Bob Neuwirth
Unabhängigkeit bedeutet ihm alles, Werbetrommeln hat er nie gerührt. Ein Mann vieler Talente, hat Bob Neuwirth die Kunst perfektioniert, als Initiator und Katalysator den Musikbetrieb ohne viel Aufhebens zu beleben, mal selig, mal sorrow.
Wenn es stimmt, daß Ehrgeiz verzehrt und Schönheit blendet, dann braucht Bob Neuwirth nicht bange zu sein um seine Gesundheit, nur um sein Augenlicht müßte er furchten. Zeit seines Lebens ist er auf der Suche nach solchem Blendwerk. Früh lernte er, Schimären zu meiden, half dem Wahrhaftigen auf die Sprünge und hielt diesen Moment fest in Bild oder Darbietung, in Musik oder Film, nur um sich alsbald aus dem Staub zu machen und neue Horizonte anzupeilen.
Eine Rückschau auf Neuwirths Wirken verblüfft durch Fülle und Farben, durch schiere Vielseitigkeit und die behende, konsequente Art, mit der er sich abzuseilen pflegte, wenn sein Interesse an einer Sache erlahmte. Sehr kurz konnte sie sein, diese Spanne von Faszination bis Flucht. Ob es ihm gefiel, Bob Dylan zu begleiten, Edie Sedgwick zu umgarnen, Patti Smith zu fordern, T-Bone Burnett zu produzieren, mit John Cale zu komponieren oder eben mal „Mercedes Benz“ für Janis Joplins Geburtstag zu schreiben, er hielt sich nie lange damit auf. Er drehte „Monterey Pop“ und „Eat The Document“, vagabundiert durch D. A. Pennebakers Pop-Dokument „Don’t Look Back“ ab Dylans Vertrauter bei der Durchquerung Englands, organisiert für denselben Bob Jahre später jene Neu-England-Expedition, die als „Rolling Thunder Revue“ in die Annalen eingeht, ist dabei Musiker, Master of Ceremonies und Seele des Ganzen, und macht alle Jubeljahre eine Platte, eine anders als die letzte, alle brillant.
Bob Neuwirth ist Kunst-Macher. Er liebt es zu malen, zu schreiben, zu singen, doch ist er ebenso gern Muse oder Mäzen. Die Befriedigung kommt aus dem Moment, in dem die Kunst entsteht, danach ist post coitum, post festum, erledigt. Stets war Neuwirth schon weg, wenn das Verwertungsprinzip zuschlug, stets waren es andere, oft genug Mitläufer, für die eine Karriere abfiel beim Spagat zwischen der Kunst und ihrer kommerziellen Nutzung. Neuwirth stand dann bereits an der Seitenlinie, amüsiert oder kopfschüttelnd, und schlüpfte in eine andere Lieblingsrolle: die des Beobachters.
So wohl sich Bob Neuwirth an der Peripherie des Kulturbetriebs fühlt, so sehr ihm das Anstiften am Herzen liegt und der Rückzug im Blut, so aktiv und zupackend kann er sein, wenn es um seine Kunst selbst geht. Never a dull moment, ein Projekt jagt das nächste. Eben hat er auf Einladung von William Burroughs dessen Gemälde-Ausstellung in Los Angeles eröffnet, indem er aus „Naked Lunch“ vorlas und dazu Gitarre spielte. Dann folgt eine Singer-Songwriter-Tour durch Europa mit Iain Matthews, Eric Taylor und Neuwirth-Protege Vince Bell. Und vier Wochen später will der umtriebige Kosmopolit, der in Texas genauso zu Hause ist wie in Tennessee, in L.A. wie in New York, in Berlin wie in Paris oder London, schon wieder unterwegs sein, diesmal im Gespann mit Howe Gelb von Giant Sand, andere Ideen im Gepack, andere Musik. „Noch habe ich nicht die leiseste Ahnung, was da auf uns zukommt Einen Versuch ist es allemal wert, weniger ab interessant kann es nicht werden.“
Neuwirths Auffassung von Kunst orientiert sich an Veränderung, ist lebendig, fließend. Keine Kunstkommt-von-können-Platitüden, kein ars-longa-vita-brevis-Pathos, überhaupt keine Prätention. Um so gereizter reagiert er auf die täglichen Beleidigungen, wie er es nennt, die sich manifestierende Geringschätzung von Kunst und ihrer Schöpfer.
