Bob Dylan: Vergangenheit im Rücken
Bob Dylans spätes Meisterwerk
Sieben Jahre hatte Bob Dylan keine eigenen Kompositionen mehr veröffentlicht und sich stattdessen mit zwei Sammlungen alter Folksongs seiner selbst versichert. Damals aber vor Johnny Cashs „American Recordings“, das einem ähnlichen Konzept folgte – hatte er damit als wunderlicher alter Mann gegolten. Doch durch Rick Rubins Inszenierung des Man in Black gab es nun auch für Dylan die Option des coolen Alten. Und die zog er – die alten Folkstücke im Rücken – mit „Time Out Of Mind“, seinem überzeugendsten Album der (mindestens) letzten 22 Jahre auf beeindruckende Weise. Ein Werk, das sich mit nichts vergleichen lässt im Dylanschen Katalog. „Time Out Of Mind“ ist ein trost- und schonungsloses Werk zwischen Eros und Thanatos, das durch Dylans gerade überstandene, lebensgefährliche Herzbeutelinfektion eine zusätzliche Dringlichkeit bekam.
Eingeschneit in Minnesota hatte er seitenlange Aphorismen und Couplets geschrieben und diese später seinem Produzenten Daniel Lanois in einem Hotelzimmer vorgelesen. „Glaubst du, wir haben hier ein Album?“, hatte er den Kanadier gefragt. Der hatte nicht gewagt, zu widersprechen. Das änderte sich schließlich bei den Aufnahmen im Januar 1997, als der Kanadier auf dem Parkplatz eines Studios in Miami ein ums andere Mal mit dem Songwriter aneinander geriet. Die Sessions waren tumulthaft, jedes Instrument war doppelt besetzt, doch am Ende stand ein dunkler Sound, der – untypisch für Lanois den Songs viel Raum zum Atmen lässt.
Und was waren das für Songs! Mit Stücken wie „Love Sick“, „Standing In The Doorway“, „Tryin‘ To Get To Heaven“, „Not Dark Yet“ und dem epischen „Highlands“ hat Dylan sich nicht – wie es ja immer heißt – „neu erfunden“, er hat sich vielmehr erstmals für alle sichtbar in die Tradition derer gestellt, die er sein Leben lang bewunderte. Kein schlechter Ausgangspunkt für ein Spätwerk.
Blur suchten ihr Heil auf einem Album gleichen Namens unter der Leitung von Gitarrist Graham Coxon nach der „The Great Escape-Sackgasse im amerikanischen Indie-Rock. Diese kluge Wendung brachte ihnen mit „Beetlebum“ ihr bestes, mit „You’re So Great“ ihr anrührendstes und mit „Song 2“ ihr populärstes Stück. Oasis beschworen dagegen auf „Be Here Now“ die Nasen in weißlichem Pulver – das viel zu laute Echo der Vergangenheit.
Radiohead trieben auf „OK Computer“ mit feierlichem Pathos den Bombast auf die Spitze und jagten den Brit-Pop auf die dunkle Seite des Mondes. Ausgangspunkt für das Album – so Sänger Thom Yorke später – sei Miles Davis‘ „Bitches Brew“ gewesen. Auch die späten Beatles, die Soundtracks von Ennio Morricone und Kompositionen des polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki beeinflussten diese Platte, die Millenniums-Paranoia, Innovation und Nostalgie auf so magische Weise vereinte, wie keine zweite. „Others may end up selling more“, schrieb der britische Journalist Nick Kent, „but in 20 years time I’m betting ‚OK Computer‘ will be seen as the key record of 1997, the one to take rock forward instead of artfully revamping images and song-structures from an earlier era.“ Eine ebenso kühne wie kühle Konstruktion aus Englands Südwesten könnte „OK Computer“ diesen Nachruhm streitig machen. Sie heißt wie die Band, die sie schuf: „Portishead“.