Bruce Springsteen: Die besten Veröffentlichungen aus der „Archive Series“ (3): The Christic Shows, November 16 & 17, 1990
Aktuell 43 Live-Mitschnitte, aufgenommen zwischen 1975 und 2013, bietet Bruce Springsteen auf seiner Website in der „Archive Series“ in verschiedenen Formaten zum Download an. In der Regel erscheint am ersten Freitag jedes Monats eine neu abgemischte Archiv-Show.
Welches Konzert hatte die schönste Setlist? Wo war der Sound am besten? Ein Springsteen-Guide als Serie, zum 70. Geburtstag des Musikers: Aufnahmen, die man kennen muss.
Die Autoren:
Lutz Göllner ist Redakteur im Medienressort der Berliner Stadtmagazine „zitty“ und „tip“. Bei einem USA-Aufenthalt hat er 1974 erstmals Springsteen gehört, fühlte sich als Kind und Jugendlicher immer wie ein Loser, bis er merkte: Er selber ist die Hauptfigur in Springsteens epischen Songtexten – über Loser. Er hält „Darkness On The Edge Of Town“ für die beste LP aller Zeiten.
Erik Heier ist stellvertretender Chefredakteur von „tip“ und „zitty“, erlebte 1988 in Weißensee sein erstes Springsteen-Konzert, musste aber 28 Jahre ausharren, bis er endlich seinen Lieblingssong „Backstreets“ bei seiner elften Show live zu hören bekam. Jetzt wartet er noch auf „Lost in the Flood“.
Bruce Springsteen: The Christic Shows, November 16 & 17, 1990
von Lutz Göllner
Der Auftritt war ein politisches Statement, ein trotziges Beharren auf den großen, gefährlichen Ideen, die einst dabei halfen, dieses Land zu gründen. Zwei Jahre lang hatte Bruce Springsteen geschwiegen, war – wie wir heute dank seiner Autobiographie wissen – in Depressionen versunken, schickte die E Street Band in eine lange Pause, zog vom heimischen New Jersey ins La-La-Land Kalifornien um, fuhr zusammen mit Freunden auf dem Motorrad durch die Wüsten des Südwestens und wurde schließlich zum ersten Mal Vater. Auf Einladung seines Freundes Jackson Browne trat Springsteen Ende des Jahres 1990 erstmals wieder vor ein größeres Publikum: Im Shrine Auditorium in Los Angeles, dass gerade mal 6.200 Zuschauer fasst, spielte er zwei Abende lang ein Akustik-Set zu Gunsten des Christic Instituts.
Das Christic Institute war eine offene Anwaltskanzlei, die 1980 von dem bekannten Juristen Daniel Sheehan – der in Fällen wie den Pentagon Papers, dem Watergate-Einbruch und dem Umwelt-Skandal, den Karen Silkwood bekannt machte, involviert war – und dem Jesuitenpriester William J. Davis gegründet worden. Man vertrat Opfer, die beim Reaktorunfall von Three Mile Island verstrahlt wurden, sorgte für Anklagen gegen Mitglieder des Ku-Klux-Klan und der amerikanischen Nazi-Partei. Die Graphic Novel „Brought To Light“ vom Comicgenie Alan Moore beruht auf Gerichtsunterlagen von Christic. Unglücklicherweise verstrickte sich das Christic Institute, dass eigentlich von der extremen linken Seite gestartet war, über die Jahre immer mehr in radikal rechte Weltverschwörungstheorien und wurde 1991 aufgelöst.
Doch an diesem Abend sollte es um Lügen gehen, um die Geheimnisse, die der US-Öffentlichkeit seit der Reagan-Regierung vorenthalten wurden. Nun ist Springsteen eben kein Demagoge, der seine politische Meinung von einem Podium aus ins Publikum predigt. Er erzählt seine Geschichten mit einer ruhigen Ironie, stellt die Fragen, die ihm auf den Nägeln brennen, unaufgeregt und nachdrücklich. Die Konzerte präsentierten wunderbare Akustik-Versionen von „Thunder Road“ und „My Hometown“ (mit Springsteen selbst an den Tasten). Er ist gut bei Stimme, rezitiert seine Verse eindringlich und intensiv, bittet aber auch darum, dass das Publikum nicht mit klatscht: „Das würde mich verwirren.“
Es gibt neue Songs, darunter die nicht ganz jugendfreie Liebeserklärung an Patti Scialfa „Red Headed Woman“ und das selbstironische „57 Channels (And Nothin‘ On)“. Weitere Highlights sind die bewegende Piano-Fassung von „Real World“ – noch so ein vielversprechender neuer Song – und die Zugaben: Dylans „Highway 61“ und die John-Hiatt/Ry-Cooder-Ballade „Across The Borderline“ mit Springsteen an der Mundharmonika, Jackson Browne an der Gitarre und am Piano, und der großartigen Bonnie Raitt, die das Tamburin schlägt, Slide-Gitarre spielt und die Harmonys singt.
Die beiden Konzertabende unterscheiden sich in Details, dennoch macht es durchaus Sinn, dass beide in einem Download/CD-Set zusammen gefasst wurden (ähnlich verfuhr Nugs.net mit den beiden „No Nukes“-Auftritten). Schließlich liefern die Christic-Shows die Blaupause für die späteren, sehr reduzierten „Ghost Of Tom Joad“- und „Devils & Dust“-Tourneen, bis hin zu den „Springsteen On Broadway“-Auftritten im letzten Jahr. Und auch politisch gibt es Linien, die vom besorgten Whistleblower Daniel Ellsberg zum Cypherpunk Julian Assange, vom großen Kommunikator Ronald Reagan zum heutigen Horror-Clown im Weißen Haus führen. Es ist eine erschreckend komplizierte Welt da draußen, und wenn man schon keine Antworten hat, sollte man wenigstens die richtigen Fragen stellen.
Setlists – Bruce Springsteen, The Christic Shows
- November
BRILLIANT DISGUISE / DARKNESS ON THE EDGE OF TOWN / MANSION ON THE HILL / REASON TO BELIEVE / RED HEADED WOMAN / 57 CHANNELS (AND NOTHIN‘ ON) / MY FATHER’S HOUSE / TENTH AVENUE FREEZE-OUT / ATLANTIC CITY / WILD BILLY’S CIRCUS STORY / NEBRASKA / WHEN THE LIGHTS GO OUT / THUNDER ROAD / MY HOMETOWN / REAL WORLD / HIGHWAY 61 REVISITED (with Jackson Browne and Bonnie Raitt) / ACROSS THE BORDERLINE (with Jackson Browne and Bonnie Raitt)
- November
BRILLIANT DISGUISE / DARKNESS ON THE EDGE OF TOWN / MANSION ON THE HILL / REASON TO BELIEVE / RED HEADED WOMAN / 57 CHANNELS (AND NOTHIN‘ ON) / THE WISH / TOUGHER THAN THE REST / TENTH AVENUE FREEZE-OUT / SOUL DRIVER / STATE TROOPER / NEBRASKA / WHEN THE LIGHTS GO OUT / THUNDER ROAD / MY HOMETOWN / REAL WORLD / HIGHWAY 61 REVISITED (with Jackson Browne and Bonnie Raitt) / ACROSS THE BORDERLINE (with Jackson Browne and Bonnie Raitt)