Boyhood: Hoffnungsträger der amerikanischen Rockmusik?
The Districts werden als Hoffnungsträger der amerikanischen Rockmusik gefeiert: Wie die Strokes vor ihnen spielt die Band aus Pennsylvania melodieseligen Rock 'n' Roll, als hätte sie ihn gerade erfunden. Unwiderstehlich!
Sechzehn Häuser in jeder Straße säuberlich aufgereiht, und in jedem davon eine gescheiterte Familie, die zum Abendessen ihre Gebete spricht. Die Kids aus reichem Hause feiern Partys oder applaudieren auf dem Football-Platz nach einem Touchdown, während der Held unserer Geschichte sich im Keller eine bessere Welt herbeikifft. Und die gut gebauten, gesunden jungen Männer der Kleinstadt lachen über den geistig Behinderten, der auf der Straße tanzt: „Our sons are strong and they are able to laugh and watch the retard dance.“ Man kann ihn förmlich riechen, den Vorstadtmief in „Suburban Smell“, einem Song auf „A Flourish And A Spoil“, dem neuen Album der Band The Districts.
Genau genommen ist es in diesem Fall nur Frontmann Robby Grote, der die Nummer allein auf seiner akustischen Gitarre herunterklopft: „Das ist schon ziemlich autobiografisch“, erklärt der junge Mann mit dem freundlichen, pausbäckigen Gesicht und dem unter einer Wollmütze verborgenen dunklen Lockenhaar. „Wir fühlen uns generell anders als die Leute dort. Wir haben mit ihnen nichts gemein.“
Wir sitzen mit den Districts in einem Pub am Londoner Leicester Square, kurz nachdem sie nebenan eine Radio-Session absolviert haben. Es ist erst der zweite Besuch der vier 19 bis 20 Jahre jungen Amerikaner in der britischen Hauptstadt, und sie finden es „sweet“ hier, wie alles bisher in Europa, wo sie „populärer sind als zum Beispiel in Denver/Colorado“, wie Schlagzeuger Braden Lawrence es formuliert. „Aus irgendeinem Grund kriegen wir hier auch die besseren Kritiken.“ Vielleicht weil er, Grote, Bassist Connor Jacobus und der im Sommer für das ausgestiegene Gründungsmitglied Mark Larson zur Band gestoßene Gitarrist Pat Cassidy genau jene aufgeweckte Outsider-Per-spektive vermitteln, die schon einst in den 80er-Jahren so viele mainstreamferne amerikanische Bands zu hauptsächlich europäischen Phänomenen machte.
Oder vielleicht ist Lawrence auch einfach bloß ein Tiefstapler. Denn in Wahrheit genießen die Districts auch in den USA einen beachtlichen Status als junge Hoffnungsträger der im Gefolge von Leuten wie The War On Drugs, Kurt Vile oder Dr. Dog boomenden Indie-Rock-Szene von Philadelphia. „Außer uns gibt es da noch Man Man und neuere Bands wie unsere Freunde Pine Barrens und Hopalong oder Strand Of Oaks“, sagt Robby Grote. „Wir haben alle so eine Art gemeinsamen Sound entwickelt. Vielleicht liegt es daran, wo wir aufgewachsen sind.“ Und zwar genau genommen nicht in Pennsylvanias Hauptstadt selbst, sondern in den umliegenden, bedeutungslosen Kleinstädten, aus denen man als junger Musiker nach Philadelphia flieht.
