Bob Marley – Natty Dread
Wenn es ein einzelnes Album gibt, das den klassischen Roots Reggae und die enorme Strahlkraft seines Propheten auf den Punkt bringt, dann dieses hier. „Natty Dread“ versammelte alles, wofür der Mitte der siebziger Jahre neue Musikstil stand: die hypnotische Kraft der sonderbar lahmenden und doch so tanzbaren Grooves sowie die eindringliche Ökonomie der knackigen und doch so effizienten Arrangements. Dazu offerierte das Album die komplette Themenpalette, die von politischen Statements über romantische Liebeslyrik bis hin zu religiösen Manifesten reichte. Mehr noch: Es war die erste Platte, die unter dem Namen Bob Marley & The Wailers erschien, und die mit ihrer geschickt an die geschmacklichen Standards des weißen Rockpublikums angepassten Produktion das kommerzielle Potenzial des Reggae demonstrierte. Als Songwriter war Marley auf dem Höhepunkt, kaum je brachte er seine Anliegen so zwingend auf den Punkt wie im selbstbewussten „Lively Up Yourself“, dem zart-melancholischen „No Woman No Cry“, das zu seinem bekanntestem Song wurde, dem religiösen Titeltrack oder den philosophischen Exkursen von „Revolution“ und dem – allerdings nicht aus seiner Feder stammenden – „Talkin‘ Blues“.
Als „Natty Dread“ erschien, hatte sein Schöpfer bereits mehr als zehn Musikerjahre auf dem Buckel. Schon zur jamaikanischen Unabhängigkeitsfeier im Jahr 1962 hatte der 1945 geborene Robert Nesta Marley seine erste Band gegründet. Die hieß bald The Wailers, ab Ende 1966 gehörten ihr dann Peter Tosh und Bunny Livingstone an. Allmählich entwickelte das Trio einen eigenen Stil. Entscheidende Hilfe leistete dabei ab 1969 Lee „Scratch“ Perry, der die Wailers mit seinen Upsetters zusammenbrachte und Produktionen wie „Soul Almighty“ und „Duppy Conquerer“ mit innovativen Studiotricks aufmotzte. Aston und Carlton Barrett, die Rhythmusgruppe der Upsetters, lief bald zu Marley über. Nächste Station auf dem Weg nach oben war 1972 der Vertrag mit Chris Blackwells Island Records. Das erste für das Label veröffentlichte Album, „Catch A Fire“, markiert den Beginn von Marleys internationaler Karriere. Nach dem zweiten Album, „Burnin“, stiegen Tosh und Livingstone aus. Mit dem Follow-Up „Natty Dread“ (1974) aber war Marley endgültig in den Herzen und Hirnen der weißen Baby-Boomer-Generation angekommen: Die Dritte Welt hatte ihren ersten Popstar, und Reggae gehörte zum musikalischen Einmaleins der Popkultur. Am 11.05.1981 erlag der Rasta-Superstar den Folgen einer Krebserkrankung.