Bright Eyes Big Hope
Auch wenn gleich zwei Singles der Bright Eyes im November die US-Charts anführten, auch wenn sich die Presse im Vorfeld der beiden neuen Alben auf das 24-jährige Wunderkind stürzt: Conor Oberst will von Ruhm und Glanz nichts wissen und hat die gleichen Ängste wie zuvor Im Winter 2002, beim restlos ausverkauften Bright Eyes-Konzert in München, schaute man etwas sorgenvoll auf den kleinen Mann, der mit einer Flasche Rotwein hinter der Bühne allein wie ein Häufchen Elend auf einer Treppenstufe saß und alle paar Minuten einen tiefen Schluck nahm. Auch während des Konzertes ließ er davon nicht ab. Doch alles halb so wild, wie uns sein guter Freund Michael Stipe in einer ersten Werbebotschaft für die zeitgleich erscheinenden neuen Bright Eyes-Alben „I’m Wide Awake, It’s Morning“ und „Digital Ash In A Digital Urn“ versicherte: Conor habe den Alkohol im Griff.
Dabei hätte Oberst allen Grund, nun das ein oder andere Glas Rotwein auf den Erfolg seines Projektes zu trinken. Das letzte, bereits dritte oder – wenn man die Sammlung mit frühen Tape-Aufnahmen mitzählt – vierte Bright Eyes-Album „Lifted…“ brachte ihm endgültig den Durchbruch, verkaufte sich über 100 000 mal, dazu ausverkaufte Konzerte {vor allem in Europa), kurzzeitige Liaison mit Schauspiel-Elster Winona Ryder (für aufstrebende Rockstars unerlässlich) und Bruce Springsteen, der ihn auf dem Mobiltelefon anrief, und viel Glück wünschte, bevor Oberst nach Buropa aufbrach. Nicht zu vergessen die Plätze 1 und 2 in den Billboard-Single-Charts für „Lua“ und „Take It Easy (Love Nothing)“, die Vorboten der beiden neuen Alben, die am 24. Januar erscheinen. Das Interview findet denn auch angemessen in der Dom-Suite eines noblen Kölner Hotels statt.
„Mit jeder Platte gab es ein bisschen mehr Presse – und die Clubs, in denen wir spielten, wurden auch größer. Ich weiß nicht, wie es mit den neuen Alben weitergeht, aber ich habe mehr Pressetermine als jemals zuvor.“ Vor der Suite warten schon die Kameras von VTVA, das damals noch ein halbes Herz für Independent hatte; zuvor war schon das Radio dran, und eine von zwei Fotosessions an diesem Tag hat er auch schon hinter sich. Ein Prozedere, das sich so in den anderen Städten, die Oberst auf seiner Interviewtour besucht, wiederholt, gar potenziert.
Um wenigstens ein bisschen Spaß dabei zu haben, hat er sich seinen Cousin Ian, den er selbst als „PE“ -positivity engineer – bezeichnet, mitgebracht und spielt am Abend jeweils ein kleines Konzert. Allein mit der Akustischen. Keine leichte Kost, diese Textlawinen zur spärlichen Begleitung – und ohne die spielerischen Freunde aus Omaha, die die Schwermut durch ihre Beiträge sonst so kongenial aufheben. Im Vorprogramm Simon Joyner – auch nicht gerade eine rheinische Frohnatur. Der Club am Stadtgarten ist trotzdem rappelvoll mit erwartungsvollen Fans – und jedes verdammte Musikmagazin ist auch da. Eine Textstelle aus dem neuen Stück „Landlocked Blues“, das auf einer Compilation aus dem letzten Jahr noch „One Foot In Front Of The Other“ hieß, bleibt an diesem Abend besonders hängen: „Tve grown tired of holding this pose/ I feel more like a stranger each time I come home/ So I’m making a deal with the devils of fame/ Saying let me walk away, please.“ Diese Bitte wurde jedenfalls nicht erhört. Schon am Nachmittag beim Interview hatte ich ihn gefragt, ob er Angst davor habe, durch Presse und Fans auf das Image des traurigen und verzweifelten jungen Mannes festgelegt zu werden. „Naja, das wird passieren, denke ich. Und ich kann nichts dagegen tun. Es ist schon passiert, und es wird weiterhin passieren. Wenn man sich mal anschaut, wie das läuft mit dem public image. Journalismus im Allgemeinen hat die Tendenz, alles sehr zu vereinfachen. Ich meine, ein Artikel über eine Person ist zweidimensional, und eine Person ist drei-, vier-, fünfdimensional. Es gibt also gar keine Möglichkeit, den jeweiligen Menschen zu porträtieren, wie er wirklich ist Dazu müsste man ihn auch schon für eine sehr lange Zeit kennen. Also müssen sie alle voneinander abschreiben, um genügend Informationen für ihre Artikel zu haben, die eine stark vereinfachte Sichtweise wiedergeben, die sie in ihren Zeitschriften abdrucken können, um Anzeigen zu verkaufen. Es geht darum, jemanden medienwirksam zu verpacken, damit er in drei oder vier Abschnitten verständlich wird. 6000 Wörter – oder wie viel sie bekommen. Aber das stört mich nicht Ich bin zufrieden damit, wie sie mich haben wollen. Mir ist das alles egal.“
6000 Wörter habe ich hier zwar nicht zur Verfügung (sondern nur läppische 2500), aber davon sollte man sich ja nicht gleich entmutigen lassen.
