Bob Seger – Geschichten aus dem Heartland
Seit 1968 nimmt BOB SEGER eigene Songs auf, seit „Beautiful Loser“ (1975) mit großem Erfolg in den USA. In Deutschland ist der Mann aus Detroit am bekanntesten für „Against The Wind“, den Hit von 1980 – der auch auf unserer Compilation mit Live-Aufnahmen von Seger und der Silver Bullet Band enthalten ist. Für dieses Special gewährte Seger eines seiner seltenen Interviews. Derzeit ist er in den USA auf Tournee; in New York kam ein alter Kollege auf die Bühne: Bruce Springsteen war der Überraschungsgast. Gerade erschien Segers karriereumspannende Sammlung „Ultimate Hits“.
Keine Zeit für Ruhestand: Noch immer spielt Bob Seger, 66 Jahre alt, 50 Konzerte pro Jahr. Die Classic-Rock-Gemeinde der USA bleibt den alten Meistern treu und beschert ihnen volle Arenen auf Lebenszeit. Neues Material ist nicht nötig und oft eher unbeliebt, denn zu solchen Konzerten geht man, um sich zu erinnern.
Seger plant trotzdem ein neues Album, ist sich aber nicht sicher, ob ihm genug Material einfallen wird. Deshalb erscheint jetzt zunächst ein weiteres Best-of-Album („Ultimate Hits: Rock And Roll Never Forgets“), auf dem all die alten Lieder und die Ikonografie des Heartland Rock auf zwei CDs zu hören sind. Es ist ein schönes Wiederhören; Segers Songs sind nicht so konsistent wie die von Springsteen und nicht so melodisch brillant wie die von den Eagles, aber unsterblich sind sie wegen der großen amerikanischen Romantik trotzdem.
Im Gespräch ist Bob Seger der midwestern man, den man sich vorstellt: bodenständige Art, bäriges Lachen, ungern tiefschürfend. Für den ROLLING STONE erinnert er sich an die harten ersten Jahre, den Erfolg und die Geschichten hinter einigen seiner erfolgreichsten Songs.
Bob Seger, Sie haben schon mit Zwanzig von den guten alten Zeiten gesungen. Woher kommt die Wehmut in Ihren Liedern?
Ich glaube, meine glücklichste Zeit waren meine Jahre an der Highschool. Weil mein Vater uns verlassen hatte, wurde ich von meiner Mutter und meinem großen Bruder erzogen – sie arbeiteten schwer, damit ich eine gute Ausbildung bekommen konnte, wofür ich ihnen für immer dankbar bin. Als ich auf Tournee zu gehen begann, wurden die Zeiten hart – mein Vater starb, was schlimm für mich war, und außerdem waren wir in den ersten Jahren nicht erfolgreich. Ich glaube, das kommt in den Liedern zum Ausdruck.
Auch bei anderen Künstlern jener Zeit hört man diese seltsame Spannung aus Freiheit und Nostalgie. Viele amerikanische Bands der frühen Siebziger klingen, als hätten sie etwas verloren.
Sehen Sie, wir alle liebten die Musik, aber alles andere war schwierig. Wir spielten 200 oder 300 Gigs pro Jahr – in Clubs, in Bars, auf Cafeteria-Tischen und in Turnhallen. Zwei tolle Stunden pro Tag, der Rest harte Arbeit und Entbehrung. Wir fuhren in klapprigen Autos durchs Land, aber wir kamen nirgendwo an. Mich hat das sehr melancholisch gemacht.
Hat sich dieses Gefühl geändert, als Sie erfolgreich wurden?