Im Falle der Districts ist das eine 9.000-Seelen-Gemeinde namens Lititz, eine halbe Fahrstunde von Lancaster und anderthalb Stunden von Phil-adelphia entfernt. Wenn die Band von ihren dort verbrachten Teenager-Jahren erzählt, klingt das ein bisschen wie ein Outtake aus Richard Linklaters „Boyhood“. Da gab es zum Beispiel den unvermeidlichen Skate-Park, „dort konnte man ziemlich großartige Künstler kennenlernen“, sagt Braden Lawrence, „und Punk-Kids, die Drogen nahmen“. Ein anderer Treffpunkt der Freaks war eine örtliche Bäckerei samt angeschlossenem Coffeeshop, die von einer bemerkenswerten Frau namens Amy betrieben wurden, die Robby Grote heute noch „cool and awesome“ findet. Rund um ihr Geschäft hatte sich ein ganzer Freundeskreis von Leuten versammelt, die vom konservativen Geist des Städtchens „verärgert genug waren, um sich künstlerisch zu betätigen“. Aber viel mehr war in Lititz offenbar nicht zu holen. „Wir hatten ein Riesenglück, dass wir einander fanden“, sagt Braden Lawrence. „Wir steckten unsere ganze Energie in die Musik, weil es sonst einfach nichts zu tun gab.“
So viel zum banalen, aber überzeugenden Grund, warum die Rockmusik als originäre Ausdrucksform gelangweilter amerikanischer Vorstadtjugendlicher sich allem gescheiten popkulturellen Diskurs zum Trotz so beharrlich weigert auszusterben: Die Suburbs sind nach wie vor langweilig, auch im Zeitalter des Internets, dessen Verheißungen eines Ersatz-Soziallebens diese Generation schon lange nicht mehr für voll nimmt. „Ich glaube, Bands unserer Generation wissen, dass man sich nicht allein auf das Internet verlassen kann“, sagt Robby Grote. „Es ist unheimlich wichtig, ständig Konzerte zu spielen. Das Netz ist so ausgedünnt durch all diese Bands, die sich darin herumtreiben. Man muss sich vor die Menschen hinstellen, und das haben wir von Anfang an am liebsten gemacht.“
Wer Grote live als sprunghaften Mittelpunkt eines an coolen Posen gänzlich uninteressierten, enthusiastischen Flohzirkus erlebt hat, wird daran nicht zweifeln. Ihrer überschwänglichen Spielfreude verdanken die Districts einen großen Teil ihres Rufs, nicht zuletzt seit ihrem viel beachteten Auftritt beim letztjährigen Alternative-Showcase SXSW in Austin, der für sie so etwas wie einen medialen Durchbruch markierte.
Die Weichen dazu waren allerdings bereits gestellt, nachdem das Label Fat Possum (The Black Keys, Modest Mouse, Temples) auf ihr im Eigenvertrieb veröffentlichtes Debütalbum, „Telephone“, aufmerksam geworden war. Es folgte eine kleine EP als Appetitanreger – und jetzt also ihr erstes von einer Plattenfirma herausgebrachtes Album, produziert von Vielarbeiter John Congleton, laut Braden Lawrence „der größte Spaß, den wir bisher im Studio hatten. Und es ging auch am schnellsten. John ist sehr gut darin, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren.“ Eine gewisse Verwandtschaft ihres dynamischen, oft ins Melodramatische kippenden Sounds zu einer anderen Kundschaft Congletons, nämlich The Walkmen, wollen The Districts nicht leugnen. „Wir gehen heute Abend zu Spoon“, sagt Grote mit leuchtenden Augen. „Und im Vorprogramm spielt (Walkmen-Sänger) Hamilton Leithauser. Wir lieben The Walkmen, sie sind fantastisch, aber dieser Einfluss kam für uns erst später. Am Anfang hörten wir ganz klassische Rockmusik, die Sachen, die unsere Eltern uns vorgespielt hatten. Mein Dad mochte Grateful Dead und Led Zeppelin.“
„Und natürlich die Beatles“, fügt Braden Lawrence hinzu. „Also meine Eltern spielten immer Tom Petty & The Heartbreakers und Creedence Clearwater Revival“, sagt Connor Jacobus. „Von all diesen Einflüssen ausgehend“, fasst Grote zusammen, „haben wir uns in den Blues vertieft, weil der diese Bands geprägt hat. Aber das hat uns dann in der Folge auch zu den neueren Bands gebracht, die ihrerseits von den älteren beeinflusst waren.“