„Wir werden erpreßt, mißhandelt und mißbraucht“, klagt er mit aufgesetzter Finstermine, aber ohne Ironie. „Man läßt dir nur zwei Optionen. Die erste ist Einordnung, die andere Draußenbleiben. Ich habe mir schon in jungen Jahren an der Kunsthochschule geschworen, mich nie einem System zu unterwerfen, das mich gewähren und von der Kunst leben läßt.“
Der Preis ist hoch, doch Neuwirth zahlt ihn seit 35 Jahren. Dafür sei er niemandem Rechenschaft schuldig, keinem Agenten, keinem Galeristen, keinem Promoter, keinem Manager, keinem Label. „Bloß zwei Verpflichtungen hat der Künstler“, so Neuwirth, ohne mit der Wimper zu zucken: „to stay alive and make art.“
Doch von vorn: Auch in Akron, Ohio, hat das Leben vor die Erfüllung des amerikanischen Traums die Erziehung gesetzt: grade school, high school, college. Mindestens. Danach machen sich die meisten auf, etwas Anständiges zu werden, andere haben Abenteuer im Sinn. „For higher education I hitch-hiked to Boston“, erzählt Bob Neuwirth in „Akron“, seiner liebevollen Ode an die harsche Heimat. „Checking into art school but not for long.“ Die Boston Museum School of Fine Arts verlor den jungen Wilden an die Beatnik-Kaschemmen und Kaffeehäuser, an eine Boheme mit authentischem Appeal. Mit Vergnügen erinnert sich Bob Neuwirth an Hinterhof-Konzerte mit Blues-Legenden wie Mance Lipscomb oder Reverend Gary Davis.
Wichtiger noch wurde Cambridge, das gegen Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre zum Versuchslabor avancierte für akademischen Freigeist und radikalkünstlerischen Aufbruch. Vor allem die Musikergemeinde zog den jungen Neuwirth, kaum älter als zwanzig, in ihren Bann. Die Rückbesinnung auf tradierte Musikstile und ihre Revitalisierung durch die neue Ernsthaftigkeit und ihre noch unverbrauchte Energie übte damals eine ungeheure Anziehungskraft aus bis hinunter nach New York: Blues und Bluegrass, Hillbilly neben Hootenanny.
Die Cambridge Folk Scene entwickelte sich schnell zum wichtigsten Kristallisationspunkt für die kommende Generation. Alles, was Jahre später in der Zeit des großen Folk-Boom Rang und Namen bekommen sollte, pilgerte nach Massachusetts: Joan Baez, Bob Dylan, Ramblin’Jack Elliott, Richard Farina, Eric von Schmidt, Geoff Muldaur und seine spätere Frau Maria, geborene D’Amato, Eric Andersen, Tom Rush… Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Bob Neuwirth war in seinem Element, ein Bündel nervöser Energie, ansteckend, mitreißend, omnipräsent,jedoch mit ewig knurrendem Magen, wenig Schlaf, viel Speed, seinen Bildern, Freunden, Liebschaften. Und, immer wichtiger, seiner Musik.
Nächtelang saßen Neuwirth, Dylan und Jim Kweskin beisammen, sangen die Lieder von Leadbelly und Jimmie Rodgers, von Hank Williams und Woody Guthrie. Und eigene, natürlich. „Ich ließ die Kunst eine Weile links liegen und verdiente mir meinen Lebensunterhalt mit Singen und Gitarrespielen. Ich meine, die Leute wollten tatsächlich meine Hillbilly-Songs hören. Das war schwer zu verstehen, aber mir sollte es recht sein.“
Mit seinem Freund Buz Märten, der inzwischen tot ist und dem Neuwirth sein neues Album „Look Up“ gewidmet hat, rief er die Dillmore Brothers ins Leben, in Anlehnung an die großen Pioniere des brüderlichen Harmoniegesangs, Alton und Rabon Delmore aus Alabama, ohne deren leuchtendes Beispiel auch die Everly Brothers ihr Nest in Kentucky wohl nie verlassen hätten.
Nicht berühmt, sagt Bob Neuwirth, berüchtigt seien sie gewesen, ein weiterer Mosaikstein in der sich entfaltenden musikalischen Vita des damals noch völlig Unbedarften. „Aber das traf mehr oder weniger auf uns alle zu.“ Immerhin bewegten sie sich hart an der Demarkationslinie zum riskanten Leben, während etliche heute ungleich namhaftere Folkies rechte whimps and wankers gewesen seien. Namen will er indes nicht nennen: „Wenn man nichts Gutes über jemanden zu sagen weiß, sollte man gar nichts sagen.“ Neuwirth bereut, vor vielen Jahren einmal verlautbart zu haben, daß Bob Dylan wohl wunderbar mit Worten umzugehen wisse und ein inniges Verhältnis zur Sprache habe, deshalb aber noch nicht ein großer Dichter sei.“ Über John Cale, so Neuwirth maliziös grinsend, wolle er folglich lieber überhaupt nichts mitteilen. Nur einigen wenigen Mitstreitern aus jenen headydays ist er eng verbunden geblieben, darunter auch Sandy Bull, Debbie Green und Bruce Langhorne, die alle auf „Look Up“ mitmischen.
