Buch-Kritik: Dirk von Lowtzows „Ich tauche auf“ – das Glück Im Rücken
In seinem zweiten Buch, „Ich tauche auf“, beschreibt Dirk von Lowtzow in Tagebuchnotizen, wie er die Corona-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 erlebt hat
Dirk von Lowtzow schildert in seinem Tagebuchroman „Ich tauche auf“ seine Erlebnisse während der Corona-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021. Er „möchte von diesem traurigen Jahr erzählen, als wäre es die schönste Zeit“ seines Lebens gewesen. Das gelingt ihm in einer Mischung aus Tagebucheinträgen, Gedichten und Songtexten, die zwischen seinem 49. und 50. Geburtstag entstanden sind. Auf 240 Seiten nimmt er die Lesenden mit in sein „unfreiwilliges Jahr der Ruhe“ und verarbeitet die Dinge, die ihn am Tag und in der Nacht nicht loslassen. Begleitet wird „Ich tauche auf“ von dem Song „Sehnsucht nach unten“.
Der Tocotronic-Sänger schildert, wie er Ausflüge mit seiner Partnerin J. unternimmt, nicht schlafen kann, weil er gegen seine inneren Dämonen kämpft, und wie er vor ihnen von Berlin nach Buckow flüchtet. Der Zufluchtsort passt zum Literaten von Lowtzow, der dort – wie Brecht! – Inspiration findet und durchatmen kann. Dennoch kommt ihm alles, was ihm widerfährt, „absolut kontingent vor. Kein Plan ist erkennbar.“ Mitunter lesen sich seine Einträge ähnlich.
Trotzdem schafft er es mit den Beschreibungen seines Alltags, Gefühle wieder aufleben zulassen, die man wahrscheinlich längst verdrängt hat: Ihm ist es beim Einkaufen peinlich, dass er seine Maske vergessen hat, ihm fehlen Umarmungen, und er geht mit eigentlich engen Freunden auf Distanz aus Angst vor einer Infektion. „Nur wer auftaucht, kann Luft holen“, heißt es in seinen Einträgen – ein Zustand, der von Lowtzow nicht loslässt. Spürbar drücken ihn Ängste, Hilflosigkeit und Rückenschmerzen immer wieder nach unten. Er zeigt sich aber auch sensibel und gesteht sich ein, sich manchmal einsam zu fühlen.
Das spiegelt sich in seiner Musik wider – sei es in „Sehnsucht nach unten“ oder wenn er über den Entstehungsprozess des 2022 erschienenen Tocotronic-Albums „Nie wieder Krieg“ berichtet. Er erzählt Geschichten über die Songs „Hoffnung“ und „Sirus“ und darüber, dass das schlichte, schwarz-gelbe Albumcover an Grobschnitt angelehnt ist. Er findet es „ironisch, dass ausgerechnet während des Lockdowns die Lieder ihre endgültige Form annehmen“ – und die „Unsicherheit über die Qualität der Kompositionen“ plagt ihn immer wieder. Er schwankt zwischen „Ablehnung der Aufnahmen“ und „akuter Verliebtheit“ – „Von peinigenden Selbstzweifeln bis zur massiven Selbstüberschätzung ist es nur ein kurzer Weg.“
Im Verlauf seiner Erzählung überlegt von Lowtzow, seine niedergeschriebenen Gedanken wieder zu verwerfen. Glücklicherweise tat er das nicht und hat sie publiziert. Denn „Ich tauche auf“ ist mehr als ein reines Tagebuch. Es ist ein intimes Werk über seine Gedankenwelt und seine Wahrnehmung, es fängt die Stimmung und das Empfinden der Gesellschaft während der Lockdowns ein. Dirk von Lowtzow hat 2020 und 2021 wahrscheinlich nicht die schönste Zeit seines Lebens erlebt, aber „Ich tauche auf“ endet hoffnungsvoll: „Blick nach vorn. Das Glück im Rücken.“
(Erscheint am heutigen Freitag, 10. März, bei Kiepenheuer & Witsch)