buch check ‚.
Frank Schäfer gibt einen Überblick über die begonnene Philip-K.-Dick-Werkausgabe in deutscher Übersetzung
Die postume Hollywoodisierung des Meisters hat den schönen Nebeneffekt, dass bei Heyne eine Werkausgabe begonnen wurde und so zumindest der Dick-Kanon wieder lieferbar ist. Zuallererst „Ubik“ (Heyne, 9,95 Euro): Agent Runciter kommt bei einem Anschlag ums Leben und wird in ein „Tiefkühlgrab“ eingelagert, von wo aus er weiterhin mit der Welt kommunizieren kann. Für seine Kollegen steht die jetzt Kopf. Die Zeit scheint rückwärts zu laufen, und einige Mitarbeiter zerfallen förmlich zu Staub. Auch sie sind nämlich bei dem Attentat gestorben und befinden sich in der „Kaltpackung“, haben sich ihr Weiterleben also bloß imaginiert. Ist Runciter demnach am Leben geblieben? Ist er ebenfalls eingefroren – und kommuniziert mit ihnen im „Halbleben“? Oder existieren seine Freunde am Ende nur in seiner Vorstellung?
In „Die drei Stigmata des Palmer Eldritch“ (Heyne, 9,95 Euro) läuft dieses Dick-notorische Vexierspiel mit den verschiedenen Realitätsebenen im Acid-Modus. Der Roman liest sich wie ein Stenogramm psychedelischer Bewusstseinszustände. Palmer Eldritch kommt aus entlegenen Sonnensystemen zurück und bringt die Droge Chew-Z mit, die nicht bloß Halluzinationen hervorbringt, sondern gleich eine ganze Parallelwelt. Leo Bulero, der bis dahin marktführende Drogenboss, versucht Eldritch umzubringen und wird von diesem unter Chew-Z gesetzt. Bulero versucht während des Trips der Parallelwelt zu entkommen, schafft sich aber nur eine weitere Gegenwelt, die der wirklichen haargenau gleicht. Die Fiktion der Fiktion der Fiktion…
Dick erlebte in den 60ern eine Epiphanie und war sich anschließend nicht sicher, ob es sich hier bloß um eine drogeninduzierte Vision handelte oder eben doch um eine Erscheinung Gottes. In seinem Opus magnum „Die Valis-Trilogie“ (Heyne, 13,95) geht er diesen dope-gestützten religiösen Erfahrungen nach. Dieses aberwitzige metaphysische Spätwerk wurde begleitet von einer tagebuchartigen, im Original über 8000-seitigen „Exegese“. Eine lesbare Auswahl daraus ist vor kurzem erstmals auf deutsch erschienen: „Auf der Suche nach Valis“ (Edition Phantasia, 59 Euro). Dicks Erzählungen werden oft unterschätzt, weil sie meist in zweit- und drittklassigen Genre-Magazinen erschienen sind, dabei erprobt er hier Themen, Stoffe und auch plots, die er in den Romanen dann manchmal nur erweitern musste. Die moralphilosophische Frage etwa, an der „Blade Runner“ (Heyne, 9,95 Euro) Rick Deckard schier verzweifelt, ob man auch Androiden alle Menschenrechte zubilligen sollte, zumal dann, wenn sie sich eigentlich humaner verhalten als ihre Erbauer, wird hier immer wieder ventiliert. Der Haffmans Verlag hat seine vorbildliche Ausgabe „Sämtliche Science-Fiction-Geschichten in 10 Bänden“ gerade noch vor der Pleite so zu Ende gebracht, gelegentlich findet man sie aber noch in den Buchläden. „Der unmögliche Planet“ (Heyne, 12,95 Euro) ist eine kompetente Auswahl daraus und enthält neben dem „Minderheiten-Bericht“ und „Erinnerungen en gros“ (die Vorlage für „Total Recall“) auch seine wohl beste Short Story „Foster, du bist tot“, in der er die subtile Verschmelzung von staatlicher Kriegspropaganda und kapitalistischer Verwertung der damit geschürten Ängste entlarvt. Häufig installiert Dick in seinen Zukunftsszenarien ein restriktives Law-and-Order-Regime, das immer auch die kontemporären amerikanischen Verhältnisse im Blick hat. „Eine andere Welt“ (Heyne, 9,95) soll die CIA schon vor der Veröffentlichung so beunruhigt haben, dass sie in Dicks Haus einbrach, um sich diese Anti-Utopie von einem amerikanischen Polizeistaat mal genauer anzuschauen. Diktatorisch geführt werden die Vereinigten Staaten auch in „Das Orakel vom Berge“ (Heyne, 9 Euro), diesem wohl berühmtesten Parallelwelt-Roman, nur haben hier Japan und Deutschland den Zweiten . Weltkrieg gewonnen und die USA unter sich aufgeteilt. Wer jetzt immer noch nicht genug hat, der liest noch „Zeit aus den Fugen“ (Heyne, 9,95 Euro), der die „Truman Show“ schon mehr als inspiriert hat, und „Marsianischer Zeitsturz“ (Heyne, 9,95 Euro), der nicht zuletzt eine literarisch beachtliche Auseinandersetzung mit der Schizophrenie liefert, die einen rätseln lässt, woher Dick das wohl alles so genau wusste.