In den drei Jahren nach 1961 dehnte sich das Folk-Universum explosionsartig aus. Ostküste, Rest-Amerika, die weite Welt. Neuwirths Stimme klingt traurig, wenn er sich daran erinnert. „Es ging alles so verdammt schnell, niemand hatte genug Zeit, den Kopf klarzukriegen.“ Joan Baez, eben noch Campus-Queen in Cambridge, war plötzlich die heilige Johanna der Bürgerrechtsbewegung. Auch Bob Dylan, der einen so nachhaltigen Eindruck auf den um zwei Jahre älteren Bob Neuwirth gemacht hatte, wandelte sich binnen kurzem vom lokalen zu einem globalen Phänomen. Neuwirths Züge verklären sich, wenn er jene Zeit ins Gedächtnis zurückholt, als er am Indian Neck erstmals Bob Dylan traf. „Er war ein junger, hungriger Hund, wie wir alle, struppig und voll Unruhe und innerer Anspannung. Es lag in der Luft.“
Mehr als drei Jahrzehnte später liegt wieder eine fast greifbare Spannung in der Luft. Wir befinden uns im hinteren Raum von Butch Hancocks Galerie „Lubbock Or Leave It“ in Austin, Texas. Es ist zwei Uhr früh, und Bob Neuwirth rennt sichtlich nervös auf der kleinen Bühne umher. Er hat Freunde eingeladen zu „Music and Migas“, denn es gibt etwas sehr Seltenes und Kostbares zu feiern: ein neues Neuwirth-Album. Und, das versteht sich von selbst, ein neues Konzept.
„Audio verite“ nennt er es, und es ist eine ingeniöse Verschmelzung von klanglicher und emotioneller Authentizität. Ausgerüstet mit weiter nichts als einem DAT-Recordec, flog Neuwirth um die Welt, besuchte befreundete Musiker und nahm in Küchen und Garagen und Heimstudios spontane, improvisierte Sessions auf von Songs, die zum Teil gleich ebenfalls an Ort und Stelle entstanden. „Bottom Time“ sollte das Impromptu-Werk ursprünglich heißen: Das meint die Zeit, die ein Taucher maximal hat, um zum Luftholen an die Oberfläche zu kommen. Statt dessen hat Neuwirth, keineswegs Gegner positiven Denkens, das Album „Look Up“ genannt, auch das passend zum Cover-Gemälde von Comic-Artist Gilbert Sheldon. Patti Smith, deren Rezitation „Just Like You“ einer von vielen LP-Highlights ist, kann heute nicht dabeisein. Doch die anderen luminaries auf „Look Up“, die zahlreichen anderen Kollaborateure, sind fast alle gekommen und warten, Gitarre bei Fuß, auf ihren Auftritt: Peter Case, Charlie Sexton, Rosie Flores, Chuck Prophet, Cindy Bullens, Gary Lucas, Elliott Murphy. Und natürlich David Mansficld und Steven Soles, die Neuwirth bereits auf der „Rolling Thunder Revue“ begleitet hatten, und ohne deren Beistand er nie eine Platte machen würde.
Zwanzig Minuten später hat Bob Neuwirth die Nervosität abgelegt, die Feier beginnt rundzulaufen, eine wunderschön entspannte, erwartungsfrohe Stimmung legt sich über die hundert Gäste. Neuwirth flachst, Butch Hancock bedient das Mischpult, jeder kennt jeden, es kann losgehen. – Als wir gegen fünf Uhr ins anbrechende Tageslicht hinaustaumeln, braucht’s nicht vieler Worte. Neuwirths Reisebericht mit Live-Musik, halsbrecherischen Anekdoten und illuminierenden Dias war randvoll mit Reizen für Herz und Verstand. -Hoppyfaces, a magic night.
Bobbys Freunde wissen, was sie an ihm haben. Nie ist er weniger als aufmerksam, und das stets ungeteilt „Look Up“ hat ihm einen Kick gegeben, obwohl er das Album jahrelang vor sich hergeschoben hatte und sich sein anfängliches Interesse an einem weiteren Song-orientierten Album in Grenzen hielt. „Ich bin froh, daß ich es gemacht habe“, gibt er jedoch zu. „Es ist uns gelungen, die Gefahren zu umgehen, die in einem modernen Studio lauern. Es ist intim und es klingt wirklich nicht übel, wenn man bedenkt, daß ich das gesamte Recording Budget für Flugtickets ausgegeben habe.“ Mehr als alles andere habe „Look Up“ seiner Abenteuerlust neuen Auftrieb gegeben und ihm gänzlich neue Perspektiven eröffnet. „Stillstand“, weiß er, „ist das Ende jeder Kunst, und die Sehnsucht nach Sicherheit ist der Anfang vom Ende.“
Im übrigen subventioniere er mit der Musik seine Bilder, mit den Songs seine Wasserfarben. Es stört ihn keineswegs, daß ihn Uneingeweihte für ein Phantom halten, Uneinsichtige für einen loser. Einen Eintrag selbst im umfangreichsten Nachschlagewerk, der „Guinness Enydopedia of Populär Music“, sucht man zwar vergeblich, doch ist ihm die Wertschätzung von Leuten wichtiger, die er selbst schätzt. „He’s the best pure songwriter of any of us“, so hat T-Bone Burnett einmal über Bob Neuwirth gesagt. Eine sicher nicht hinreichende Würdigung dieses famosen Alchemisten, aber eine absolut notwendige und längst überfällige. Hats off to the magical mystery man.