Nein, die Anspannung blieb. Ich erinnere mich an einen Gig mit Freddy Cannon (US-amerikanischer Rock’n‘-Roll-Sänger der Sechziger). Wir hatten damals einen kleinen lokalen Hit, und er sagte mir, wenn du erfolgreich bist, dann freu dich, denn es wird nur drei Jahre dauern. Das war die Vorstellung damals – drei Jahre ein Star, dann der Nächste, bitte. Als wir 1973 nach zehn extrem harten Jahren den Durchbruch schafften, hatte ich diese bittere Sorge, dass wir nur eine Eintagsfliege sein würden, a flash in the pan. Also arbeitete ich wie ein Verrückter. Ich habe fünf Jahre lang nur geschrieben, aufgenommen und Konzerte gegeben. Mein damaliger Produzent, Jimmy Iovine, sagte mir damals: „Wenn dein Leben halb so gut wäre wie deine Musik, wärst du der glücklichste Mensch der Welt.“ War ich aber nicht.
Was würden Sie heute dem jungen Bob Seger raten?
Ich würde nichts anders machen. Gestern Abend haben wir „Ramblin‘ Gamblin‘ Man“ gespielt – der Song ist 40 Jahre alt, aber die Leute lieben ihn und kennen jedes Wort. Die Mühe hat sich gelohnt.
Das Lied wirkt auf „Ultimate Hits …“ etwas fremd, weil es so anders klingt als Ihre späteren Lieder. Man hört den Soul und den British-Invasion-Pop.
Ich war Ende der Sechziger ein großer Fan der Spencer Davis Group – die hatten diesen großen Beat, den ich auch haben wollte. Ich schrieb den Schlagzeugrhythmus für „Ramblin‘ Gamblin Man“ und arbeitete wie verrückt, bis ich raus hatte, wie es geht – mein Schlagzeuger war natürlich sauer, dass ich ihm vorschrieb, was er zu spielen hat. Aber ich wollte es so, ich musste mein Ding machen.
Genau wie der Typ in „Ramblin‘ Gamblin‘ Man“. Einzelkämpfer, immer auf der Flucht – ein harter Bursche. Sind Sie das selbst in Ihren Texten?
Fifty-fifty, würde ich sagen. Randy Newman hat mir mal einen Rat gegeben: „Du kannst nicht immer in deinen Liedern sein, sonst langweilst du dich schnell an dir selbst.“ Es gibt viele ausgedachte Geschichten in meinen Liedern. Zum Beispiel „Hollywood Nights“: Anfang 1977 lebte ich eine Zeit lang in einem gemieteten Haus in den Hollywood Hills und arbeitete an dem Album „Stranger In Town“. Ich kaufte mir die neue „Time“ mit Cheryl Tiegs auf dem Cover (Fotomodell der Siebziger). Sie trug einen roten Badeanzug – das Bild ist ziemlich berühmt. Ich stellte mir vor, wie ein einfacher Typ aus dem Mittleren Westen ein so exklusives Mädchen aus Kalifornien trifft und sich in der Glamourwelt verliert. Später in der Nacht fuhr ich durch die Gegend und sang „Hollywood Hills, Hollywood nights“ vor mich hin – das war der Refrain. Es ist also ein Lied, in dem ich mir vorstelle, eine Affäre mit Cheryl Tiegs zu haben!
Oder nehmen Sie „We’ve Got Tonight“: Der Song entstand, als ich den Film „Der Clou“ mit Robert Redford und Paul Newman sah. Redford jagt die bösen Männer und klopft nachts an eine Tür. Eine schöne Frau öffnet, und Redford sagt, „It’s two o’clock in the morning and I don’t know nobody“ – das war mein Satz, der gefiel mir. In dem Film sind alle irgendwie zwischen den Welten, im Übergang – weder hier noch dort. Das passte gut zu meinem Lebensgefühl, also stellte ich mir eine ähnliche Begebenheit vor.
Sie sind also ein Geschichtenerzähler.