1. Die Heimat
Viel ist schon geschrieben worden über Omaha, die 400 000-Einwohner-Stadt im US-Bundesstaat Nebraska, in dem mehr talentierte junge Musiker zu wohnen scheinen als im Rest der Welt. The Good Life, Cursive, The Faint, Son, Ambulance, Azure Ray – um nur die Spitze des Eisbergs zu nennen. Alle veröffentlichen auf dem Label Saddle Creek, das Oberst 1993 mit seinem Bruder Justin gründete, vor allem um Tapes seiner Band Commander Venus zu vertreiben (zunächst hieß das Label noch Lumberjack Records). Viele Mitglieder der genannten Bands haben auch schon neben Oberst und Produzent Mike Mogis von Lullaby For The Workingclass auf den Bright Eyes-Platten mitgespielt. Oberst hat immer noch ein Haus in Omaha, und die beiden neuen Alben sind ebenfalls dort entstanden, doch er lebt seit anderthalb Jahren – wenn er nicht gerade auf Tournee ist – größtenteils in New York Und die neue Heimat schlägt sich auch auf seine Songs nieder. „Ich glaube zwar nicht, dass New York die Art, wie ich schreibe, verändert hat, aber natürlich spielt der Ort, an dem du so viel Zeh verbringst, eine Rolle und schleicht sich in dein Unterbewusstsein, in die Art, wie du denkst und wie und was du beobachtest Das gilt natürlich im Speziellen für New York. Es ist so überwältigend. Es ist, als ob du eine Person kennen lernst Es ist so organisch und sickert in deine Gedanken, ohne dass du es merkst Und was immer sich in meinem Kopf befindet, kommt durch die Musik und die Texte ans Tageslicht Es ist also nicht verwunderlich, dass New York in diesen Songs eine wichtige Rolle einnimmt“
2. Das Erwachen
Auf „I’m Wide Awake, It’s Morning“ scheinen die Nächte manchmal heller als die Tage. Die Nächte sind bevölkert von hübschen Mädchen, durchwirkt von Romantizismen, Träumen und (rauschmittelbedingten) Illusionen, am Morgen vertreibt das Sonnenlicht die glamourösen Nachtgestalten, und zurück bleibt das Songwriter-Ich, zurückgeworfen auf sich selbst, gespiegelt in den Fensterscheiben. So heißt es auf der kargen Hitsingle „Lua“: „When everything is lonely I can be my own best friend/ I get a coffee and the paper; have my own conversations/ With sidewalk and pigeons and my window reflection/ The mask I polish in the evening by the morning looks like shit“
„Eigentlich fühle ich mich ziemlich gut, wenn ich aufwache. Meist denke ich: Das wird ein guter Tag. Ich fühle mich nicht schlecht oder so. Und das hält dann etwa eine Stunde an, und dann fallt man wieder in den Strom des Alltags zurück. Doch am Morgen ist da zunächst dieses Möglichkeitsfenster.“ Doch irgendwann macht ihn die morgendliche Einsamkeit fertig. „Es gibt Zeiten, in denen ich glaube, dieses Alleinsein ist das, was ich eigentlich will, aber dann brauche ich doch wieder den Kontakt zu anderen Menschen und Dingen. Nur auf mich selbst zurückgeworfen hätte ich wohl wenig Spaß am Leben. Ich würde implodieren.“
Deswegen macht er zusammen mit seinen Freunden die Nacht zum Tag.
