Böser Gott von Manhattan
Luzide Psychologie, präzise Beobachtung und Boshaftigkeit bestimmten schon "Sommerdiebe", den jetzt veröffentlichten ersten Roman von Truman Capote
Dass es sich bei dieser Novelle – ein Roman ist es denn doch nicht – um ein makelloses Erstlingswerk handelt, ist eine Fama, die Capote gut gefallen hätte. Als Neunzehnjähriger hatte er 1943 mit dem Schreiben begonnen, damals war er Laufbursche beim „New Yorker“, dessen Redakteure seine Kurzgeschichten ablehnten – angeblich „zu romantisch „in einer Weise, wie es der ,New Yorker‘ nicht ist“. Man kennt solche Beurteilungen von Vladimir Nabokov, dessen Erzählungen oft genug entstellt wurden und der einzelne Worte in langen Abhandlungen gegen die Redakteure verteidigte. Capote jedenfalls schrieb schon damals wie Capote – romantisch, ja, aber vor allem wahrheitssüchtig, detailversessen, unerbittlich, gleichwohl beinahe im Plauderton – eine Leichtigkeit, die durchaus gemacht war.
Denn mit „Summer Crossing“ war der Autor nicht zufrieden, er arbeitete noch viele Jahre daran, nachdem „Other Voices“ längst erschienen war. und offenbar auch noch, nachdem er das Manuskript bei den Habseligkeiten in einer Wohnung in Brooklyn zurückgelassen hatte.
1950 kehrte er dorthin nicht zurück und wies den Hausverwalter an, den Kram einfach an die Straße zu stellen. Bei dieser Gelegenheit habe der gute Mann die Kladde und die losen Seiten gerettet, die später sein Neffe zu Sotheby’s brachte, wo sie keiner zum hohen Schätzwert kaufen wollte. Die New Yorker Public Library erwarb den Packen schließlich, die Rechte verbleiben beim Truman Capote Literary Fund.
Beim Zürcher Verlag Kein & Aber, der nun endlich eine Capote-Werkausgabe veranstaltet, erschien „Sommerdiebe“ in vorbildlicher Ausstattung („Kaltblütig“ wurde kürzlich blutig in der „Bestseller-Bibliothek“ von „Bild“ aufgelegt). Das Mädchen Grady, 17 Jahre alt, ist natürlich eine frühere Ausgabe von Holly Golightly – verwöhnte Tochter einer reichen Park-Avenue-Familie, kokett, burschikos, schnippisch. Die Eltern unternehmen eine Europa-Reise mit der „Queen Mary“, Grady bleibt im heißen Manhattan zurück, begehrt von dem dandyhaften Schulfreund Peter, für den sie indes nur die gemeinsamen Erinnerungen einnehmen: Die Zeit der Unschuld ist vergangen.
Ein Parkplatzwächter namens Clyde hat es ihr angetan, ein sonnengebräunter Malocher, der in den geparkten Wagen seine Mittgspause verschläft. Der grobe Kerl nimmt sie mit in die Brooklyner Wohnung seiner Familie, wo Mutter serviert und Clydes frühere Geliebte auf Fotos zu sehen ist. Ganz beiläufig hat das Paar geheiratet („Stattdessen fuhr sie mit Clyde nach Red Bank in New Jersey, und dort heirateten sie um zwei Uhr morgens“), nachdem es schon Streit gegeben hatte. Clyde hört Baseball am Radio und macht es sich in einem Zimmer der großen Wohnung am Central Park bequem, schnell ist alles verwahrlost. Freund Peter, immer in der Sommerfrische unterwegs, besucht Grady: „Als seine Finger die ihren um den Stiel des Glases berührten, kam ihr plötzlich ein groteker Gedanke: ist es möglich, bist du in mich verliebt?“ Und Peter spürt das Zaudern, die Abwehr, und geht, und sie lässt die Zigaretten zwischen ihren Lippen verglühen, wartet im Dunkeln auf den anderen, der nicht kommt, und dann fährt sie durch „nachttote“ Straßen ans Meer. Es ist eine fast gewalttätige Lebenslust (und eine leichtsinnige Todessehnsucht!) in diesem rücksichtslosen Mädchen. „All das würde weitergehen, diese Wellen, diese Dünenrosen, die ihre sonnengetrockneten Blütenblätter im Sand verstreuten; wenn ich sterbe, wird all das weitergehen, und es ärgerte sie, dass es so war.“
Nach Gradys Flucht läuft die Geschichte geschwind auf ihr Ende in einem New Yorker Nachtclub und bei einer trunkenen Autofahrt zu; Clyde hat Peter geschlagen, beide sitzen hinten im Wagen. Dann greift Grady, von Opium oder Haschisch benebelt, ins Steuer.
Es war wohlkaum der Schluss, der Capote derart missfallen hatte, dass er am Ende seines Lebens behauptete, er hätte das Manuskript von „Summer Crossing“ vernichtet. Der Ausgang ist so jäh und schön wie der von „Jules und Jim“, man muss dabei an ein Lied denken, vielleicht an „I Spent A Summer Wasting“ von Belle & Sebastian, an eine Gainsbourg-Ballade, an The Divine Comedy. Diese Geschichte allerdings ist mehr als 50 Jahre alt.
Wahrscheinlich hat Capote an den Manierismen, den langen Satzperioden, der merkwürdigen Interpunktion, den Perspektivwechseln und der inneren Rede lange gedrechselt, denn seine Story brauchte soviel Überlegung nicht. In den kleinen Gesten war Capote unschlagbar, so wie „Tiffany“ ja nur aus kleinen Gesten besteht, „Kaltblütig“ aus Beobachtung und Ablauschen, und „Erhörte Gebete“ schließlich aus Eitelkeiten, Klatsch und Decouvrierung. Und so, wie das Porträt Marlon Brandos natürlich auch ein Selbstporträt war und zugleich die Demontage eines ungebildeten, angeberischen Rüpels, so ist Capote hier als Grady und Peter präsent; der attraktive, aber plumpe Clyde ist der Mann des Begehrens. Benimmt sich schlecht, hat keine Tischmanieren, ist unordentlich, kommt gleich zur Sache und klaut sogar die Veilchen nach dem Kinobesuch auf dem Broadway.
Die frühreifen, gefährlich unvernünftigen Schrullen Gradys erinnern ein wenig an Frannys Grillen in J. D. Salingers „Franny und Zooey“. Und beide amerikanischen Erzähler waren auch die entscheidenden nach Hemingway, der keine Psychologie brauchte, weil er alle Angst und alle Träume und alle Schizophrenie in sich hatte. Mit Capotes Erzählungen wie mit denen Salingers in den „Nine Stories“ kam eine fein ziselierte Sprache zu einem stupenden Wissen um den Menschen, und beide suchten keinen Trost in der Maxime „grace under pressure“, hier gab es keinen Heroismus mehr. Ausgerechnet in den amerikanischen Jahren des Wohlstands und der Erbauung entdeckte die Literatur eine Idiosynkrasie, die bei F. Scott Fitzgerald schon aufgeschienen war, der „zerbrach wie ein alter Teller“, so Hemingway.
Truman Capote, der später so ein alter Teller wurde, hatte in „Sommerdiebe“ sein eigenes frühes Verglimmen vorhergesehen.