Jedenfalls ist das ein wichtiger Teil von mir. Ich weiß noch, als ich das erste Mal den Kristofferson-Song „Me And Bobby McGee“ gehört habe – das war richtiges Storytelling, ich war total fasziniert. Aber es gibt auch Lieder, in denen es sehr persönlich um mich geht. Zum Beispiel „Turn The Page“: Das Lied entstand Anfang der Siebziger in einem Motelzimmer in Eau Claire, Wisconsin. Wir hatten unten in der Bar Ärger mit ein paar Truckern und Geschäftsleuten bekommen, die unsere langen Haare nicht leiden konnten. „Ist das ein Junge oder ein Mädchen?“, das übliche Zeugs. Ich setzte mich aufs Bett und schrieb den Song – ich war traurig und ausgelaugt und musste es einfach rauslassen. Ich hatte gedacht, das Lied sei eine persönliche Sache, mit der sonst niemand viel anfangen können würde. Oh boy, was I wrong! Wollen Sie noch mehr solcher Geschichten? Ich will Sie nicht langweilen.
Sie langweilen mich nicht.
„Mainstreet“ ist zum Beispiel ein sehr autobiografischer Song. Als ich vier Jahre alt war, zogen wir von Detroit nach Ann Arbour. Eine tolle, kulturell lebendige Stadt war das, mit Folk, Blues und R&B an jeder Straßenecke. Als ich 14 oder 15 war, ging ich oft zu diesem Club auf der Mainstreet, da spielten die Blueser aus Chicago, und die Mädchen tanzten im Fenster. Ich saß draußen auf der Straße und genoss jeden Augenblick.
Mein Lieblingslied ist „Against The Wind“.
Da geht es buchstäblich ums Laufen. Das war in der Highschool mein Ding; nach fünf Meilen fühlte ich mich wie ein Fels, unverwundbar. Jetzt geht das nicht mehr, weil ich ein Problem mit meiner Hüfte habe, aber bis in die Neunziger hinein war ich jeden Tag draußen. Der Song sollte das einfangen, das Kämpfen gegen den Wind, das Überwinden. Glenn Frey von den Eagles wollte dann unbedingt mitsingen, weil seine Frau den Song liebte. Ich habe nicht nein gesagt.
Stimmt es, dass Sie mit den Eagles eng befreundet sind?
Sie sind meine besten Kumpel – das ist eine Freundschaft auf Lebenszeit. Als ich Glenn Frey kennenlernte, war ich 19 Jahre alt, er 16. Später spielten wir uns sehr oft unsere Lieder vor, bevor wir sie veröffentlichten, und diskutierten über sie.
Sie verschickten Demos?
Nein, wir saßen in unseren Häusern und sangen uns etwas vor. Ich erinnere mich daran, dass Don Henley mir öfter mal einen Song ausreden wollte – hätte ich bloß auf ihn gehört! Aber wir haben uns auch Mut gemacht. Einmal kamen sie mit ihrem Song „One Of These Nights“ zu mir – Glenn hatte Zweifel, weil er so soulig war, aber ich sagte: „Nein, nein, der Song ist ein Hit, und es ist gut, dass ihr euch streckt, immer nur Country Rock ist zu wenig.“
Jahre später trug ich den Song „Shakedown“ (von Harold Faltermeyer und Keith Forsey, für den Soundtrack zu „Beverly Hills Cop II“) zu Don. Glenn sollte ihn eigentlich singen, hatte aber keine Zeit. Sein Manager rief mich an, und ich sagte: „Ich mach’s, gib mir eine Woche.“ Ich machte mir dann Sorgen wegen der modernen Produktion, aber Don sagte: „Mach das, das Lied ist ein Knaller.“ Also hab ich’s gemacht, und kurz darauf stand er auf Platz eins der Charts.
1975 entstand der Live-Mitschnitt „Silver Bullet“. Für mich gehört dieses Album in die Reihe der großen Live-Alben der 70er-Jahre.
Ich höre immer wieder, dass das Album vielen Menschen etwas bedeutet – sie fahren mit dem Auto und machen es an, es gibt ihnen Kraft. Mir geht es ähnlich: Man hört den Aufnahmen an, wie gut wir damals waren. Die Band spielte nach zehn Jahren mit einer wahnsinnigen Energie. Die Platte ist echt. Wir waren jung und brannten lichterloh.