„Wenn ich mich zu lange in New brk aufhalte, ändert sich mit Schlafrhythmus. Ich schlafe, bis die Sonne untergeht – und dann bleibe ich die ganze Nacht lang auf. Eine Zeit lang macht das Spaß, aber dann beginnst du die Verbindung zu allem anderen zu verlieren. Ich glaube, es ist gut, manchmal bei Tageslicht rauszugehen.“
Schwierig, da ein Gleichgewicht zu halten, zwischen Einsamkeit und Freunde treffen, zwischen Tag und Nacht Diese Zerrissenheit spiegelt sich auch in den Songs wieder. Wenn man sich „I’m Wide Awake, It’s Mormning“ aussetzt – mit Kopfhörern und Songtexten auf den Knien – wird das zu einer regelrechten Tortur. Am Ende der 40 Minuten ist man vollkommen fertig. Euphorisierende Melodien oder Instrumentierungen, die nackte Verzweiflung am Leben und Desillusionierung, abwechselnd mit Bildern des Glücks und der Zufriedenheit „Mit Stimmungsschwankungen hab ich stark zu kämpfen“, lächelt Oberst etwas verlegen. „Meine Laune ändert sich eigentlich unaufhörlich. Das ist ein großes Problem – nicht nur fiir mich, wie du dir denken kannst Das merkt man vermutlich auch den Songs an. Ich achte schon darauf, dass alles zueinander passt, aber manchmal bricht die Verbindung zwischen zwei Strophen auch ab, und die nächste Strophe beginnt an einem anderen Punkt“
Kein Wunder, schließlich kommen ihm die besten Ideen zwischen den Orten. „Die meisten Songs beginnen damit, dass ich Melodie und Text eine Zeit lang im Kopf mit mir herumtrage. Ich arbeite also eigentlich ständig daran, bis sie fertig sind. Bewegung ist sehr hilfreich beim Songschreiben, geistig oder geografisch. Die meisten Dinge fallen mir in Übergangssituationen ein. Auf der Rückbank eines Autos oder wenn ich frühmorgens an der Bar sitze und mich angeregt unterhalte. Dann kommt diese Idee, und ich kann meinem Gegenüber nicht mehr zuhören.“
3. Die Summe
Das Material für „I’m Wide Awake, It’s Morning“ entstand bereits während der ausgiebigen Tour zum letzten Album. Also machten sich Oberst und seine Freunde direkt nach den letzten Konzerten im Februar 2004 an die Aufnahmen. Man hört, dass sie optimal eingespielt waren. Es klingt alles leicht und spielerisch – ein gelungener Kontrapunkt zu den grüblerischen Texten. „Wir nehmen meistens ziemlich viele Tracks für einen Song auf, und dann mischen wir das, beginnen, einige Sachen wieder rauszuziehen. Dann sage ich beispielsweise zu Mike Mogis: »Dieses Motiv hätte ich gerne nur für die erste Strophe‘, so beginnen wir langsam den Song aus der Vielzahl von Tracks herauszuschälen. Wir haben viel mehr Kram aufgenommen, als man hier jetzt hören kann.“
Nicht nur die Musik wurde beschnitten, auch textlich hat Oberst sich zusammengenommen. Es sind nicht mehr die Textlawinen, die man noch vom „Lifted… „Album kennt, so dass die neuen Stücke fast wie konventionelle Songs mit Strophe und Refrain klingen. „Das war nicht geplant oder so. Aber als ich jünger war, waren die Songs vermutlich extrovertierter und wilder; jetzt ist vieles vielleicht etwas subtiler und universeller. Ich meine, wenn man einen Song schreibt, schreibt man offensichtlich aus einer subjektiven Perspektive und aus sich heraus, über Sachen, die man erlebt hat Aber früher hat es mich nie besonders interessiert, ob auch andere Leute was damit anfangen können, ob das auch über meine Person hinaus eine Gültigkeit hat Aber jetzt fühle ich, dass das für mich eine Rolle spielt Ich möchte durch die Sachen, die wir jetzt machen, mit den Leuten kommunizieren, ich möchte, dass die etwas mitnehmen können von dem, was ich da singe.“
Trotzdem mag er viele seiner frühen Songs immer noch. „Ich höre mir das alte Zeug nur an, wenn wir wieder für eine Tour proben. Dann packe ich die CDs aus und lache mich kaputt Ich mag es nicht, meine Stimme aus verschiedenen, lange vergangenen Perioden meines Lebens zu hören. Das irritiert mich. Aber das ist eine Sache der physischen Aufnahmen, der Song an sich ist was ganz Anderes. Oft denke ich, dass die Songs ganz gut sind, dass ich die Texte und Melodien immer noch mag.“
Die bisherigen drei Alben sowie die Sammlung früher Aufnahmen „Collection Of Song: Recorded 1995-1997“, zahlreiche Singles und EPs sind Stationen einer Entwicklung. Sie dokumentieren die Zeit vom damals 14-jährigen Pubertierenden bis zum heute 24-jährigen jungen Mann. Ein geistiger, emotionaler, aber auch körperlicher Reifungsprozess, der sich auch in der Stimme niederschlägt Ein langer Weg – aber wohin? „Du musst versuchen, deine Stimme zu finden. Sie akzeptieren und das Beste draus machen. Ich meine nicht unbedingt diese Stimme (deutet auf seinen Hals), sondern vielmehr deine musikalische Stimme. Dafür muss man sehr viele Sachen ausprobieren, und es ist nicht gesagt, dass du wirklich zum Ziel kommst Ich will mich auch nicht andauernd wiederholen, will weiter Sachen ausprobieren und weiterkommen auf meinem Weg.“
4. Der Körper, der Beat und der Tod
Teil dieser Experimente ist auch „Dtgital Ash In A Digital Urn“, keine Elektronik, wie der Titel vielleicht nahelegen könnte, eher – sicherlich auch aufgrund der stimmlichen Nähe zu Robert Smith – The Cure, Mitte der 80er. Der morbide Bruder von „I’m Wide Awake, It’s Morning“ ist auf seine Weise noch viel erstaunlicher – auch schöner. „Das war ein völlig anderer Ansatz als die Folkplatte. Ich wollte die Songs eher offen lassen. Normalerweise werden die Songs vom Rhythmus angetrieben, mit dem ich meine Gitarre anschlage. Das ist sozusagen der Puls dieser Stücke. Für „Digital Ashes“ habe ich die meisten Songs auf dem Keyboard geschrieben, vollkommen ohne Rhythmus, nur eine Note haltend und die Melodie drübersingend. Ich wollte nicht gefangen sein in diesem (tut so, als schlage er die Gitarre an).
