Boygenius: Gekommen, um uns zu unterhalten
Was treibt die aufregendste Supergroup der Welt an? Freundschaft, aufrührende Bücher und neue Songs.
Vor „The Record“ hatte das Album viele Arbeitstitel, die alle den typischen Boygenius-Humor widerspiegeln: „American Idiot“, „The White Album“, „Beach Boys“ und so weiter. Bridgers lächelt, wenn sie an einen anderen Anwärter denkt. „Uns gefiel ‚In Rainbows‘“, sagt sie. Baker wirft gackernd den Kopf zurück, ihr Lächeln wird breiter. „Gaaay!“, schreit Dacus. „Gaaay!“, schreit Bridgers zurück.
In einem anderen Leben wäre lucy Dacus vielleicht Journalistin. Während unserer gemeinsamen Zeit macht sie sich Gedanken über die Tonqualität meiner Aufnahme und achtet darauf, was ich notiert habe und was nicht. Dacus und ich treffen uns eines Abends im Wabi on Rose, einem protzigen Sushi-Restaurant mit rosa Velourssesseln, die zu den To-Go-Boxen passen. Sie sitzt in einem schwarzen Pullover am Tisch und erklärt mir bei einer Miso-Suppe, dass sie nur zwei Stunden Schlaf bekommen hat, weil sie in der Nacht zuvor „mit den Boys abhing“. „Oh, warte!“, sagt sie und umklammert ihr Telefon. „Ich bin dabei, eine Schachpartie zu verlieren! Stört es dich, wenn ich kurz ein Nerd bin?“
Dacus ist ständig am Schreiben – selbst während des Spaziergangs hierher. „Beim Schreiben rede ich mit mir selbst“, sagt sie. Sie findet potenzielles Material mitten im Gespräch, wie beim Mittagessen mit den „Boys“, als sie sagte: „Meine leibliche Mutter erzählte mir, dass sie in ihren Fünfzigern ‚Wut fand, als läge sie unter ihrem Bett‘. Dieser Satz hat mich erschüttert. Ist das nicht verrückt? Ich sollte das in einen Song packen!“ Dacus wurde adoptiert und wuchs als gläubige Christin in Richmond/Virginia auf. Auf „Home Video“ berichtet sie über diese Erziehung, zu der auch viermal pro Woche der Gottesdienst gehörte. Aber es war das Album „Historian“ von 2018, das die Zuhörer zum ersten Mal erschütterte, insbesondere die brutale, fast sieben Minuten lange Trennungshymne „Night Shift“, in der sie sich schmerzhaft von einer Liebhaberin verabschiedet, mit der sie noch zusammenarbeiten muss.
Der Track „We’re In Love“ von „The Record“ steht für die Schönheit und den Zusammenhalt von Boygenius. Wenn „Night Shift“ der ultimative Trennungssong war, ist „We’re In Love“ der endgültige Liebesbrief an die Freundschaft – eine zurückgenommene, bezaubernde Ode an die Band, die Catherine Marks bei den Aufnahmen zum Weinen brachte. „If you rewrite your life“, singt Dacus, „can I still play a part?“ Bei der Auswahl der Stücke stimmte Julien Baker dafür, „We’re In Love“ aus dem Album zu streichen. Es hat sie Zeit gekostet, darüber zu sprechen. „Manchmal fällt es mir schwer, mich auf einen Song einzulassen, der sehr gefühlvoll ist, auf eine ganz bestimmte, zärtliche Art. Das hat etwas Beängstigendes. Jetzt ist das einer meiner Lieblingssongs auf der Platte.“ Später, als die Band ihn sich gemeinsam im Auto anhörte, hielten Dacus und Bridgers Händchen.
Boygenius denken darüber nach, „The Record“ mit Pressekonferenzen in großen Städten zu promoten, zum einen um eine Lawine
von Interviews zu vermeiden, aber auch weil das nach Spaß klingt. „Es ist kitschig und macht Spaß, sich aufzubäumen“, sagt Dacus. „Ich möchte, dass Phoebe und Julien so cool wie möglich aussehen.“ Sie werden dieses Jahr auf Tournee gehen – einschließlich eines Auftritts beim Coachella Festival –, und sie sind sich einig, dass es weniger anstrengend ist, gemeinsam unterwegs zu sein. „Ich spiele jeden Abend vor Tausenden von Menschen, und manchmal bin ich mental wirklich schlecht drauf“, sagt Bridgers. „Es ist so schwer, eine Beziehung zu den Leuten aufzubauen. Außer zu diesen Leuten hier. Wenn ich mit ihnen zusammen bin, ist es viel weniger dunkel.“
Dacus, die auf der „Home Video“-Tour über 150 Shows gespielt hat, stimmt dem zu: „Wir fühlen uns zusammen wie zu Hause. Wir haben darüber gesprochen, eine Fernsehsendung auszusuchen und nach jeder Show eine Folge vor dem Schlafengehen zu schauen. Das hat etwas von Kinderbüchern. Ich gebe jedem von ihnen einen kleinen Kuss auf den Kopf und bringe sie ins Bett.“ Die Band hat sich für die Tournee einiges einfallen lassen. Eine Idee ist, dass Dacus und Bridgers möglicherweise rummachen, während Baker ein Gitarrensolo spielt. Wer weiß, vielleicht knutschen sie auch alle drei. Daraufhin schüttelt Baker den Kopf und verschränkt die Arme. „Du willst nicht mit uns rummachen?“, fragt Bridgers. „Ich bin von der alten Schule, ein One-Man Guy“, antwortet Baker. Dacus meldet sich zu Wort: „Denk da noch mal drüber nach!“ Baker breitet ihre Arme aus und beginnt zu lächeln. „Nur ein Scherz! Ich werde mit euch allen rummachen.“