Was sind Ihre Lieblings-Live-Alben aus dieser Zeit?
Oh … Darüber habe ich lange nicht mehr nachgedacht … Ich würde wohl „At Filmore East“ von den Allman Brothers nehmen. Peters Platte war auch toll (Peter Framptons „Frampton Comes Alive“ von 1976), aber ich liebe Gregg Allmans Stimme sehr.
Alles gute Freunde von Ihnen, nehme ich an.
Nein … Ich habe damals kaum jemanden wirklich kennengelernt, obwohl wir mit so vielen Bands zusammen aufgetreten sind. Ich war immer so sehr mit meinen eigenen Sachen beschäftigt! Außerdem bin ich etwas schüchtern. Elton John zum Beispiel musste zu mir kommen, ich hätte mich nicht getraut. Auch bei Billy Joel war es so.
Ab 1983 waren Sie weniger aktiv im Musikgeschäft. Weniger Konzerte, weniger Platten – Sie haben sich ein bisschen rar gemacht.
Das hing wesentlich mit meiner Mutter zusammen. Sie wurde krank, und ich habe mich um sie gekümmert, bis sie 1989 starb. Nach den schwierigen Jahren Anfang der Siebziger war das die zweite schwere Phase in meiner Karriere.
Anfang der 90er-Jahre waren die Zeiten anders geworden: Ihre Art von Musik war nicht mehr en Vogue. Haben Sie mit dem Gedanken gespielt, Ihren Sound zu verändern?
Nein. Mein Freund Tom Petty hat einmal gesagt, die Heartbreakers würden nun mal klingen wie die Heartbreakers, alles andere ergebe keinen Sinn. Das ist auch meine Devise.
Einmal Heartland Rock, für immer Heartland Rock?
Der Begriff bezieht sich ja eher auf eine Herkunft und eine Haltung als auf einen Stil. Ich bin ein Junge aus dem Mittleren Westen, ich bin nicht glamourös, sondern eher bescheiden und erdverwachsen. Das wird sich nicht ändern.
Für viele jüngere Bands aus Detroit sind Sie ein Idol. Man trägt Bob-Seger-T-Shirts. Bekommen Sie davon etwas mit?
Nein, nicht viel.
Bei Kid Rock zum Beispiel hört man immer mehr, dass Sie sein Vorbild sind. Er hat sogar Songs von Ihnen im Programm.
Oh ja, Kid – ich bin ein riesiger Einfluss für ihn. Ich besuche ihn, wann immer es geht. Er lässt mich in seinem Haus in Nashville wohnen, wenn ich dort bin, und wir benutzen auch seine Proberäume, wenn wir uns gemeinsam auf eine Tournee vorbereiten. Er ist ein toller Kerl, you gotta know him.
Neulich habe ich mitgekriegt, dass Eminem bei ihm zu Besuch war. Ich habe angerufen und gefragt, ob ich nicht vorbeikommen könne – meine Tochter verehrt Eminem, und ich wollte ihn auch kennenlernen.
Und wie war er so?
Sehr freundlich. Er macht eigentlich nur zwei Sachen: Krafttraining und Musik aufnehmen. Ein etwas in sich gekehrter Typ, aber sehr höflich.
Sie haben sich in der Vergangenheit des Öfteren für Detroit eingesetzt. Wie steht es um die Stadt?
Wir befinden uns in einer schweren Finanzkrise, die Detroit hart getroffen hat, aber ich sehe auch positive Entwicklungen. Zum Beispiel geht es der Autoindustrie dank Präsident Obama wieder viel besser. Ich glaube, auf lange Sicht wird alles wieder okay sein.
Sind Sie ein politischer Mensch?
Nein, das bin ich nie gewesen. Ich bin aber trotzdem durch und durch Demokrat, blue state for life, y’know. Anders als Rock, der ist nämlich total red state. Aber die Unterschiede hindern uns bestimmt nicht daran, Freunde zu sein.