Der Puls der Bright Eyes stoppt für ein Album, das bezeichnenderweise einen ziemlich morbiden Titel trägt, und dessen Songs sich größtenteils um den Tod drehen, ohne dass Oberst das so geplant gehabt hätte. „Ich wollte mich einfach musikalisch nicht wiederholen. Ich wollte erst die Songs fertig haben, und die Rhythmen sollten dann von den Schlagzeugern kommen, die darin viel besser sind als ich. Als die Rhythmen dann fertig waren, habe ich meine Gesangsspur nochmal überarbeitet, damit alles zusammenpasst More like rapping, you know. Das geht dann tatsächlich auch in die Beine. „Das meiste, was wir bisher so an Musik gemacht haben war mehr so hier (deutet seitlich auf seine Stirn), nicht so sehr körperlich. Das wollte ich für diese Platte ändern. Sie sollte nicht elektronischer werden oder dunkler. Einfach mit präziseren Beats. Wie das Ticken einer Uhr.“
Und selbst, wenn Conor Oberst versucht, über den Dancefloor zu sprechen, endet er doch wieder bei einem Bild der Vergänglichkeit – dem Ticken einer Uhr. „And you’ll do the dance that was choreographed at the very dawn of time/ Singing I told you son, the day would come. You would die.“ Conor Oberst hört auf das Ticken seines Herzens, das ihn – wie er zugibt manchmal auch lähmt „Das geht, glaube ich, jedem so, oder? Dass man, wenn man drüber nachdenkt, panische Angst vor dem Tod hat. Aber es muss ja weitergehen.“
S. Der mehrdimensionale Mensch
Weitergehen muss auch das politische Engagement, obwohl die Niederlage von John Kerry noch in den Knochen sitzt. „Ich persönlich will – auch nachdem ,Vote For Change‘ in letzter Konsequenz nicht erfolgreich war – alles tun, um die andere Hälfte des Landes in der Öffentlichkeit zu vertreten. Denn das halbe Land fühlt genauso stark wie ich, dass Bush ein grauenhafter Präsident ist Nur weil wir die Wahl verloren haben, können wir jetzt nicht einfach verschwinden, nach Europa ziehen oder so. Du musst smarter und lauter werden, bis sie dich nicht mehr ignorieren können.“
Die „Vote For Change“-Tour habe ihm eine Menge Selbstvertrauen gegeben, erklärt der Junge aus Omaha (eher Bush-territory), denn er habe gemerkt, dass er nicht alleine sei – abgesehen davon gab die Tour ihm die Möglichkeit, zusammen mit Freunden wie Michael Stipe und großen Helden wie Bruce Springsteen, dessen frühe Platten erstaunlich viele Berührungspunkte mit den Folkalben von Bright Eyes aufweisen, Stellung zu beziehen.
Wie war das, einem großen Vorbild, von dem er bisher nur in Musikzeitschriften gelesen hatte, gegenüber zu stehen? Hatte die Person Springsteen Ähnlichkeit mit dem zweidimensionalen, in den Medien verbreiteten Image? „Bruce war eigentlich genauso, wie ich ihn mir nach allem, was ich über ihn gelesen, gesehen und gehört hatte, auch vorgestellt hatte. Er war supernett, bodenständig, sehr cool. Er macht sich Gedanken, hat ein gutes Herz.“ Man scheint also durchaus sein Image so kontrollieren zu können, dass es nicht völlig von der Person abfällt? „Tja. Bruce hat es geschafft. Er hat allerdings auch in einer anderen Zeit angefangen. Bin mal gespannt, ob mir das auch gelingt“.