Bruce Willis in „The Sixth Sense“: Zerbrechlicher Zuhörer

Die Rolle des einfühlsamen Therapeuten in „The Sixth Sense“ war ein Triumph für den Schauspieler Bruce Willis.

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„The Sixth Sense“, das Filmdebüt von Regisseur M. Night Shyamalan, hat eine gewaltige Schlusspointe. Sie ist selbst zu einem kleinen Kino-Mythos geworden (weswegen jeder, der sie unaufgefordert verrät, bestraft wird mit einem Film-Marathon der späteren Shyamalan-Machwerke).

Dennoch verliert der Film nicht an Kraft, wenn man ihn noch einmal sieht – und das liegt vor allem an Bruce Willis. Er spielt hier mit Dr. Malcolm Crowe einen Kinder-Psychotherapeuten, der es in Gestalt von Cole Sear mit einem ganz besonderen, zunächst hilflos anmutenden Patienten zu tun bekommt. Willis gibt ihn als ruhigen, akribisch mitfühlenden Helfer, der schließlich sogar zu so etwas wie einem Vaterersatz wird.

Seine Sanftheit wirkt zerbrechlich, seine Mimik grenzt an Minimalismus. Zuhören statt draufhauen, kluge Worte für Unaussprechliches finden statt ironische Oneliner aufsagen, das war meilenweit entfernt von „Sirb langsam“.

In „The Sixth Sense“ zeigt Bruce Willis mehr Geist als Körper

Der richtige Körpereinsatz war immer auch das Pfund, mit dem Willis wuchern konnte. Er tat es mit einer angemessenen Männlichkeit, mit einer Ironie, die auch schweißgetränkte Unterhemden aushält. Keine Blöße musste ihm peinlich sein: Nur fünf Jahre vor „The Sixth Sense“, im Jahr von „Pulp Fiction“, zeigte er schockwirksam seinen Lümmel im Erotik-Schund-Thriller „Color Of Night“.

All das verblasst für 90 Minuten in dieser melancholischen Mystery-Geschichte. Man sieht Willis ernsthaft verzweifelt, wie er den Zugang zu seiner Ehefrau nicht mehr findet. Man spürt sein brennendes, die Grenzen therapeutischer Arbeit verlassendes Mitgefühl für einen kleinen Jungen in Not, der vom Jenseits verfolgt erscheint. Die Zerrissenheit von Cole spiegelt sich in der Einsamkeit von Crowe. Die Chemie zwischen den beiden Schauspielern ist das, was „The Sixth Sense“ so stark macht. All das überträgt sich mühelos auf den Zuschauer.

Natürlich machen Haley Joel Osment und Toni Collette einen höllisch guten Job. Die Verzweiflung des Sohnes ist auch die Verzweiflung der alleinerziehenden Mutter. Aber ohne Bruce Willis‘ Fürsorglichkeit, ohne seine rührende Menschlichkeit wäre „The Sixth Sense“ nicht mehr als ein Schauderbonbon mit cleverem Trick-Ende. So ist es auch das Schicksal eines Mannes, der sich selbst vergisst über seiner nahezu unsichtbaren Arbeit.

Nachdem der sanfte Grusel von „The Sixth Sense“ schnell ein großes Publikum fand, wurde er auch mehrfach für den Oscar nominiert. Darunter natürlich auch Haley Joel Osment, dem man die Angst vor den Schreckgespenstern, die ihn heimsuchen, wirklich abnimmt, wenn er sagt: „Ich sehe tote Menschen“.

Aber für Bruce Willis gab es nicht die Chance auf einen Goldjungen. Und das ist eigentlich eine Schande, denn so nuanciert und zurückhaltend spielte der Actionfilmstar davor und danach nie wieder. Erst mit ihm wird aus einem Krankenfall das Drama des (übersinnlich) begabten Kindes und aus einer besseren „Twilight Zone“-Episode ein sensibel aufgeführtes Fröstel-Drama.