Boygenius: Gekommen, um uns zu unterhalten

Was treibt die aufregendste Supergroup der Welt an? Freundschaft, aufrührende Bücher und neue Songs.

Wie „The Trapeze Swinger“ hat „Leonard Cohen“ keinen Refrain – nur Lucy Dacus auf der akustischen Gitarre. Sie rattert Zeilen herunter, die sowohl charmant („You felt like an idiot adding an hour to the drive/ But it gave us more time to embarrass ourselves/ Telling stories we wouldn’t tell anyone else“) als auch urkomisch sind („Leonard Cohen once said, ‚There’s a crack in everything/ That’s how the light gets in‘/ And I am not an old man having an existential crisis/ In a Buddhist monastery/ Writing horny poetry/ But I agree“).

Das, genau das, fängt die Größe von Boygenius in nur 32 Wörtern ein: Sie sind die Art von Songwriterinnen, die ernsthaft eine herzzerreißen-de Wahrheit eines alten Mannes zitieren, sich dann umdrehen und ihn in der nächsten Zeile freundlich durch den Kakao ziehen. Die Band verbrachte fast den gesamten Januar 2022 mit den Aufnahmen und lebte in Rick Rubins Shangri-La-Studio in Malibu, unterstützt von einigen der besten Sessionmusiker:innen des Indie-Rock, von Autolux-Schlagzeugerin Carla Azar bis hin zu Melina Duterte von Jay Som am Bass.

Sie arbeiteten lange Tage, oft zehn Stunden oder mehr, und entspannten sich, indem sie sich Thriller wie „Promising Young Woman“, „The Handmaiden“ und „Yellowjackets“ ansahen. Als Co-Produzentin holte sich die Band Catherine Marks ins Boot, die für ihre Arbeit mit dem Manchester Orchestra und PJ Harvey bekannt ist. Marks erzählt, dass es im Studio eine Art Morgenroutine gab: Baker ging joggen, während Dacus Tarotkarten las, um einen „Vibe-Check“ zu machen. Marks ging auch mit Bridgers zum Yoga: „Das ist ein echter Luxus für mich!“, sagt Marks. „Denn normalerweise, wenn ich zum Beispiel mit dem Manchester Orchestra arbeite, hat niemand Lust, sich zu bewegen. Wir haben alle am Vorabend eine Flasche Bourbon getrunken.“

Nach zwei Wochen wurde Sarah Tudzin von den Illuminati Hotties für das Engineering und die zusätzliche Produktion hinzugezogen. Tudzin arbeitete separat in Bob Dylans altem Tourbus auf dem Hof an „The Record“. „Ich habe ihnen dabei zugesehen, wie sie die Grenzen auf eine Art überschreiten, wie sie das bei ihren Soloprojekten nicht tun“, sagt Tudzin. „Es gibt einen echten Sinn für Leichtigkeit und Humor, während sie ihrer Intensität und ihrem Tiefgang als Songwriterinnen treu bleiben.“ Tudzin und Marks fragen mich beide eifrig, ob es ein Lied namens „Don’t Fuck With My Girl“ auf das Album geschafft hat. Nein, hat er nicht – was für die Stärke der Sessions spricht. Tudzin bestätigt, dass es eine Fundgrube an Outtakes gibt. „Das waren wirklich fünfundzwanzig reine Hits!“, sagt sie.

Als ich Bridgers in einem plant-based-Restaurant in Venice treffe, scannt sie die Räumlichkeiten, bevor sie die Kapuze ihrer
schwarzen Jacke herunterlässt, das platinblonde Haar lässig nach hinten zieht und auf einer von Olivenbäumen umgebenen Außenterrasse Platz nimmt. Nachdem ihre Karriere mit „Punisher“ explodiert war, wurde es schwieriger, in die Öffentlichkeit zu gehen. „Es ist schwer, die Innerlichkeit zu bewahren und gleichzeitig so viel von sich selbst mit der Welt zu teilen“, sagt sie und beißt in ein Tempeh-BLT-Sandwich. „Wenn ich jetzt auf eine Soloalbum-Werbeaktion gehen müsste, würde ich das nicht machen. Ich bräuchte eine Pause.“ Mit ihrer ach so kalifornischen Stimme bestellt sie einen Orangensaft und nimmt widerwillig ein Wasser, als sie erfährt, dass O‐Saft nicht infrage kommt.

