Bruce Springsteen: Die Wiedererfindung des Bühnenpredigers
Im Verlauf von 500 Konzerten, fünf Studioalben und zwei Präsidentschaftskampagnen hat sich Bruce Springsteen auch in diesem Jahrzehnt immer wieder aufs Neue als der Musik-Dynamo seiner Generation erwiesen. Ein unermüdlicher Arbeiter, ein Rock’n’Roll-Held für alle – von Barack Obama und Jon Stewart bis Brandon Flowers und Win Butler -, ein lebendes Symbol humanistischer und egalitärer amerikanischer Ideale, obendrein aber auch ein Showman, der mit 60 so vital wirkt wie andere mit 35.
Es waren geschäftige, verschwitzte zehn Jahre für Springsteen und die E Street Band – aber jetzt geht auch dieses umfangreiche Kapitel zu Ende. „Heute abend kulminiert das zehnjährige Projekt, diese Band an den Platz zurückzubringen, der ihr zusteht“, sagt Springsteen mit einer etwas weicheren Version seiner Bühnenprediger-Stimme. Er sitzt in seiner Garderobe in Buffalo/New York, gleich beginnt seine letzte Show der Dekade mit der E Street Band. „Wenn ich davon geträumt hätte, wo ich in diesem Alter mit diesen Leuten stehe – dann käme das hier einem Hollywood-Ende ziemlich nahe.“
Nachdem er in seiner Karriere lange jede konkrete Parteinahme vermieden hatte, wurde Springsteen in dieser Dekade zum expliziten politischen Fürsprecher – 2004 als vorderster Bühnenkämpfer bei der „Vote For Change“-Tournee, 2008 mit Auftritten bei Obama-Kundgebungen. Das denkwürdigste Zitat aus den Reihen der Demokraten bei der ’04er Kampagne stammt nicht etwa von John Kerry, sondern aus einem Gastbeitrag Springsteens in der „New York Times“: „The America we carry in our hearts is waiting.“
„Irgendwann muss man sich halt bekennen“, sagt er schulterzuckend. „Weil die Zeiten verlangen, dass man sich nicht einfach zurücklehnt. Wir hatten über die Jahre einige Glaubwürdigkeit entwickelt – so ähnlich, wie man gutes Gitarrenspiel entwickelt. Wenn dann jemand, der einen Job zu erledigen hat, ein Lied dafür braucht, dann kann er zu dir kommen.“ Springsteens persönlich größter Moment seiner politischen Monate war, als er kurz vor den Wahlen „The Rising“ und „This Land Is Your Land“ vor 80 000 Leuten bei einer Kundgebung in Cleveland spielte. „Da spielte ich für ein Publikum, von dem ich immer geträumt hatte: Junge und Alte, Schwarze und Weiße. Ganz Amerika war an dem Abend vor der Bühne, und ich hab in viele Gesichter geschaut, die mich zum ersten Mal sahen.“
Für Springsteen ging es diese Dekade auch darum, sich mit alten Fans und seinen Freunden in der E Street Band neu zu verbünden, nachdem er die 90er Jahre größtenteils allein verbracht hatte. „Ende der Achtziger war ich an einem Punkt, an dem ich nicht mehr recht wusste, was ich mit der Band tun sollte“, räumt er ein. „Aber es kam ein Moment, da sagte ich mir:
,So, ich habe mein Leben lang daran gearbeitet, in dem, was ich tue, einer der Allerbesten zu sein. Da brauchte ich schon einen sehr guten Grund, das nun nicht mehr zu versuchen.“
„So ein Publikum gewinnt man nicht leicht – und man kann es auch wieder verlieren. In meinem Empfinden verbindet mich mit all diesen Menschen schon eine lange Konversation, und diese Konversation will ich fortführen – mit den Mitteln, die, wie es scheint, oft am weitesten reichen und am tiefsten gehen. Genau deshalb arbeite ich mit der E Street Band. Meine Solo-Arbeit vertieft oft, was ich tue. Da kann ich ein Mikroskop nehmen, ins Detail gehen und sehr deutlich über die Themen reden, die mich interessieren, die Geschichten, die ich erzählen will. Aber wenn man das dann aufführen will – tja, dann sind diese Leute hier auf der Bühne an einem Abend wie diesem schwer zu schlagen.“
Das Schlüsselalbum für Springsteen und die wiedervereinten E-Streeter war „The Rising“ von 2002, eine emotional punktgenaue Reaktion auf den 11. September, die zudem eine ganze Reihe von Projekten mit Produzent Brendan O’Brien einläutete. „Wir nahmen dieses Album in drei oder vier Wochen auf“, erinnert sich Springsteen. „Und es war ein echtes Statement der Erneuerung und der Entschlossenheit. Es zeigte, was die E Street Band jetzt für dich tun konnte. Etwas, wozu normalerweise nur sehr wenige Bands unserer Generation in der Lage sind. Es ist schwer, mit einer klaren Zielsetzung und ganz für die Gegenwart zu schreiben – und zugleich die Kontinuität der eigenen Vergangenheit und
Geschichte im Auge zu behalten. Als wir das erst raus hatten, kam die Musik wie von selbst.“
Und das hört auch nicht auf. „In meinem Leben geht’s jetzt nur noch darum, gewisse Dinge zu tun“, sagt Springsteen. „Ich habe alle Werkzeuge, alle musikalischen Möglichkeiten, die ich brauche – ich könnte alleine spielen, ich könnte auch mit der Sessions Band spielen, was ich gern wieder täte. Und die E Street Band ist in Hochform. Ich will, dass wir weiter touren und dass wir dabei soweit gehen wie irgend möglich – körperlich fühle ich mich heute auf der Bühne nicht anders als mit Ende 30. Ich bin auch schon dabei: Ich habe Songs, an denen ich schreibe, ganz unterschiedliche Sachen. Am schwersten tue ich mich mit freier Zeit. Stillsitzen kann ich nämlich überhaupt nicht gut.“
Seine grundlegende Mission führt Springsteen auf den Moment zurück, der „The Rising“ inspirierte: „Am 11. September ging ich zum Strand, und von da hatte ich klare Sicht auf den Ort, an dem das World Trade Center war. Es war weg. Und eine lange Rauchwolke trieb Richtung Süden. Und als ich vom Parkplatz runterfuhr, kurbelte so ein Junge seine Scheibe runter und sagte: ‚Hey, Mann, wir brauchen dich.'“ Springsteen lächelt. „Der Gedanke gefällt mir. Der Gedanke, dass ich da draußen ein Publikum habe, das mich braucht. Und zu Hause eine Familie, die mich braucht. Und jetzt geht es eben darum, etwas zu tun. Ums Weitermachen. Und zwar mit derselben Intensität und Qualität, wie wir sie hoffentlich mit unserer Band in den letzten 40 Jahren erreicht haben.“