sich zu Deutschlands derzeit bestem Interviewer mauserte.
Boning beherrscht inzwischen eine Interview-Technik, die so manchem Kollegen ein Beispiel sein sollte. Ganz harmlos kommt er da an. Wie ein Bübchen, das kein Wässerchen trüben kann. Schüchtern-charmant plaudert er sich ins Vertrauen seines jeweiligen Gegenübers und vermeidet dabei jegliche Verbrüderung. Wenn ihm einer wie Jürgen Drews das branchenübliche Du aufdrängt, bleibt Boning stur beim Sie. Er leistet sich die Arroganz, er selbst zu bleiben, sich nicht gemein zu machen mit dem Objekt seiner Berichterstattung.
Unvergessen die Ausgabe, in der er Gunter Gabriel auf dessen Hausboot traf. Am Ende sieht man da einen Riesen und einen Zwerg dem Sonnenuntergang entgegenstreben – und hat sehr viel erfahren von dem alternden Sänger.