Brian Wilson im Interview: „Am Strand war ich schon seit Jahren nicht mehr.“
Brian Wilson sprach im Frühjahr 2002 mit Maik Brüggemeyer am Telefon über Zukunftspläne, sein neugewonnenes Selbstbewusstsein und alte Paranoia. Zum 70. Geburtstag holen wir den charmanten Text noch einmal aus dem Archiv.
Am 20. Juni feiert Brian Wilson seinen 70. Geburtstag. Wir gratulieren recht herzlich und holen für ein paar Tage dieses Interview aus unserem Archiv. Was unser Archiv noch so zu bieten hat, erfahren Sie hier.
„Waaas? Du machst ein Telefoninterview mit Brian Wilson? Mann, ich möchte auch Musikredakteur sein! Dennis wäre mir natürlich lieber, aber der hat es ja vorgezogen, zugedröhnt im Hafen zu ersaufen. Frag Brian, ob sein Klavier noch immer in der sandbox steht, wie’s seinem Ohr geht und ob er Dennis vermisst und warum er ihn nicht von den Drogen abgehalten hat und sag ihm, ich liebe ,God only knows‘ und fand das Hundegebell auf ,Pet Sounds‘ total daneben und sag ihm: Er ist ein Genie.“ So die Reaktion einer lieben Freundin, nachdem ich ihr erzählte, dass Brian Wilson mich am Abend zu Hause in Hamburg anrufen werde, um sein Live-Album „Live At The Roxy Theatre“ zu promoten.
Ein Telefoninterview mit Brian Wilson! Das ist wohl der größte Irrsinn, der einem im Popgeschäft begegnen kann. Ein Haufen von Geschichte am anderen Ende der Leitung. Das ist ungefähr so, als würde Gott in jeder noch so kleinen Scheißpfarrei im Oberbayrischen anrufen, um die Zehn Gebote anzupreisen.
Dass es selbst Brian unmöglich ist, die Magie seines Werks in Worte zu fassen, wird im Verlauf des Interviews immer wieder deutlich. Außer einem „Yeah, it’s great, I love it“ und geradezu kindlicher Begeisterung für alles und jeden weiß er meist nicht viel zu sagen. Ein bisschen angespannt wirkt er, unsicher, wer da am anderen Ende der Leitung wohl sein mag. Gerade bei Interviews ist die vertraute Umgebung wichtig für ihn, daher sitzt er lieber zu Hause am Telefon, als die elende Fragerei auf der anstehenden Tour vor Ort über sich ergehen zu lassen.
Er lebt in der Nähe von L.A. mit seiner Frau Melinda und sechs Hunden, die während des Interviews immer mal wieder dazwischen bellen. „Ich übe jeden Tag ein paar Stunden am Piano, sehe ein bisschen fern, telefoniere, was man halt so macht.“ Am Strand war er schon seit über zehn Jahre nicht mehr. „Ich weiß nicht. Den mag ich einfach nicht“, lacht er etwas unsicher. Man wusste ja um seine Ängste und Paranoia, aber vom Ober-Beach-Boy persönlich zu hören, er gehe nicht mehr an den Strand, ist trotz aller Vorbereitung ein äußerst surreales Erlebnis. Das Image der Band war ja immer eher die Sache von Dennis Wilson, dem Sonnyboy und Rebellen, der seinen Bruder Brian bat, doch mal einen Song übers Surfen zu schreiben. „Dennis surft da oben wahrscheinlich immer noch über die Wolken.“
Die Ideen zu Tour und Live-Platte kamen von Brian Wilsons Frau Melinda und seinem Management, und das gibt der Sache einen schlechten Beigeschmack, denn sein Leben lang wurde Brian fremdbestimmt. Sein Urteils-Unvermögen gegenüber den vermeintlichen Wohltätern, die sein Leben bevölkerten, ist legendär. Man denke an seine Anfang der 90er veröffentlichte Autobiographie, die in Deutschland unter dem Titel „Mein kalifornischer Alptraum“ erschien und sich wie eine Werbebroschüre seines zwielichtigen Ex-Therapeuten Elliot Landy liest.
Schon nach wenigen Stücken von „Live At The Roxy Theatre“ sind jedoch alle Zweifel verflogen, Brian Wilson scheint einen Riesenspaß zu haben. „Yeah, die Songs sind brillant und geben mir die Kraft, das alles durchzustehen. Die Band kennt sie besser als ich und gibt mir die nötige Sicherheit. Die kennen die Songs in- und auswendig. Ich traf sie mal in einem Club in LA., wo sie die ganze Zeit alte Beach-Boys-Hits spielten.“ Und fürwahr, die Band, die unter anderem aus der Westküstenpopband The Wondermints besteht, spielt diesen unvergleichlichen Sound exzellent und originalgetreu.
„Die anderen Beach Boys vermisse ich auf der Bühne nicht. Habe auch schon länger nichts mehr von Mike Love, Bruce Johnston und AI Jardine gehört Aber immer, wenn ich ‚God Only Knows‘ singe, muss ich an Carl denken. Er war sehr talentiert und hatte eine großartige Stimme, ich war ziemlich stolz auf ihn. Aber auch die anderen haben viel von mir und meiner Art, Songs zu schreiben, gelernt. Dennis beispielsweise, den ich – ehrlich gesagt nicht für besonders musikalisch hielt, wurde ein großartiger Songschreiber. Hör dir nur ‚Forever‘ an.“
Wo er denn seine eigenen musikalischen Einflüsse sehe, will ich wissen. „Ganz klar bei Phil Spector. Er hat mir quasi gezeigt, wie man eine Platte macht. Ich hab Anfang der 60er mit einer Tonbandmaschine in der Garage gesessen, alle möglichen Sachen ausprobiert und immer wieder Phil Spector gehört. Dieser Sound! Das richtige Gefühl für Harmonien hab ich dann durch Burt Bacharach-Platten bekommen.“
Auf einmal beginnt das paranoide Jahrhundertgenie tatsächlich zu plaudern. Sobald Wilson Vertrauen gefasst hat und über die Musik sprechen kann, die er liebt, quasi selbst ganz Musik wird, taut er auf. Er erzählt von seinen Zukunftsplänen, welche Songs er auf der Europatour spielen will, und dass er vorhat, ein Rock’n’Roll-Album aufzunehmen. Ob die Aufnahmen, die er vor einiger Zeit mit Andy Paley machte, jemals veröffentlicht werden, kann man ihm aber nicht entlocken. „Weißt du, ich muss nicht aus allem, was ich geschrieben habe, ein Album machen. Ich kann die Songs ja immer spielen, wenn ich Lust dazu habe.“
So in etwa muss man sich wohl auch seine Konzerte vorstellen, nach Momenten der Unsicherheit und des Unwohlseins geht er vollkommen in der Musik auf; wenn er merkt, wie euphorisch die Leute reagieren, stört er sich nicht mehr daran, dass da Tausende fremder Augen auf ihm ruhen. Er macht seine Spaße, spricht das Publikum gar direkt an- früher undenkbar. In diesen Momenten ist Brian Wilson ganz bei sich und gibt tolle Versionen seiner großen Songs. Im Januar spielte er in Deutschland. Wir waren da, meine liebe Freundin und ich. Gotta keep those lovin ‚good vibrations.