Bonsoir Tristesse – Filigran und wohlklingend: David Sylvian, der Meister der Unaufgeregtheit
CAPITOL, OFFENBACH. Was für ein Sound! Glasklar wie die rauchfreie Luft, dabei doch flauschig, umhüllend, wie daheim auf dem Sofa. Hier sitzt man auf bequem gepolsterten Stühlen. Wer zu spät kommt, wird vom Service-Personal zu seinem Platz geführt. David Sylvian erfährt ungeteilte Aufmerksamkeit, kein Becher wird geräuschvoll zerknüllt, wer trinken will, soll rausgehen. Der Bühnenhintergrund aus digitalen Aquarellen in milden Pastellfarben bildet einen geschmackvollen Kontrast zum eleganten Schwarz der Musiker. Allein Sylvian leistet sich die Extravaganz weißer Schuhe. Wie Birmas Mönche sehen sie aus, aber auch ein bisschen wie die Mao-Ausgabe von Japan auf dem Cover von „Tin Drum“.
Eine erlesene Band hat Sylvian mitgebracht: Takuma Watanabe thront auf dem Podest am Grand Piano. Mit dem erhabenen Ernst des jungen Sakamoto lässt er seine Läufe perlen, besonderen Momenten verleiht er Nachdruck, in dem er mit der Hand kleine Kreisel in die Luft malt. Bassist Keith Löwe wölbt und kräuselt die Lippen bei delikaten Sounds, als koste er am Manna der Glückseligkeit. Arve Henriksens islamesken Bläser-Tupfer verfehlen ihre verfeinernde Wirkung nicht. Taktgeber der Band ist Sylvians Bruder Steve Jansen. Seine Schlagwerke hat er weit vorn am rechten Bühnenrand aufgebaut, so kann man des Beaus scharfes Profil und die ebenso scharfe Bügelfalte seiner Hose besser sehen. Jeden Schlag führt er mit einem ausholenden Armschwung, überhaupt schlägt er seine Trommeln weniger, als dass er sie streichelt.
Ein einziges Streicheln ist die Stimme von David Sylvian. Stoisch ruht sie in sich, wie der ganze stoische Mann auf seinem Barhocker sich nur bewegt, wenn er die akustische gegen die elektrische Gitarre eintauscht. Auch der Mund, aus dem die unverwechselbare Stimme kommt, bleibt fast regungslos, ein schmaler Strich in dieser noch immer jugendlichen, noch immer androgynen, noch immer Verletzbarkeit signalisierenden Porzellanvase von einem Gesicht. Der Sound ist so austariert, dass Sylvian keinerlei Kraftanstrengung braucht, um seine Stimme gegen die Musik zu behaupten. Manche hatten sogar den Eindruck, er habe das Atmen eingestellt. Jede Silbe schmeckt er sorgsam ab, bevor er sie in den Saal entlässt, seine Musiker lassen ihm für diesen rituellen Akt alle Zeit der Welt. Besonders gut funktioniert das Entschleunigungsvocalizing bei Worten, die auf „st“ enden. „Wanderlust“ etwa. Sekunden, ach was, minutenlang surrt das S im Sylvianmund, bevor doch noch ein erlösendes T nachgehaucht wird. Ein würdiges Finale.
Nach „Wanderlust“ hatte zwischendurch lautstark ein Zuschauer verlangt, doch der Schreihals wurde von den Umsitzenden mit leisem Zischeln und strafenden Blicken in die Schranken gewiesen. Wir sind doch hier nicht bei einem Rockkonzert! Was ja das Problem ist. Anti-Rockismus ist oft eine notwendige Voraussetzung für aufregende Musik, aber nicht unbedingt eine hinreichende. Sylvian ist ein Prototyp des androgynen Anti-Rockismus, die Wainwrights und Anthonys dieser Welt haben von ihm gelernt. Aber die wollen aufregen, erregen, Aufsehen erregen. Das will Sylvian nicht. Er will Andacht. Und sein Publikum bringt ihm Andacht entgegen. Woran sie denken, ob sie überhaupt denken bei dieser Andacht, das ist schwer zu sagen. Es scheint mehr um ein regressives Schwelgen in einer vagen Tristesse zu gehen. Sylvians anämisches Crooning versetzt sein Publikum in eine angenehm depressive Bewusstlosigkeit, dämmt die Reflexe, lähmt die verbliebene Libido. In der makellosen Balance geraten selbst Störgeräusche zum dekorativen Ornament.