Klingt ernüchternd wie die einheitskost jeder amerikanischen Rockband von ehedem bis immerdar, und ehrlich gesagt haben die Districts selbst dann, wenn ihre launigen Liedchen in Richtung lärmige Ekstase abbiegen und gegebenenfalls die Sieben-bis-Acht-Minuten-Grenze überschreiten, noch nie die erprobten Ingredienzien des althergebrachten Formats infrage gestellt. Trotzdem spürt man da unverkennbar eine tiefe, zornige Sehnsucht, die weit über die Fortsetzung der ewigen Retro-Dauerschleife hinausgeht. Man spürt, dass diese Kids im Angesicht einer zunehmend restriktiven und verspießernden Gesellschaft wieder einige derselben Kämpfe durchzustehen haben, die die Rock-Kultur längst gewonnen glaubte. Den ein halbes Jahrhundert früher geborenen Vorgängern der Districts mag noch das Echo des letzten Weltkriegs in den Knochen gesteckt haben, aber ihre Generation ist in Sachen kollektives Trauma auch nicht gerade zu kurz gekommen. „Ich kann mich an keine Zeit in meinem Leben erinnern, in der Amerika nicht im Kriegszustand gewesen wäre“, erklärt Connor Jacobus. „Das hat schon einen Einfluss darauf, wie man seine Welt wahrnimmt. Man macht sich ständig Sorgen über Dinge, die einen als Kind eigentlich noch nicht beschäftigen sollten.“
Der 11. September 2001 war für seinesgleichen eine der ersten bleibenden Kindheitserinnerungen. „Ich war im Kindergarten“, erzählt Braden Lawrence, „und ich erinnere mich daran, wie ich mit meiner Mutter heimging, und ich wusste, dass etwas wirklich Trauriges passiert war. Ich erinnere mich, wie sie sich auf den Boden setzte und mir sagte, was passiert war. Aber ich verstand es einfach nicht.“
„Wir waren zu jung, um zu verstehen, was Terrorismus ist“, sagt Grote. „Aber es machte einen tiefen Eindruck auf uns, die immense Angst und die Traurigkeit bei unseren Eltern und den Erwachsenen um uns herum zu sehen. Dass wir in dieser Zeit groß geworden sind, hat unsere Generation motiviert, liberaler zu denken – oder zumindest gegen Krieg zu sein. Jeder, der in Lititz aufwuchs, hatte einen Bruder oder einen Cousin, der nach Afghanistan oder in den Irak gegangen ist, und wir wissen, was für eine Angst einem das macht. Ich will hier nicht politisch werden, aber wenn man dann noch von all diesen unerfreulichen, inhumanen Dingen erfährt, die unser Land dabei angerichtet hat, kann man schwer verstehen, was jemanden dazu bringt, dafür sein Leben zu riskieren.“
The Districts haben ihr Leben fürs Erste jenem anderen großen amerikanischen Abenteuer verschrieben: dem Leben als Rockband. Die ersten paar Rückschläge haben sie schon überwunden: den obligaten Ausstieg eines Bandmitglieds, das sich doch lieber für College und Karriere entschied; den Diebstahl ihres Bandbusses samt Equipment in St. Louis, gefolgt von einer Fahrt im Greyhound-Bus zum nächsten Gig, wo die Hauptband, Dr. Dog, ihnen ihre Gitarren borgte; und das im verwirrenderweise nach einer Straßenkreuzung in Brooklyn benannten Hit „4th And Roebling“ beschriebene Gefühl der Entfremdung von der Freundin, sobald man einmal das Leben jenseits der Kleinstadt gesehen hat: „I ain’t the same from before/ You’ve gone and changed, I’m sure.“
Als Robby Grotes darauf angesprochen wird, friert das Lächeln auf seinem Gesicht einen Moment lang ein. „Ja, aber diese Geschichte verlief umgekehrt“, murmelt er vielsagend. „Das war, als wir noch in unserer Heimatstadt wohnten.“ Wir verstehen. Kein Trauma sitzt tiefer als dieses. Aber wenn sein gebrochenes Herz dabei mitgeholfen haben sollte, die Districts in die Welt hinauszuschicken, war das den Schmerz vermutlich wert.