Bridgers hat eine Menge Pressearbeit für „Punisher“ gemacht – Magazincover und Late-Night-TV‐Auftritte –, und obwohl sie vielleicht noch kein irrsinnig bekannter Name ist, findet sie ihren neugewonnenen Ruhm immer noch ein wenig befremdlich, besonders für eine Songwriterin, die privat Musiker wie Elliott Smith und Tom Waits vergöttert und „Punisher“ nach überheblichen, aufdringlichen Fans benannt hat. „Ich bin im Grunde eine Indie-Person, aber manche denken, ich wäre nicht berühmt genug, um mich darüber zu beschweren“, sagt sie. Das gilt auch für die Boygenius-Fangemeinde: „Wir haben die Art von Superfans, die John Lennon hatte, aber einige unserer Verwandten glauben, dass wir kein Geld verdienen. Sie fragen: ‚Wann suchst du dir endlich einen richtigen Job?‘“

Phoebe Bridgers hat schillernde Momente auf „The Record“. Wer Boygenius’ intensiv liebeskranken Track „Me And My Dog“ von 2018 liebt, wird von „Letter To An Old Poet“, einem brutal ehrlichen Monolog über eine „alles verzehrende Liebe“, noch mehr erschüttert sein. „In dem Song geht es darum, dass jemand so viel Macht über dich hat, dass er aufhört, ein Mensch zu sein“, erklärt sie (wobei sie sich weigert zu sagen, um wen es geht).

boygenius

„Emily I’m Sorry“ ist eine herzzerreißende Entschuldigung an ihre Freundin Emily Bannon, mit Zeilen wie: „Emily, forgive me, can we/Makeitupaswegoalong?/I’m27andI don’t know who I am/ But I know what I want.“ (Bridgers sagt, Bannon habe den Track noch nicht gehört.) „Revolution 0“, das ursprünglich den Titel „Paul Is Dead“ trug, nach der beliebten Verschwörungstheorie über die Beatles, handelt davon, dass Bridgers sich über das Internet in den irischen Schauspieler Paul Mescal verliebt.

„Bei der Aufmerksamkeitsspanne, die man hat, wenn man eingesperrt ist, war das einfach wunderschön“, sagt sie. Das Paar soll verlobt gewesen sein und sich später wieder getrennt haben. Bridgers hat sich dazu nicht geäußert, nur gesagt, dass sie derzeit nicht verlobt ist. Ich frage Bridgers, ob sie sich Taylor Swifts Fähigkeit, ihr Privatleben unter Verschluss zu halten, zum Vorbild nimmt. „Ich lasse mich von den Menschen inspirieren, die ich sehe und die glücklich sind, und ich versuche immer noch, es selbst auch zu werden“, antwortet sie. „Sie ist ein so tiefgründiger, weiser Mensch, der den Spaß nicht geopfert hat. Sie bestätigt die Grenzen, die man ihr ihr ganzes Leben lang zu nehmen versucht hat.“

„Man hört nicht genug darüber, wie Menschen erfolgreich und dann glücklich werden“, fährt sie fort. „Ich kann meine besten Freunde anheuern, um mit mir um die Welt zu reisen, und ich habe dann keine beschissenen Leute mehr um mich herum.“
Es kommt nicht selten vor, dass Journalisten Bridgers sagen, was für ein Glück sie habe. „Ab und zu fragt mich jemand: ‚Wie fühlt es sich an, dort oben zu sein?‘“, sagt sie. „Ich sage dann nur: ‚Ich habt’s halt durchgezogen, halt die Klappe!‘“

Kristy Sparow Getty Images
Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates